Kürzlich eröffnet: Das neue Restaurant »The Grill« im Casino Baden-Baden integriert 70er-Jahre-Dekor.

Kürzlich eröffnet: Das neue Restaurant »The Grill« im Casino Baden-Baden integriert 70er-Jahre-Dekor.
© atelier-altenkirch.de

Baden-Baden: Verjüngungskur für eine Kurstadt

Cool und glamourös, aber auch intim und geerdet: Baden-Baden ist ein Geheimtipp für einen gemütlichen Städteurlaub im Grünen. Und jetzt verjüngt sich die Kurstadt auch noch.

Die Kugel rollt, gebannt verfolgt ein Dutzend Augenpaare ihren Lauf. Rund um den Roulette-Tisch sitzen Herren in dunklen Anzügen. Manche der Gäste sind aus Asien oder Amerika ins Casino Baden-Baden gekommen, um das Flair des alten Europa zu atmen und hier ihr Glück zu versuchen. Auch Prominenz ziert die Runde – und Damen in kostspieliger Abendgarderobe. Neben den Tischen stehen Kiebitze, die allein ihre Neugier zu Casino-Besuchern macht – ohne die Ab­­sicht, selbst zu spielen. Von erhöhten Sitzen herab fixieren Croupiers die Szenerie. Ist die Kugel gefallen, annoncieren sie das Resultat und urteilen über Gewinn und Verlust.

Es ist ein Bild von Würde und Grandeur: Mehrere riesige Kronleuchter tauchen den Roten Saal, in dem die Roulette-Tische stehen, in ein warmes Licht, Stuck und Deckengemälde tragen das Ihre zur Atmosphäre bei. Den Durchgang dieses Saals zum Wintergarten ziert sogar ein Theatervorhang – ein Hinweis auf eine frühere Nutzung der Räume. Denn nach der Gründung der Spielbank im Jahr 1838 nützte deren Inhaber Edouard Bénazet die Räumlichkeiten auch für Theateraufführungen.

Mondänes Baden-Baden

Bénazets Vater Jacques war der Pächter der Spielsäle im Pariser Palais Royal. Nachdem in Frankreich ein Spielverbot erlassen worden war, ging er kurz entschlossen über den Rhein, um sein Geschäft in Baden-Baden fortzuführen. Mobiliar ließ er sich aus Paris kommen. So wurde Bénazet zum Gründer des mondänen Baden-Baden, das Kur- und Bäderbetrieb mit frankophilem Touch und internationaler Ausstrahlung versah – eine Tönung, die dem Aushängeschild des einstigen Großherzogtums bis heute erhalten blieb.

»Wir sind eines der wenigen Casinos hier­zulande, das noch immer einen französischen Roulette-Tisch betreibt«, sagt Casino-Direktor Thomas Schindler, »trotz des hohen Aufwands, denn der französische Tisch verlangt fünf Croupiers – vier aktive und jeweils einen in Pause.« Dann lenkt der gebürtige Bremer den Schritt in den gerade eben mit einer In­­vestition von drei Millionen Euro erneuerten gastronomischen Bereich des Casinos.

Der »Bernstein«-Club richtet sich an jüngeres Publikum, das vor allem Zerstreuung sucht – und sich in Plauderlaune an die Cocktailbar setzen oder sich bei einer Flasche Champagner in eine der Sitzgruppen oder den VIP-Bereich zurückziehen kann. Im brandneu eröffneten Restaurant »The Grill« wiederum stehen Steaks und Sushi neben Bistro-Klassikern auf der Karte. Die neue Raumgestaltung verbindet Bequemlichkeit mit der Funktionalität einer Brasserie, wobei das 70er-Jahre-Dekor des vormaligen Restaurants »Sommergarten« in Form von Wandmosaiken und kupferner Raumdecke erhalten und integriert wurde.

