Jean-Nicolas Méo führt das Familienunternehmen »Domaine Méo-Camuzet«.

Jean-Nicolas Méo führt das Familienunternehmen »Domaine Méo-Camuzet«.
© Michel Figuet | Le Figaro Magazine | laif

World Champions: Méo-Camuzet

Jean-Nicolas Méo ist in mehr als 100 Jahren das erste Mitglied seiner Familie, das sich ganz und gar dem Weingut verschrieben hat. Seine Burgunder führen die legendäre Familiensaga weiter und geben ihr eine neue Richtung.

Der Mann, der inmitten des Rebenmeers von Vosne-Romanée sein Handy zückt und Fotos zu machen beginnt, ist alles andere als ein Tourist. Er braucht keine Erinnerungsfotos, und die fein gegliederte Geometrie der Weinberge kennt er aus dem Effeff. Dennoch möchte er an diesem Tag Ende Oktober den Anblick der Reben im Bild festhalten. »Nach der Lese finde ich die Stimmung in den Weinbergen besonders«, sagt Jean-Nicolas Méo und tippt noch mal auf sein Gerät: das Laub des Grand Cru Richebourg in Grün, Gelb und Rot, eine Weinbergsmauer im Vordergrund und unten hangabwärts das Dorf Vosne-Romanée mit seinem Kirchlein. Noch ein Foto hangaufwärts, wo der legendäre Premier Cru Cros Parantoux liegt, und ein drittes nach Norden in die ebenfalls als Premier Cru klassifizierte Lage Les Brûlées, dann steigt Méo zurück in seinen Peugeot 2008.

Nicht ohne weiter Eindrücke zu teilen. »Der Regen am Ende der Lese und die milden Temperaturen haben dieses Jahr etwas gebracht, was ich so noch nie gesehen habe. Das Gras in den Reihen ist noch mal neu gewachsen, ist grün und saftig geworden, und selbst das Laub der Reben hat an Grün gewonnen.« Auch nach 30 Jahren an der Spitze der Domaine Méo-Camuzet gibt es für Jean-Nicolas Méo noch Überraschungen. Auch nach 30 Jahrgängen, in denen Méo einen Spitzenwein nach dem anderen gekeltert hat, ist er niemand, der glaubt, schon alles zu wissen.

Es war 1989, als der damals 25-Jährige die Verantwortung für die Familiendomaine übertragen bekam. Als Absolvent der Pariser Handelshochschule ESCP war er Quereinsteiger: »Ich habe zwar noch in Dijon Önologie studiert, aber eigentlich wusste ich nichts«, erinnert sich Méo an seine Anfangstage am Weingut. All seine Vorfahren hatten die Domaine nur aus der Ferne geleitet: Jean Méo, Jean-Nicolas’ Vater, war in den Fünfzigerjahren Mitglied im Kabinett de Gaulle und lebte in Paris, wo auch Jean-Nicolas aufwuchs. Jean-Nicolas’ Urgroßonkel Étienne Camuzet, auf den der größte Teil des Weinbergsbesitzes zurückgeht, wohnte zwar in Vosne-Romanée, hatte aber als Bürgermeister der Gemeinde und Abgeordneter der Côte-d’Or in der Deputiertenkammer ebenfalls einen anderen Lebensschwerpunkt als die Reben. Er war es auch, der am Ende des Zweiten Weltkriegs die familieneigenen Weinberge in Halbpacht an drei Winzer vergab: an Louis Faurois, Victor Tardy – und an ein 23-jähriges Talent namens Henri Jayer.

»Henri Jayer drehte sich zu mir um und sagte: ›Weißt du, Jean-Nicolas, es ist überhaupt nicht kompliziert, große Weine zu machen.‹ Das habe ich nie vergessen.«
Jean-Nicolas Méo, Domaine Méo-Camuzet

Henri Jayer

Das System der Halbpacht ist in Burgund so alt wie der Weinbau selbst: Der Landbesitzer überlässt einem Winzer seinen Weinberg, stellt meist auch Arbeitsgerät und Materialien, bezahlt aber keinen Lohn. Am Ende des Arbeitsjahres wird der Ertrag an Trauben oder Wein geteilt. Obwohl also Jahr für Jahr ein Ertrag von Spitzenlagen wie Richebourg, Clos de Vougeot und Corton in den Méo-Camuzet-Keller kam, sollte es trotzdem noch bis 1983 dauern, ehe die Weine erstmals unter eigenem Etikett verkauft wurden. Zuvor ging jene Hälfte der Produktion, die der Familie zustand, an den Handel. Als schließlich die Entscheidung gefallen war, dass Jean-Nicolas das Weingut leiten würde, liefen die Halbpachtverträge nach und nach aus. In zwei der Pächterfamilien waren die Pachtverhältnisse bereits an die junge Generation übergegangen, an Jacques und Jean Faurois sowie an Jean Tardy. Der einzige noch direkt von Étienne Camuzet eingesetzte Halbpächter aber war Henri Jayer. Jener Henri Jayer, dessen eigene Weine aus Jahren wie 1978, 1985 und 1988 heute für fünfstellige Beträge gehandelt werden. Der ganz am Beginn seiner Karriere Ende der Vierzigerjahre den winzigen Premier Cru Cros Parantoux wiederbestockt hatte. Jahrzehntelang war die extrem steinige Lage brachgelegen, angeblich soll hier während des Zweiten Weltkriegs sogar Topinambur gewachsen sein. Doch Jayer gelang es, den Wert dieses ungewöhnlichen Weinbergs ins Glas zu bringen, auf 71 Ar auf eigene Rechnung, auf etwas mehr als 30 Ar auf Rechnung von Méo-Camuzet.

