Weinbau vor historischer Kulisse: Die mittelalterliche Festung Carcassonne ist UNESCO-Weltkulturerbe.

Weinbau vor historischer Kulisse: Die mittelalterliche Festung Carcassonne ist UNESCO-Weltkulturerbe.
© mauritius images

Zeit des Umbruchs im Languedoc

Das Languedoc ist Frankreichs Weinbaugebiet Nummer eins – nach Menge. Noch vor 20 Jahren wurde das Potenzial der charakterstarken Terroirs kaum ausgeschöpft. Jetzt krempeln engagierte Winzer die Region um.

Ein Tanklastzug windet sich durch die engen Straßen des kleinen Örtchens Fabrezan. Der Flecken mit seinen 1300 Einwohnern ist umgeben von den Weinbergen der Herkunftsbezeichnung Corbières. Im Ortskern stehen die Häuser dicht und beschreiben eigensinnige Winkel. So kommt es, wie es kommen muss: Der Tanklastzug fährt sich im Gegenverkehr fest. In kürzester Zeit stauen sich drei, vier Fahrzeuge vor dem unter seinen Bremsen ächzenden Koloss. Verkehrskollaps in Fa­brezan! Schon wird gehupt. Das Gesicht des Kraftfahrers aber bleibt unbewegt. Es ist ihm anzusehen: Der Mann kennt Situa­tionen wie diese. Sein stoischer Gesichts­ausdruck sagt: Macht einfach Platz.

Und die nun beginnende Choreografie zeigt, wie erfahren die Bewohner des Lan­guedoc darin sind, sich zu arrangieren: Einige fädeln rückwärts in eine Seitenstra­­-ße ein, andere finden eine offene Toreinfahrt oder eine Nische im Straßenverlauf. Fünfmal Rückwärtsgang, einmal Vorfahrt, und schon sind die Verhältnisse geklärt.

Vom Fass- zum Lagenwein

Château Pech-Latt liegt etwa zehn Kilometer entfernt von Fabrezan auf einer Anhöhe inmitten von Weinbergen und Garrigue. Den Gebäuden nach zu schließen muss das Weingut früher einmal ein feudales Gehöft gewesen sein, der besser erhaltene Teil des Gebäudekomplexes strahlt mit seiner efeuüberwachsenen Fassade und einem kleinen Türmchen noch immer Standesbewusstsein aus. Der eigentliche Reichtum des Guts aber liegt draußen im Feld, 150 Hek­tar ­verwaltet die junge Direktorin Lise Sadirac. Seit 1991 werden alle Weinberge nach Bio-Standard bewirtschaftet, seit 1996 sind sie zertifiziert. »Der qualitative Durchbruch kam, als der frühere Betriebsleiter Jean Vialade – angeregt durch seinen Kontakt zum deutschen Bio-Weinhändler Peter Riegel – die Umstellung vorangetrieben hat. Bis in die 1970er-Jahre hinein wurde das Potenzial überhaupt nicht genützt und der gesamte Wein im Tank als Verschnittware verkauft.«

Von dieser ökonomischen Leidensgeschichte hat sich das Gut längst emanzipiert, nach dem Einstieg des Burgunderhauses Louis Max stehen jetzt sogar lagenspezifische Kelterungen im Vordergrund. Daher lädt Sadirac zu einer Rundfahrt mit ­ihrem Pkw und holpert schon bald über Stock und Stein, während am Rand der Weinberge bewaldete Anhöhen und mäch­tige Kalkfelsen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nahe einer alten Kapelle wachsen mehrheitlich Syrah-Stöcke auf einem Hochplateau für einen Wein namens La Chapelle. Le Charlemagne wiederum stammt von alten Grenache-Stöcken, Le Roc von einer Mischpflanzung aus uralten und ganz jungen Carignan-Reben, die als Buschreben ­gepflanzt sind. Fehlstöcke nachzupflanzen, sei mühsam, sagt Sadirac, der steinige Boden und die Trockenheit sorgen dafür, dass meist erst beim zweiten oder dritten Versuch mal eine Rebe anwächst.