Das neue Baden-Baden

Verjüngung ist nicht nur im Casino das derzeitige Leitmotiv Baden-Badens. »Weg vom Rollator-Image«, formuliert es Matthias Trui von der Baden-Baden Kur & Tourismus GmbH. Und eine der alteingesessenen Institutionen in der Bäderstadt geht mit bestem Beispiel ­voran: »Brenners Park-Hotel« ist als Grandhotel von Rang bekannt. Kenner lieben es für seine gepflegte Patina, für seine wunderbare Detailversessenheit und für seinen gewählten Um­­gangston. Doch »Brenners« hat auch ein Bewusst­sein davon, dass sich Tradition stets erneuern muss.

Mit der komplett renovierten »Villa Stéphanie« wenige Schritte vom Haupthaus entfernt beschreitet das Mitglied der »Oetker Collection« einen neuen Weg: Die Villa ist eine Mi­­schung aus luxuriösem Hide-away, entspannter Wellness-Oase und Sanatorium light. Vom Zahnarzt bis zum Internisten sind alle wesentlichen medizinischen Fachrichtungen vertreten. »Gerade beruflich stark eingespannte Gäste, die nur ein paar wenige Tage im Jahr Zeit haben und sich dann im Urlaub rundum durchchecken lassen wollen, nützen das Angebot gern«, weiß Bärbel Göhner, die bei »Brenners« für die Kommunikation zuständig ist. In den hellen Doppelzimmern mit Balkon und Parkblick ist gut entspannen, in den Suiten sitzt man im Sessel »Archibald«, einer der neuesten Schöpfungen des Edel-Polsterers »Poltrona Frau«.

Dazu kann man einen Thorens-Plattenspieler in Gang setzen. Für die Nachtruhe gibt es die Option »Digital Detox«: ­Mittels eines Zentralschalters lassen sich alle Stromkreis­läufe sowie das WLAN deaktivieren. Das Klima im Haus ist entspannt: Es gilt nicht als unschicklich, sich auf dem Rückweg von Pool, Sauna oder Hamam im Bademantel auf einen Drink in die Bibliothek zu setzen. Für den gastronomischen Service stehen die Restaurants des Haupthauses zur Verfügung, und auch da hat sich »Brenners« in den letzten Jahren neu aufgestellt. Mit dem 35-jährigen Paul Stradner kam ein talentierter junger Österreicher über Zwischenstationen bei Harald Wohlfahrt und – natürlich – in ­Frankreich nach Baden-Baden. »Wir sind ein junges Team im Restaurant, unser ältester Mitarbeiter ist 43, der reißt den Schnitt hoch«, amüsiert sich Stradner, setzt aber ernst nach: »Viele denken, dass es steif abläuft bei uns. Und die Immobilie gibt natürlich schon ein bissel vor. Aber wenn die Gäste dann hier sitzen, sind sie doch überrascht und sagen: Das ist ja ganz entspannt bei euch.«

Willkommene Lockerheit

Bei Gästen und Kritik kommt diese neue Lockerheit gleichermaßen gut an, zumal Stradners Küche Raffinesse besitzt. Der Spagat zwischen den Notwendigkeiten einer Hotelküche und zwischen traditionellem und modernem Anspruch gelingt ihm spielerisch – etwa mit einem auskomponierten vegetarischen Menü und mit »Vital«-Gerichten ohne Laktose und Gluten. Aber ebenso, wenn er den opulenten Klassiker »Rehrücken Baden-Baden« in drei Gänge zergliedert, mit einer getrüffelten Essenz als erstem Akt, dem am Tisch tranchierten Rücken als Hauptgang sowie mit kleinen Filets, Spätzle und Wacholder zum Abschluss.

