© Getty Images | spreephoto.de

Berlin: Weltreise an einem Tag

Keine andere Stadt in Deutschland hält mit Berlin mit, wenn es ums Essen geht. Von szeniger Sterneküche bis Naturweinbar: Das Paradies für Foodies befindet sich hier.

Kürzlich hatten Kajo und Vladi wieder Besuch vom Chef. Also, genau genommen ist es nicht mehr ihr Chef, aber sie nennen ihn immer noch so. Sven Elverfeld war in der Stadt. Einer von zehn Drei-Sterne-Köchen in Deutschland. Ideengeber und Visionär im »Aqua« in Wolfsburg. Kajo und Vladi arbeiteten unter ihm, bevor sie in Berlin ihr eigenes Ding machten. Jedenfalls, sagt Vladi, »der Chef war wieder begeistert«.

Die Jungs, die mit vollem Namen Kajo Hiesl und Vladislav Gachyn heißen, haben an der Oranienstraße in Kreuzberg eine Pommesbude eröffnet. Aber nicht irgendeine, sondern eben eine mit Sternenglanz, »Goldies« heißt sie. Gachyn und Hiesl machen alle Saucen selbst, die passende Kartoffelsorte (Agria) stand erst nach etlichen Versuchen fest, frittiert werden die Stäbchen je nach Kundenwunsch in Rinderfett oder Pflanzenöl – doppelt, natürlich. Und man muss Elverfeld recht geben: Die Fritten schmecken fantastisch, herrlich knusprig, vollaromatisch. Dazu gibt es auf Wunsch Trüffel, Roastbeef oder Eisbein, und so kommen selbst verkaterte Partygäste in den Genuss von Gourmet-Knowhow. Der Laden läuft: »Wir haben jetzt auch am Montag geöffnet«, sagt Vladi Gachyn und grinst, »der Montag ist der Sonntag Berlins.«

Ja, so ist das. Auch wenn man versucht, dem Klischee aus dem Weg zu gehen: Berlins Ruf als Partyhauptstadt ist unangefochten. Leben und feiern, dann auskatern und ausruhen – konventionell leben können andere. In der Hauptstadt läuft das Leben noch immer ein wenig anders als sonst in Deutschland. Hier ist möglich, was sich anderswo noch nicht durchgesetzt hat. Zu jeder Tages- und Nachtzeit frühstücken, zum Beispiel. Zu diesem Zweck hat das »Benedict« in Wilmersdorf täglich 24 Stunden geöffnet.

Muss man anscheinend mal gemacht haben: In einer Umgebung, die absolut »instagrammable« ist, stehen an einem gewöhnlichen Dienstagvormittag etliche Gäste Schlange, Sprachfetzen von Spanisch bis Englisch wabern durch die Luft. Kulinarisch fühlt sich hier jeder zu Hause, neben den hervorragenden Eggs Benedict mit Feigen auf einer fingerdicken Scheibe Sauerteigbrot gibt’s hier auch Frittata, Pancakes oder ein Balkan-Omelette.

Die Lokalkette »Benedict« stammt aus Israel und könnte auch in London stehen oder in New York. In Deutschland fällt einem dagegen kaum eine Stadt ein, in der das Konzept funktionieren würde. Hamburg? Vielleicht am Wochenende. München? Schon mal gar nicht. So was geht nur in Berlin. Auch wenn London die deutsche Hauptstadt als Foodie-Hotspot mittlerweile wieder abgelöst hat – Berlin bleibt dank der internationalen Einflüsse die spannendste deutsche Stadt. Nirgendwo öffnen so viele Gastronomien, nirgendwo pulsiert die kulinarische Szene so wie hier, und was heute hip ist, kann morgen schon wieder vergessen sein.

»Wir haben jetzt auch am Montag geöffnet«, sagt Vladi Gachyn und grinst, »der Montag ist der Sonntag Berlins.«
Vladi Gachyn, Pommesbuden-Besitzer

Stehen bleiben darf man nicht, das ist klar. Bei so viel Hipstertum könnte man eine Rückkehr zur Klassik schon fast wieder als revolutionär feiern. So wie sich der »Pauly Saal« in Mitte unter der neuen Küchenleitung von Dirk Gieselmann tatsächlich wieder verstärkt der französischen Küche widmet, und zwar sehr gut. Die Gäste, viele Amerikaner aus der Galeristenszene, lieben das. Einstige Pioniere wie die »Cordobar« (mittlerweile schlicht »Cordo«) sind längst arriviert – nicht falsch verstehen, unter dem Großtalent Yannic Stockhausen hat die Küche einen großen Sprung nach vorn gemacht. Noch nie war das Essen hier so gut wie bei ihm. Aber im Gegensatz zu früher ist spätestens um Mitternacht Schluss, auch den Nachbarn zuliebe.

