Sanfter Nebel zieht über die Isle of Skye und die »Kinloch Lodge«.

Sanfter Nebel zieht über die Isle of Skye und die »Kinloch Lodge«.
© Kinloch Lodge

Wildes Schottland

Von der rauen Schönheit Glasgows über den royalen Charme Edinburghs bis zur Isle of Skye im hohen Norden erfindet sich die schottische Küche gerade neu.

»Life is beautiful« prangt trotzig in roter Leuchtschrift über dem Pub am George Square. Über Glasgow schüttet sich gerade der Himmel aus, Passanten hüpfen über eine Pfütze nach der anderen. Scheinbar stört das Wetter aber niemanden hier. Stattdessen zieht ein erstaunlich gut gelauntes Publikum durch die Straßen, bildet Schlangen vor den angesagten Kneipen, aus denen fast immer Livemusik dringt.

Hinter den mit Regentropfen besprenkelten Fensterscheiben sieht man reges Treiben in gut gefüllten Restaurants. »Die Glaswegians gehen gerne aus!«, bestätigt Daniel Pilkington. Er ist Glasgows »Restaurant Association Manager« und Mitglied von »Slowfood«, einer Gruppe, die auch in Schottland sehr aktiv ist.

Gerade im Stadtteil Finnieston treibt das Nachtleben bunte Blüten. Neue schottische Küche und eine große Portion gute Stimmung ist es, was die Leute hier an die Tische zieht. Die Auswahl ist seit ein paar Jahren riesig. Trendige Restaurant, Pubs und Cafés reihen sich aneinander. Anfang des Jahres nannte die »Times« Finnieston sogar »the hippest place ­to live in the UK«.

Aber das war nicht immer so. Die mit ihren rund 600.000 Einwohnern größte Stadt Schottlands galt lange als ungeliebtes Aschenputtel. Auch vor Finnieston lag damals noch ein langer Weg vom grauen Arbeiterquartier bis zum Trendviertel. Schwerindustrie, Werften, Motorenwerke und der Handel brachten der Metropole während der Industrialisierung Arbeit für Massen und einen Wohlstand, der sich heute noch in den prachtvollen Bauten der Innenstadt spiegelt.

Nach dem Ersten Weltkrieg aber war es damit vorbei. Als sich dann in den 1970er- und 1980er-Jahren die Indus­trietore nach und nach schlossen, gab es eine Massenarbeitslosigkeit, die zum sozialen Verfall der Stadt führte. Eine Zeit lang hatte Glasgow den Ruf, die gefährlichste Stadt des Vereinigten Königreichs zu sein.

Aber »dirty« Glasgow hat sich gewandelt, geradezu neu erfunden. Jetzt lebt es seine Sonnenseite: Am Fluss Clyde ist eines der ambitioniertesten Revitalisierungsprogramme Großbritanniens umgesetzt worden. Über 200 Projekte auf beiden Seiten des Flusses schaffen auf insgesamt zwanzig Kilometern neuen Wohnraum, Büroflächen, Museen und Sportstadien, Grünflächen und Hotels. Mit dem »Glasgow Science Centre«, dem »Glasgow Tower« und dem »Clyde Auditorium« von Sir Norman Foster hat die Stadt auch neue, attraktive Architekturdenkmäler mit touristischer An­ziehungskraft bekommen.

Royal und schick

»Vielleicht ist die Stadt ja so experimentierfreudig, weil sie jede Menge Kreativität anzieht«, mutmaßt auch Daniel Pilkington. Die Mieten sind günstiger als in London und Edinburgh, Platz ist da. Ein junges Publikum auch. Mit vier Universitäten lockt die Stadt Trendsetter an. Und Berührungsängste kennt man hier nicht. Studenten stoßen mit Uniprofessoren bei »Ox and Finch« an, prosten sich bei »The Gannet« oder im »Stravaigin« zu. Gerade der Stadtteil Finnieston wirkt wie ein Auffangbecken für internationales Kreativpotenzial.

