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Würzburger Stein: Salz und Sinnlichkeit

Der Würzburger Stein ist die Paradelage der fränkischen Barockstadt. Und er atmet Geschichte. Bereits vor mehr als 200 Jahren hatte er einen Markenbotschafter ersten Ranges: Johann Wolfgang von Goethe.

Deutschlands Bahnhöfe stehen im Allgemeinen nicht im Verdacht, zu romantischer Kontemplation einzuladen. Der Würzburger Hauptbahnhof ist da eine Ausnahme, zumindest für jeden, der hier mit dem Blick des Weinliebhabers aus dem Zug steigt. Denn jenseits der Gleise erhebt sich einer der namhaftesten Weinberge, den Planet Wein zu bieten hat: der Würzburger Stein mit seinen mächtigen Terrassen und steilen Weinbergsmauern. Schon am Ende des 18. Jahrhunderts ­war der Wein dieser Lage so berühmt und gesucht, dass der Weinhandelschronist Johann Christian Sinapius 1781 berichtet, »viele tausend Fuder Distelhauser oder Klingenberger« würden »unter dem Na­men Würzburger Steinwein« verkauft, die »die reichen Prasser verschlucken«, ohne dass ihnen dieser »unschuldige Betrug» schade.

Johann Wolfgang von Goethe

Der namhafteste Stein-Liebhaber jener Epoche war Johann Wolfgang von Goethe. Dass Goethe nicht zu den »reichen Prassern« gehörte, auf die Sinopius anspielt, zeigt sich zum einen darin, dass er typischerweise drei- bis sechsmal so viel ein­fachen Würzburger wie Steinwein bestellt hatte. Zum zweiten bat Goethe häufig vor einer Bestellung um Proben – es wird ihm also bewusst gewesen sein, dass selbst bei seinen bevorzugten Weinhändlern nicht alle Partien über jeden Verdacht erhaben waren. Wie sehr Goethe am echten Steinwein und am echten Würzburger hing, ist bestens belegt. So reiste er beispielsweise im April 1820, nicht zum ersten Mal, zur Kur nach Karlsbad. Seiner Pensionswirtin Lucia Heiling­götter schrieb er am 24. März: »Nach Ihrem Wunsch, meine werthe Frau Heilinggötter, vermelde durch Gegenwärtiges, dass ich zu Ende April bei Ihnen einzutreffen und vier Wochen lang zu bleiben hoffe. Auch habe ich einen Eimer Würzburger Wein bestellt, welchen, wie er ankommt, aufzunehmen und wohl zu verwahren bitte.«

Die Größe des von Goethe vorgesehenen Vorrats (ein Eimer entsprach etwa 60 Litern) für einen vierwöchigen Aufenthalt gibt dem Wort »Kur« einen besonderen Beiklang. Noch aussagekräftiger aber ist, ­in welch vorausschauender Weise sich Goethe höchstselbst um die Weinvorräte für seinen Karlsbad-Aufenthalt gekümmert hat. Zweifellos hätte es ja auch vor Ort Wein zu kaufen gegeben, doch Goethe wollte offenbar nicht auf seinen Lieblingswein verzichten, von dem er schon in einem Brief vom 18. Juni 1806 an seine Frau geschrieben hatte: »Schicke mir doch einige Würzburger, denn kein anderer Wein will mir schmecken, und ich bin verdrüßlich, wenn mir mein gewohn­ter Lieblingstrank abgeht.«

Die Geschichte der Lieferung nach Karlsbad geht übrigens weiter. Denn als Goethe den Wein bei seinem Eintreffen am 29. April nicht vorfand, übersandte er dem zuständigen Grenzzollamt ein Kurattest, begleitet von einem Anschreiben, das seinen Ärger recht unverhohlen durchscheinen ließ: »Ein löbliches K. K. Grenzzollamt wird aus der Beylage gefällig ersehen, dass Unterzeichneter einen Eimer Würzburger Wein, enthaltend achtzig Bouteillen, zu seinem eigenen Bedarf hierher bestellt, gegen dessen Einfuhr kein Anstand obwaltet.

Die Spitzenlage

Der Ruhm des Würzburger Steins kommt natürlich nicht von ungefähr, denn zum einen schmiegt sich die Lage wie eine Sichel an den Main. Südausrichtung, Steilhang und der Wärmespeicher der Weinbergsmauern schaffen ein einzigartiges Kleinklima. Zum anderen ist da der Muschelkalkboden, der den klassischen Teil des Steins durchzieht und der gerade der fränkischen Paradesorte Silvaner einen besonders mineralischen Ausdruck verleiht. Daher kann auch kaum Zweifel bestehen, dass Goethe einen echten Steinwein von einem gefälschten zu unterscheiden verstand: So lässt sich der Steinwein beispielsweise an Rauchnoten wiedererkennen, die häu­fig nicht nur im Duft, sondern auch in der Gaumenaromatik festzustellen sind, und ebenso an einem Körper, der zugleich reich, aber immer auch von einer »kühlen« und markant salzigen Anmutung durchzogen ist. Die Weine vom Stein verfügen über Sinnlich­keit, aber nichtsdestotrotz wirken sie oft auch geradezu ab­strakt.

