Spitzenküche im Schnee: das «Da Vittorio» im «Carlton Hotel».

Spitzenküche im Schnee: das «Da Vittorio» im «Carlton Hotel».
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Das Engadin: Ein Paradies für Gourmets

Im Engadin knallen die Champagnerkorken öfter als anderswo. Doch wahre Spitzenküche findet sich hier eher abseits der berühmten Jetset-Destinationen.

«Diese Berge. Diese Weite. Dieses Licht!» Ein wenig pathetisch wirbt das Oberengadin für seine Landschaft. Aber der Slogan bringt die Sache auf den Punkt. Es sind tatsächlich diese drei Elemente, die die einmalige Kulisse des Hochgebirgstals prägen. Man könnte noch hinzu­fügen: diese Seen, diese Alpenflora, diese Champa­gnerluft! Es ist kein Wunder, dass das Engadin ein Magnet für Schönheitshungrige aus aller Herren Länder ist.

Kein Geheimnis ist dabei, dass besonders die Region St. Moritz Gäste anzieht, die nicht nur das Ästhetische und Unverwechselbare lieben, sondern sich solches auch in hohem Masse leisten können. Die Nobel­destination ist besonders zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag ein Treffpunkt des Jetsets. Hier wird in informellem Rahmen manchmal mehr Business angebahnt als übers Jahr in den Metropolen. Für andere ist diese Zeit weniger erholsam. Wer hier als Koch arbeitet, schläft in diesen Tagen nur ganz wenig. Das Engadin ist ein Epizentrum der gehobenen Gastronomie. Gourmetrestaurants gab es hier zwar schon in früheren Jahrzehnten. Kennzeichnend für die jüngste Zeit ist, dass die vormals meist nur mittelmässigen Hotelküchen rasant aufgeholt haben und heute mit der Spitze mithalten.

Die Preise? Wer sehr viel Geld loswerden will, kann das hier natürlich. 2007 hat ein St. Moritzer Hotel für Aufsehen gesorgt, weil es ein Dinner für 6000 Franken pro Person anbot. Dadurch zu erklären ist das, weil mit Romanée-Conti-Richebourg, Château d’Yquem und Cognac Rémy Martin Louis XIII gekocht wurde. Wer das nicht braucht – oder es überhaupt schade findet, solche Kreszenzen zu verkochen –, kann im Engadin aber auch zu reellen Preisen vorzüglich tafeln.

Engadinger Avantgarde

Zum Beispiel in Champfèr: Diese kleine Gemeinde steht zwar ein wenig im Schatten des mondänen Nachbars St. Moritz, beherbergt aber mit dem «Talvo» und dem «Ecco St. Moritz» gleich zwei der besten Adressen des Engadins. Am «Talvo» führt kein Weg vorbei, wenn man Gourmet ist. Hier kocht seit 2011 Altmeister Martin Dalsass, der sich zuvor im Restaurant «Santabbondio» in der Nähe von Lugano profiliert hatte. Den Ruf des Hauses begründete sein Vorgänger Roland Jöhri, der hier den Kaviar mit dem grossen Löffel anzurichten wusste und die Lebensversicherung der Champagnerhäuser war. Das Haus ist ein Bijou. Aussen zeigt es Alt-Engadiner Charme, gespeist wird dann inmitten von Arvenholz. Dalsass kocht derweil mediterran, bekömmlich, produktnah und vergleichsweise schlicht. «Cucina sincera», ehrliche Küche, nennt er sein Menü – man darf nicht vergessen, dass hier wegen der Nähe zur Lombardei das Italienische schon fast Landessprache ist. Empfehlenswert ist ganz besonders die Grouse, das schottische Moorhuhn. So etwas können nur wenige Köche auf die Karte setzen.

Wenige Schritte entfernt erwartet den Gast ein denkbar grosser Kontrast. Im «Giardino Mountain» dominiert vor allem zeitgenös­sisches Flair, obschon auch Altsubstanz in den Komplex integriert ist.