Der frühere »Cordobar«-Wirt Willi Schlögl ist weitergezogen und hat gemeinsam mit dem Ex-Nobelhart-&-Schmutzig-Sommelier Johannes Schellhorn eine eigene Weinbar eröffnet. In der »Freundschaft« stehen heute die spannenderen Weine auf der Karte, launig gegliedert in einem Buch, das neben einer Sektion »Burgenland« ein paar Seiten weiter auch noch die Rubrik »Burgenland intellektuell« führt, den Spaß gönnen sich die beiden Österreicher. Einziger Eintrag: Roland Velich und sein Weingut Moric.

Noch im Status eines Geheimtipps ist dagegen »Palsta«, eine Weinbar mit nordischer Küche im angesagten Schillerkiez von Neukölln. In einer Wohngegend mit Blick aufs Tempelhofer Feld hat sich die Finnin Viivi Haussila-Seppo, 36, den Traum der eigenen Gastronomie erfüllt. Sie kam aus Helsinki nach Berlin, feierte erstmal ein Jahr durch und eröffnete dann ihre Weinbar. Haussila-Seppo bietet eine höchst individuelle, spannende Auswahl von 80 Naturweinen an. Ihr Küchenchef, der Däne Filip Sondergaard, liefert kleine Gerichte zum Teilen, vieles davon vegetarisch, manches fermentiert.

Während also selbst in Neukölln langsam Gourmetkultur einzieht, hat sich auf der anderen Seite der Stadt ein bekannter Sehnsuchtsort für Feinschmecker neu herausgeputzt. Das KaDeWe in Charlottenburg ist Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt und hat seit der umfänglichen Renovierung durch Stararchitekt Rem Koolhaas nochmals an Renommee gewonnen. Insbesondere die sagenumwobene sechste Etage des Luxuskaufhauses wurde aufgerüstet: Die Feinkost­etage ist nun in vier Quadranten aufgeteilt und nimmt Trends wie Superfood genauso auf (im Restaurant »Daluma«) wie Referenzen an die Stadt (mit dem »KaDeWe Späti«).

Auch wenn die ganz großen Neueröffnungen in diesem Jahr ausblieben – es scheint, als schnaufe die Stadt einmal durch –, die Stadt bleibt das Foodie-Paradies in Deutschland. Zu neuen Höhenflügen hat auch die Küche des Nahen Ostens angesetzt. Vorreiter ist das »Prism«, in dem Gal Ben Moshe seine hochgelobte Modern Levantine Cuisine serviert. Aber auch das »Layla« des israelischen Spitzenkochs Meir Adoni boomt. Und nur, damit das nicht untergeht: Alte Bekannte wie der »Capital Club« am Gendarmenmarkt oder das »Ritz-Carlton« mit seinem Barchef Arnd Heissen sind nach wie vor einen Besuch wert. In bestechender Form ist auch Björn Swanson im »Golvet«, gerade zum Berliner Meisterkoch gekürt. Also, falls Sie überlegen: schon wieder Berlin? – Unbedingt, es lohnt sich. Immer.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2019

Zum Magazin

Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
Autor
Mehr entdecken
Hotel
The Ritz-Carlton Berlin
Für rund 40 Millionen Euro wurde das Hotel zuletzt umgebaut und lässt nun das Flair der 1920er...
Potsdamer Platz 3, 10785 Berlin
Restaurant
Pauly Saal
Etwas überraschend übernahm Dirk Gieselmann im April die kulinarische Leitung im...
Auguststraße 11-13, 10117 Berlin
Restaurant
Freundschaft
Dass Wein trinken auch cool sein kann, beweisen Willi Schlögl und Johannes Schellhorn nun seit...
Mittelstraße 1, 10117 Berlin
Cocktailbar
Thelonious Bar
»Drinks, Baby!« ist das Motto der sympathischen Bar in Neukölln. Im gemütlichen Halbdunkel mixt...
Weserstraße 202, 12047 Berlin
Mehr zum Thema