Auch (und erst recht) zu Goethes Zeiten dürften sie zudem deutlich stabiler und lagerfähiger gewesen sein, als dies bei Weinen aus weniger günstigen Lagen der Fall war. Das rechtfertigte auch ihren Preis: Im Jahr 1804 bezahlte Goethe beispielsweise etwas mehr als 26 Thaler für 20 Bouteillen Steinwein, während ein Eimer Würzburger (also die vierfache Menge) mit 28 Thalern nahezu denselben Preis kostete. Die große Lagerfähigkeit der Steinweine bewies 2016 bei einer festlichen Verkostung zum 700-jährigen Jubiläum des Würzburger Bürgerspitals unter anderem ein 1904er-Wein aus der Stein-Teillage Schalksberg. Vermutlich aus einem gemischten Satz gekeltert – genaue Aufzeichnungen fehlen –, zeigte dieser über 100 Jahre alte Wein neben den Aromen von Birne und Zitronenzeste die typischen Rauchnoten und einen noch immer spannungsvollen, geradezu ­bissig-adstringierenden Kern.

Die großen Drei

Eine weitere Eigenart des Würzburger Steins ist die Eigentümerstruktur im Berg: Mit den 85 Hektar, die die Lage in ihrer Definition von 1971 umfasst, ist der Weinberg nicht wirklich klein. Doch es gibt nur sechs Weingüter, die Steinwein produzieren, und drei von ihnen können dabei nur auf kleine Rebflächen zurückgreifen: das Weingut Reiss, das Weingut am Stein von Ludwig Knoll sowie das Weingut Meintzinger in Frickenhausen. 95 Prozent des Steins befinden sich in der Hand der anderen drei Eigentümer: Mit Bürgerspital, Juliusspital und staatlichem Hofkeller haben drei his­torische Dickschiffe die Lage nahezu völ­lig unter sich aufgeteilt. Der Direktor des Weinguts Juliusspital, Horst Kolesch, verweist darauf, dass vermutlich schon bei der Gründung des Juliusspitals im Jahr 1576 Stein-Parzellen zum Stiftungseigentum gehörten. »Die erste urkundliche Erwähnung eines Steinweins aus dem Juliusspital haben wir aus dem Jahr 1582.«

In jüngster Vergangenheit haben die drei großen Würzburger Güter ihre Kräfte zusammengespannt, um eine Eintragung einer geschützten Ursprungsbezeichnung »Würzburger Steinberg« bei der EU zu erwirken. Bürgerspital-Direktor Robert Haller wuchtet einen Stapel Akten auf seinen Schreibtisch und beginnt zu erzählen: »Den Antrag haben wir im Oktober 2014 gestellt, und ich trau’s mich nach fünf Jahren und teils abenteuerlichen Nachfragen aus Brüssel kaum zu sagen, aber inzwischen haben wir das Signal, dass der Antrag auf dem Weg zur letzten Instanz ist.«

Der Würzburger Stein

Der Würzburger Stein besteht in seiner derzeitigen Grenzziehung aus vier Teilen: dem am weitesten vom historischen Stück entfernten und auch räumlich abgetrennt liegenden Lindlesberg, dem Schalksberg im etwas weniger steilen Oststück des Hangs,  aus der besonders steilen Stein-Harfe, die ein Alleinbesitz des Bürgerspitals ist, sowie aus dem westlichen, klassischen Stein. Dieser letzte Teil – ungefähr 36 Hektar groß – wird die zukünftige g.U. umfassen (und vom VDP als Große Lage klassifiziert sein). Schon jetzt ist es innerhalb des VDP so geregelt, dass Schalksberg und Lindlesberg Erste Lagen und Stein-Harfe und die Lagen der künftigen g.U. Große Lagen sind. Durch die Festschreibung in Brüssel erlangt der Name Steinberg einen zusätzlichen internationalen Schutz. »Dabei ist der Name Steinberg keine Erfindung«, unterstreicht Haller. »Wir haben eine Karte aus dem Jahr 1928, die genau diese Bezeichnung für genau den Teil des Steins anführt, der künftig die g.U. bekommen wird.«

Horst Kolesch vom Juliusspital weist weiters darauf hin, dass Janek Schumann in seiner Abschlussarbeit zur Erlangung des Titels Master of Wine die Lagenbonität der einzelnen Stein-Parzellen untersucht hat: »Es ist absolut faszinierend zu sehen, dass die Beschreibungen in historischen Dokumenten nahezu deckungsgleich sind mit den Lagenbewertungen, die wir heute anhand wissenschaftlicher Kriterien vornehmen können.« Die alten Stein-Winzer wussten auch im 18. und 19. Jahrhundert schon, wo die ­besten Stellen im Hang waren, welche Reben am besten taugten und wie sie die Weine zu keltern hatten, um den Naturgegebenheiten den klarestmöglichen Ausdruck zu verleihen. Goethe hatte ein Faible für den einzigartigen Geschmack des Steinweins, und wir schätzen diesen mit ihm, aus den gleichen Gründen und mit dem gleichen Genuss – bis zum heutigen Tag.

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2020

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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