Die Trockenheit ist auch einen Hügel weiter auf Château Cicéron ein großes Thema. Claude Vialade ist die Tochter des Bio-Pioniers Jean Vialade, der in den 1980er-Jahren nicht nur auf Pech-Latt ein prägender Einfluss war. Die Familiengeschichte der Vialades ist erzählenswert: Claude Vialades ­Großvater bekam nach dem Krieg von Résistance-Kämpfern, die er vor den Nazis versteckt hatte, 5000 Franc zugesteckt und kaufte sich mit diesem Geld seinen ersten Weinberg. Die Enkelin nennt mehrere Weingüter ihr Eigen. Und so, wie es ihrem Vater darum ging, mit Bio-Anbau die Böden zu bewahren, sieht es Claude Vialade unter den Bedingungen der Erderwärmung als ihre Pflicht an, die Ressource Wasser zu schonen.

Darum hat sie auf Cicéron einen »Garten der raren Rebsorten« eingerichtet. Hier wachsen etwa die spanischen Weißweintrauben Verdejo und Albariño, die mit der Trockenheit besser klarkommen als die einheimischen Sorten. Die ersten Weine schmecken verheißungsvoll.

Andernorts im Languedoc gehen die Winzer auf der Suche nach Frische und Feuchtigkeit in die Höhe, so etwa Franck Schisano von der Domaine Cathare im Anbaugebiet von Limoux. Er hat Reben auf einem Kalkplateau in 430 Meter Höhe gepflanzt.

Dass er für diese Weine die prestigereiche AOC Limoux nicht verwenden darf, ist ihm egal, denn der Standort verspricht Weine von großer Saftigkeit und Balance. Schließlich kommt auch einer der emblematischen Weine des Languedoc, der Daumas Gassac des 2016 verstorbenen Aimé Guibert, ohne AOC-Label aus. Bis zum heutigen Tag hat die Erkundung kühler, abgelegener Terroirs für diese Wein-Legende den Preis der Beschränkung auf IGP, also Landwein. Aber wen kümmert das schon?

Die Ausstrahlung Bordeaux

In der Appellation La Clape steht Eric Fa­bre auf der Terrasse seines Château d’Anglès und nimmt einen tiefen Atemzug: diese Brise! Als er dieses Grundstück vor einigen Jahren als Kaufinteressent besichtigt hat, wusste er sofort: Das ist es. Das Meer ist etwa zwei Kilometer entfernt. Man hört die Brandung, riecht die Gischt. »Als ich hierher kam«, sagt Fabre, »interessierte mich die rote Rebsorte Mourvèdre, vom Weißwein Bourboulenc hatte ich noch nie gehört.« Heute ist Fabre sein Weißwein genauso lieb wie sein Roter. Der ehemalige Keller meister auf Château Lafite-Rothschild, der nach einem lukrativen Engagement bei der früheren Lafite-Beteiligung La Cardonne die Mittel hatte, an die Mittelmeerküste zu ziehen, ist inzwischen angekommen und macht Wein (fast) wie ein Einheimischer.

Das gilt auch für seine früheren Auftraggeber auf Lafite – die vor genau 20 Jahren mit Château d’Aussières ein zum Stil des Hauses passendes Ensemble fanden: ein Landgut, das funktional und understated wirkt, aus dessen Ländereien indes ein Corbières von Noblesse und Lagerfähigkeit kommt. Der Nimbus Lafite hilft sicher bei der Vermarktung – aber die Weine stehen mühelos für sich selbst und bieten, anders als die Pendants aus Bordeaux, noch ein sehr günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis. Dasselbe gilt auch für Baron’Arques, das Gut der Rothschilds von Mouton, das praktisch zeitgleich zu Aussières in Bor­delaiser Hand kam. In der AOC Limoux erzeugt das Gut neben einem roten Blend auch ausgezeichneten Chardonnay.

Die Wolken hängen tief in den Cevennen und es weht ein ziemlich frischer Wind. Samuel Delafont steht gemeinsam mit seinem önologischen Berater Christophe Grellier in einer Anlage mit Viognier. Die beiden besprechen die Einsaat eines flach wachsenden Thymians unter die Stöcke, um Gräser zu verdrängen und so auf Herbizide verzichten zu können. Delafont hat vor ein paar Jahren angefangen, gekaufte Trauben zu keltern. Jetzt besitzt er schon sieben Hektar eigener Weinberge. Seine gerade eben fertiggestellte Vinothek zeigt, dass die Geschäfte gut laufen. Eindeutig: Die Zukunft des Languedoc, weg vom Fasswein und hin zu ausdrucksstarken Autorenweinen, hat gerade begonnen.

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2019

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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