Tasting vom 04.10.2018
Die Idee, den Wein des vergangenen Herbstes zu trinken, muss Adligen und Bürgern früherer Jahrhunderte eher absonderlich vorgekommen sein. Nicht von ungefähr bezeichnet der »Heurige« eine Gattung, die aus der bäuerlichen Lebensart stammt. Hochwertige Weine – gerade auch weiße – benötigten Zeit im Fass, um sich zu klären und kleinere Unebenheiten abzuschleifen. Erst als im 20. Jahrhundert der Schichtenfilter erfunden war und als schließlich immer mehr Möglichkeiten der technischen Einflussnahme aufkamen – von der Temperaturkontrolle über die Reinzuchthefe bis zum Schönungsmittel –, wurden Weine so herstellbar, dass sie schon in ihrer Jugend einen gewissen Appeal verströmten.
Vielleicht brauchte es erst ein Übermaß an Technologiegläubigkeit, um sich nun darauf zurückzubesinnen, dass keine noch so raffinierte Turbo-Vinifikation dem langsamen Reifenlassen des Weins im Fass das Wasser reichen kann. Moderne Reserve-Weine verbinden die Präzision heutigen Rebbaus mit althergebrachten Kellertechniken. Meist lagern diese Weine etwa zwei Jahre im Fass. Übrigens verkörpern sie dann auch den Terroir-Gedanken besonders prägnant, da sich mit der Reife in der Regel auch der Lagencharakter eines Weins verstärkt. Dasselbe gilt auch für jene Weine, die zwar nach einer »normalen« Reifezeit von sechs bis zwölf Monaten abgefüllt werden, dann aber noch vor dem Verkauf auf der Flasche weiterreifen dürfen.
Notizen von Ulrich Sautter