Nicht nur das Design der Läden ist erfrischend anders –  modern, aber gemütlich. Auch die Köche präsentieren sich in Experimentierlaune: Da kommt das schottische Nationalgericht Haggis – ein mit Innereien gefüllter Schafsmagen – in exotisch gewürzter Variation auf den Tisch. Und Black Pudding, eine britische Blutwurst, zeigt sich stilsicher in moderner Begleitung. Auf dem Foodfestival »Let’s eat«, das diesen September zum zweiten Mal die alten Industriehallen am Rande von Finnieston füllte, stellten sich stolz die Produzenten mit ihren Erzeugnissen vor, die vor allem im Umland von Glasgow zum Erfolg der neuen Restaurantszene beitragen: Wild- und Lammfleisch, alte Gemüsesorten, frische Langusten, Austern, Muscheln aller Art – das ist der Stoff, aus dem die neuen schottischen Foodträume sind. In delikate Köstlichkeiten verwandelt von Topköchen, die auf dem Foodfestival Proben ihrer Kunst zubereiten und (gern auch mal) mit tätowierter Hand gegrillten Schweinebauch, neu kreiertes Curry oder Black Pudding in moderner Form über den provisorischen Tresen reichen. Eine spannende Foodszene, rau, aber herzlich, Grenzen überschreitend und trotzdem traditionsbewusst.

Gordon Ramsay hatte übrigens gastrotechnisch in Glasgow nichts verloren. Sein Restaurant »Amaryllis«, das er 2001 hier eröffnete, bekam zwar schnell einen Michelin-Stern, schloss aber bereits nach drei Jahren wieder. Seitdem erreichten die Weihen der Haute Cuisine Glasgow nie wieder. Ganz im Gegensatz zu Edinburgh. Nur eine knappe Autostunde weiter östlich liegt Schottlands Hauptstadt, und doch trennen die beiden Städte Welten. Nicht nur, weil die Gastroszene feiner und eleganter ist – das ganze Klima im Mikrokosmos atmet hier königliche Noblesse.

Liegt das an Edinburgh Castle, dessen Wurzeln bis ins 11. Jahrhundert reichen und das wie ein Adlerhorst hoch über der Stadt thront? Oder an der Tatsache, dass Queen Elizabeth II. sich gern im prächtigen Holyroodhouse, der offiziellen Residenz der britischen Königin in Schottland, aufhält? Die Royal Mile, die Burg und Palast über eine knapp zwei Kilometer lange Straße verbindet, ist – klar – mit Touristen überfüllt. Aber hier liegen auch einige Gas­tro-Highlights – wie zum Beispiel »The Witchery«: ein mittelalterliches Restaurant mit niedrigen Decken und reicher Holzverkleidung, das mit einer beachtlichen Weinkarte aufwarten kann. Abgesehen von seinen historischen Werten kann auch die Küche überzeugen. Wer die Royal Mile entlangschlendert, sollte auch in die »Closes« schauen – schmale Gassen im mittelalterlichen Labyrinth, in denen sich Kleinode wie die »Old Town Chambers« verstecken: eine charmante Appartementresidenz, die mit dezentem, aber modernem Luxus und Ruhe aufwartet.

Zwischen Tweed- und Cashmere-Shops finden sich in der Altstadt ebenfalls sehr gute Whisky-Läden mit einer Auswahl, die umwerfend ist. 500 verschiedene Whiskysorten hat zum Beispiel »Whisky & Wine« im Angebot – inklusive profundem Fachwissen. Auch das »Scotch Whisky Heritage Centre« hat hier seinen Sitz. Wer sich in die Materie des flüssigen Goldes und Nationalgetränks Schottlands einarbeiten will, ist zum Beispiel im Bernsteinzimmer genau richtig! Auf der Suche nach regionalen Produkten und der authentischen »Food-Handschrift« Edinburghs landet man automatisch bei Nell. Die Foodjournalistin führt auf einer Gourmetsafari zu den spannendsten Plätzen ihrer Heimatstadt.

Großartiger Käse wird in »Mellis Cheese Shop« probiert, eine fluffige Steakpastete und starkes Bier im Pub »Cask and Barrel«, köstliche Schokolade im kleinen Laden »Coco Chocolate« und umwerfend aromatische, in Sahne und Wein-Kräutersud gegarte Muscheln im »Blackwood’s Bar & Grill«.

Seafood ist natürlich auch das Thema der Restaurants, die sich in Leith, dem Hafenviertel von Edinburgh mit Bestlage am und Blick auf das Wasser, aneinanderreihen – wie zum Beispiel das von Martin Wishart, dem Küchenchef, der schon seit 2001 seinen Michelin-Stern verteidigt.

Die Kreationen des Meisterkochs kann man auch in seiner ländlichen Dependance probieren. Die liegt ganz romantisch am Loch Lomond im »The Trossachs National Park«.