1988 ging Jayer in den Ruhestand, doch er willigte ein, Jean-Nicolas Méo unter seine Fittiche zu nehmen. »Henri hat den Vertrag, mich auszubilden, sicher nur gemacht, weil er wusste, dass ich keine Ahnung habe, er hatte keine Lust auf große Diskussionen«, amüsiert sich Jean-Nicolas Méo im Rückblick. »Er hat mich vor allem im Keller angeleitet. In Sachen Weinberg habe ich mehr von Christian Faurois gelernt. Henri war ja schon über 65 und arbeitete nicht mehr oft in den Reben. Aber im Keller gab es diesen einen Moment, den ich nie vergessen werde. Am Ende des ersten Jahres probierten wir zusammen die 89er. Die waren so gut! Und da drehte sich Henri zu mir um und sagte: ›Weißt du, Jean-Nicolas, es ist überhaupt nicht kompliziert, große Weine zu machen.‹ Das habe ich nie vergessen.«

Méo wurde daraufhin schnell flügge und begann »auch eigene Sachen zu machen. Zu meinem Vater hat Jayer gesagt: ›Jetzt muss der Junge selbst Erfahrungen sammeln und eigene Fehler machen.‹ Und zu mir sagte er: ›Wenn du ein Problem hast, ruf mich an.‹ Ich habe immer geliebt, was Henri gemacht hat, so hatte ich wenig Grund zu experimentieren. Manchmal habe ich im Gegensatz zu Henri, der grundsätzlich abgebeert hat, ein paar ganze Trauben mitverwendet, aber ich habe festgestellt, dass das nicht mein Typ Wein ist, ich suche eher Geschmeidigkeit, Cremigkeit und Frucht. Meine Weine sind natür­lich anders als die von Henri, aber der Esprit ist derselbe, eine gewisse Gourmandise«.

Eine neue Zeit

Jean-Nicolas Méo würde das selbst nie so sagen, doch die Schublade »Jayers Nachfolger« wird ihm, so schmeichelhaft sie in der Regel gemeint ist, auf keinen Fall gerecht. Zu viel hat sich getan seit den 1980er-Jahren – zu viel, was Méos steuernde Eingriffe erfordert und dadurch eine eigene Handschrift hervorgebracht hat. So ist heute der Umgang mit Neuholz deutlich subtiler als vor 30 Jahren, auch wenn der Stil von Méo sicher immer noch zu den holzbetonteren gehört. Darüber hinaus ist es Jean-Nicolas Méo aber auch gelungen, jedem Übermaß an Stoffigkeit und Wucht, also in gewissem Sinn einer Übererfüllung des jayerschen Geschmacksprofils, aus dem Weg zu gehen. Selbst unter den Bedingungen des Global-Warming-Jahres 2018 – das zeigen die verkosteten Fassmuster – besitzen die Weine ein wohldosiertes, feines Understatement.

»Was sich aber in den vergangenen Dekaden am meisten geändert hat, ist der Markt für Burgunder«, sagt der studierte Ökonom Méo, »obwohl es insgesamt mehr Wein von hoher Qualität gibt, ist die Nachfrage dennoch enorm gestiegen.« Jean-Nicolas Méo versucht, diesem Sog durch ein zweites Standbein gerecht zu werden, eine Handelslinie, die er gemeinsam mit seinen beiden Schwestern betreibt. Solide Weine, die zwar nicht den letzten Feinschliff der Weingutsweine besitzen, aber dafür auch deutlich moderater kalkuliert sind.

Und so kostspielig die Abfüllungen aus dem Weingut auch erscheinen mögen – die Einnahmen reichen dennoch nicht aus, um die finanziellen Ansprüche aller Familienmitglieder zufriedenzustellen. »Der Wert der Weinberge ist dermaßen gewachsen in den letzten Jahren«, beginnt Jean-Nicolas Méo einen Satz und greift sich ans Kinn. Dass das Begehrlichkeiten geweckt hat, müsste man wohl ergänzen. Bei mehr als zehn Millionen Euro Wert für einen Hektar Grand Cru – Méo-Camuzet besitzt alleine drei Hektar Clos de Vougeot – baute sich offenbar in der Familie ein gewisser Druck auf, zu monetarisieren. Méo spricht von einer »ehrenhaften« Lösung, die gefunden worden sei: Ein stiller Teilhaber ist eingestiegen – dadurch konnten Familienmitglieder, die nicht direkt im Weingut involviert sind, ausbezahlt werden. »Aber die Familie ist natürlich nach wie vor präsent, und ich selbst habe die Mehrheit.«

Mit diesem Schachzug, so schmerzhaft er vielleicht auch gewesen sein mag, sind die Weichen für eine Fortführung des Weinguts in der Familie gestellt. Méos mittlerer Sohn Tristan ist nun 23 und gerade beim Studium der Agrarwissenschaften. Er könnte in ein paar Jahren Jean-Nicolas Méos Nachfolger werden. »Es ist gut, dass er nicht Önologie studiert«, so der Vater, »sondern ganz allgemein ›ingénieur agronome‹. So werde ich ihn an meiner Seite haben, ohne dass er schon deformiert ist.«

Da ist sie dann doch: eine Kontinuität, die Jean-Nicolas Méo heute ziemlich ähnlich denken lässt wie seinen Mentor Henri Jayer vor dreißig Jahren.

Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2019

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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