»Es geht mir darum, alte Rezepte in unsere Zeit zu holen. So, dass es die älteren Gäste wiedererkennen, aber dass es zugleich für die jüngeren kein alter Schinken ist.« Was Stradner überdies damit meint, wenn er sagt, dass er »nach einer Küche mit französischem Einschlag« suche, die aber zugleich leicht sei, das zeigt er, wenn er ein gebratenes und mit Kalbsjus glasiertes Bries mit fluffigen Kräuterflädle und einer Holunderblüten-Vinaigrette ins nachgerade Schwerelose verfeinert. Tritt man bei »Brenners« rückseitig aus dem Gebäude, dann steht man am Flüsschen Oos und kann, dieses überquerend, die grüne Lebens­ader Baden-Badens entlangflanieren, die verkehrs­beruhigte Lichtentaler Allee.

Zur anderen Hausseite hin, durchs Hauptportal, gelangt man in die Stadt. Doch die Stadt, das ist in Baden-Baden bei aller mondänen Ausrichtung ein überschaubares Ensemble. So vielfältig Baden-Baden mit seiner regen Kulturszene ist, mit dem spektakulären Frieder-Burda-Museum, mit Festspiel- und Kongresshaus, mit Caracalla-Therme und internationalem Galopprennen in Iffezheim – Baden-Baden ist alles andere als Großstadt. Der Zweiklang aus Natur und Kultur ist allgegenwärtig, allein der Wald nimmt 7500 Hektar der Stadtfläche ein. Auf 330 Hektar wächst Wein – überwiegend Riesling, der auf dem Porphyrboden an den Abhängen des ehemaligen Vulkans Iberg einen markanten Bodenton erhält und daher von Kennern hoch geschätzt wird.

Entschleunigung pur

Dem Städtischen an Baden-Baden bleibt alles Urbane mit seinen groben Begleiterscheinungen erspart – die Uhren gehen eher langsam, wie im »Café König«, das seit 110 Jahren am selben Ort seine feinen Konditorwaren anbietet. Und auch wenn die Verkäuferinnen heute nicht mehr alle dieselbe Körpergröße haben, nicht mehr alle blond sind und ein Häubchen tragen wie noch in den 1950er-Jahren: Das Handwerk wird hier nach wie vor ernst genommen, selbst ihren Vanillezucker stellen die Konditoren des Cafés selbst her. Ähnlich entschleunigt kann man auch an anderen Orten speisen und trinken, etwa im »Le Bistro« unweit des zentralen ­Leopoldplatzes, das neben seiner grundsoliden Küche auch für eine ausgezeichnete Weinkarte mit erstaunlicher Jahrgangstiefe bekannt ist.

Auf einem berühmten Album des »Modern Jazz Quartet« aus 1957 befindet sich ein Stück namens »Baden-Baden«. Offenbar lernten die Musiker die Stadt kennen und schätzen, als sie hier an der Konzertreihe »Jazztime Baden-Baden« teilnahmen – damals veranstaltet und für den Hörfunk aufgezeichnet vom Südwestfunk unter der Federführung seines legendären Jazz-Redakteurs Joachim-Ernst Berendt.

»Baden-Baden« ist ein treibendes Stück Bebop, in dem Milt Jacksons melodiös perlendes Vibraphon auf ein minimalistisch akzentuierendes Piano und auf eine unaffektiert präzise Rhythmusgruppe trifft. Das wirkt sehr cool und bleibt zugleich intim und kammermusikalisch, ist ebenso glamourös wie trocken: Die Musiker scheinen genau verstanden zu haben, was den Markenkern Baden-Badens ausmacht.

Anreise

Per Flugzeug

»Baden Airpark«: Flughafen Karlsruhe-Baden-Baden
Mehrfach täglich Verbindungen von/nach Berlin (Air Berlin) und Hamburg (Eurowings).
Flughafen Stuttgart: 110 km
Flughafen Frankfurt/Main: 170 km

Per Bahn:

Der Bahnhof Baden-Baden liegt etwa sieben Kilometer außerhalb des Stadtzentrums im Stadtteil Oos und wird im Fernverkehr von ICE und EC/IC angefahren.

Aus dem Falstaff Magazin 8/2016
Ulrich Sautter
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Wein-Chefredakteur Deutschland
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