Die Türme des 5-Sterne-Hotels »Cameron House« recken sich in den Himmel, Efeu zieht sich die Mauern empor. Im nostalgischen Ambiente des Restaurants »Martin Wishart at Loch Lomond« kommen getauchte Jakobsmuscheln von den Orkney-Inseln mit Ponzu und weißem Rettich oder Rotwild aus den Highlands oder Loin und Bauch vom Blackface-Lamm mit gerösteten Artischocken auf den Tisch. Ein wunderbarer Ort, um nach dem Essen bei Kaminfeuer und einem Glas Whisky über die Seele Schottlands zu philosophieren.

Märchenhafter Ort

Rund 200 Meilen weiter nordwestlich zeigt sich Schottland von seiner ganz rauen Seite. Hier auf der Isle of Skye zerrt und zupft der Wind an den Haaren. An einem einzigen Tag kann man alle vier Jahreszeiten auf einmal erleben, auf Feen und Gespenster treffen – und in jedem Fall auf eine der besten schottischen Küchen des Landes. 9000 Menschen und mindestens doppelt so viele Schafe bevölkern die wild-romantische Insel, die als viertschönste der Welt gilt.

Von den Einheimischen wird sie auf Gälisch »An t-Eilean Sgitheanach« oder auch »Eilean a’ Cheò« – Insel des Nebels – genannt. Genau hier, ganz einsam am Fuße der Kinloch Hills am Loch ma Dal gelegen, befindet sich die Heimat einer der wichtigsten Botschafterinnen der schottischen Küche: Claire Macdonald, die Bestseller-Kochbücher geschrieben hat, eine weltberühmte Kochschule führt und auf der Insel bekannt ist wie ein bunter Hund.

Die tradierten schottischen Rezepte hat Macdonald in der »Kinloch Lodge« ins Heute übersetzt; die Zutaten kauft Küchenchef Marcello Tully für das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant fast ausschließlich bei lokalen Farmern, Fischern und Jägern in der Nähe der Lodge, die Macdonald zusammen mit ihrem Mann Godfrey in ein behagliches Hideaway verwandelt hat. Trotz allen Erfolgs ist die Mutter von vier Kindern auf dem Boden geblieben: »Bei all den fabel­haften schottischen Naturprodukten gehört eigentlich nicht viel dazu, köstliche Gerichte ­zuzubereiten.« Heute führt ihre Tochter ­Isa­bella die Geschäfte der Lodge.

Isle of Whisky

Das Feuer im Kamin lodert, während die Kochschüler noch zusammensitzen und sich über die Reste der unwiderstehlichen schokoladen- und rummarinierten Traubenterrine hermachen. An der kleinen Bar steht jetzt Jack und winkt mit einem Whiskyglas: »Ein Schluck gefällig?« Mit einem herrlich weichen Talisker Single Malt den Abend beenden – why not? Zum Whiskytrinken ist man hier am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Denn die berühmte Destillerie liegt fast um die Ecke.

Der bernsteinfarbene, auf der Isle of Skye produzierte Whisky ist etwas ganz Besonderes. Das Malz, aus dem er hergestellt wird, ist äußerst torfig, und das für die Produktion verwendete Wasser, das aus vierzehn verschiedenen Quellen kommt, fließt ebenfalls über Torf. Das gibt dem Single Malt seinen typisch rauchigen, malzig-süßen Geschmack. Die fünf kupfernen Brennblasen der Destillerie am Ufer des Loch Harport, die dort 1831 gegründet wurde, sind zu besichtigen; auf ein anschließendes Whiskytasting sollte niemand verzichten. »Spannend, wie sich der Whisky verändert, je länger er in den Fässern lagert«, begeistert sich ein Teilnehmer. Regelmäßig heimst Talisker Medaillen ein. Er ist eben ein echter Geist der Isle of Skye.

Kulinarische Kreationen

Allgemeine Informationen

Glasgow
www.peoplemakeglasgow.com

Edinburgh
www.visitscotland.com

Schottland
www.visitscotland.com

Buchtipps

  • »Schottland – Zeit für das Beste« (Bruckmann Verlag) oder
  • »Schottland – perfekte Tage mit Kilt und Dudelsack« (Baedeker).

Aus Falstaff Magazin Nr. 07/2016

Brigitte Jurczyk
Autor
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