Das Resort in Champfèr ist Teil einer kleinen Gruppe, zu der zwei Häuser im Tessin und neuerdings auch eines in Zürich ge­­hören. Die kulinarische Zierde des «Giar­dino» ist das Restaurant «Ecco St. Moritz», bis vor kurzem unter dem Namen «Ecco on Snow» bekannt. Es ist im Untergeschoss in einem fantastisch ausgezierten Gewölbesaal untergebracht. Hier kocht während der Wintermonate – im Sommer kann man seine Kunst in Ascona geniessen – der junge Rolf Fliegauf.  Seine Küche ist von der Avantgarde geprägt, aber von den denaturierenden Techniken der Molekularküche dennoch weit entfernt. Seine Präsentationen sind puristisch, ungemein vielfältig, manchmal auch witzig, etwa der Flammkuchenraviolo mit Trüffel. Mit seiner entspannt-modernen Küche steht Rolf Fliegauf ziemlich einsam in der Engadiner Gourmetlandschaft.

Luxushotel und Spitzenküche

Im Engadin gibt es eine ganze Reihe von traumhaften Hotelpalästen aus der Belle ­Époque. Nicht selten haben potente Mäzene tief in die Tasche gegriffen, um sie nach denkmalpflegerischen Kriterien zu restaurieren, etwa den «Kronenhof Pontresina». Eine gute Investition? Kaum. Für solche Arbeiten werden Beträge aufgeworfen, die nie und nimmer mit dem Hotelbetrieb wieder ein­gebracht werden können.

St. Moritz bietet aber auch ganz grosse Hotellerie, in der die Gastronomie einen prominenten Platz einnimmt. Zum Beispiel im «Badrutt’s Palace». Das Vorzeigehotel war im 19. Jahrhundert einer der Pionierbetriebe und steinernes Symbol des touristischen Aufschwungs. Im kulinarischen Epizentrum «La Coupole» spricht man heute japanisch: No­buyuki Matsuhisa, besser bekannt als Nobu, be­treibt hier eines seiner raren «Matsuhisa»-Restaurants. Einen besonders publicityträchtigen Coup haben die Verantwortlichen zudem gelandet, indem sie Andreas Caminada unlängst zur Eröffnung des Restaurants «Igniv» haben motivieren können. Es ist das zweite Lokal dieses Namens, nachdem sich sein Konzept einer schwellenfreien Gourmetküche bereits in Bad Ragaz bewährt hat. Da wollte natürlich das «Carlton Hotel» nicht hintanstehen. Auch hier hat man einen grossen Fisch an Land gezogen. In den Wintermonaten wirken im Restaurant «Da Vittorio» nämlich Enrico und Roberto Cerea, die ihr gleichnamiges Stammhaus in Brusaporto unweit Bergamo in die absolute Top-Liga Italiens gekocht haben. Da geht es natürlich sehr italienisch zu und her, aber auch Kaviar und Trüffel haben ihren ge­­bührenden Platz. Dass man auch ausserhalb der Region St. Moritz Grosses bewirken kann, beweist Dario Cadonau in Brail, an der Grenze zwischen Ober- und Unterengadin. «In Lain», so der Name des Hotelrestaurants, bedeutet auf Rätoromanisch «aus Holz».

Zum Unternehmen gehört nämlich eine Holzmanufaktur, die Darios Bruder Marco betreibt – an Rohstoff dazu fehlt es in dieser etwas abgelegenen, wildromantischen Gegend wahrlich nicht. Dario, der zielstrebig-motivierte Rochat- und Wohlfahrt-Schüler, erklettert derweil die Leiter der Gourmetführer-Ratings. Er zelebriert eine frische, behutsam moderne Küchenkunst, die nicht zuletzt mit aparten Präsentationen auffällt. Dass dabei Holz eine prominente Rolle spielt, wundert nicht.

Die Samnauner werden es vielleicht nicht schätzen, dass man ihr Hochtal am Ostrand der Schweiz dem Engadin zuschlägt. Hier liegt Innsbruck ungleich näher als Zürich. Aber wenn es um die kulinarische Geografie geht, darf man wohl grosszügig sein. Jedenfalls hat sich hier das Hotel «Haus Homann», ein klassischer Familienbetrieb, mit beispielhaftem Fleiss an die Spitze der Hierarchie gekocht. Man kann nur staunen über die Sorgfalt, Präzision und Vielfalt, die hier herrschen – und über die moderaten Preise. Die Fahrt dahin mag lang sein – und im Schlussabschnitt durch enge Tunnels sogar ein wenig abenteuerlich. Die Küche im «Ho­­mann» lohnt die Mühe reichlich. Ein Favorit in der Region – und trotz hoher Ratings immer noch ein bisschen ein Geheimtipp.

Erschienen in
Gourmet im Schnee 2017

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Stephan Thomas
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