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Wodka: Comeback einer Legende

Im Wettlauf der Bartender um immer Originelleres und Neues konnte der weitgehend neutrale Wodka lange nicht mithalten. Die Besinnung auf Eigengeschmack und Terroir verändert das massiv.

Wenn es um den Inhalt von Wodka ging, kannte die Brennerszene, traditionell im »Wodka-Gürtel« von Finnland bis in die Ukraine angesiedelt, nur eine Frage: Kartoffeln im polnischen Stil oder doch russisches Getreide von den berühmten Schwarzerde-Böden? Der weichere und reinere Geschmack war gefragt, wobei Letzterer ein Synonym für »neutral« beziehungsweise fehlerfrei war. Denn über Jahrhunderte stellte das »Wässerchen« eine Volks- und damit Wirkungsspirituose dar. Historisch konnten die Polen zwar mit Stefan Falimirz’ 1534 in Krakau publizierter Schrift »O wódkach ziół rozmaitych i o mocy ich« (Zahlreiche Kräuter-Wässer und ihre Wirkung) punkten, dennoch dürften Getreidebrände noch weitaus älter sein.
In der bis heute für ihren Korn berühmten Thüringer Stadt Nordhausen wurde das Destillieren per Dekret bereits seit 1507 besteuert. Doch auch in der Korn-Hochburg Deutschland legt heute der Wodka zu (jährliches Plus: 1,7 Prozent). Ironischerweise passiert das, indem man sich Anleihen beim Kornbrand holt. Denn der schmeckt je nach Region intensiv nach Roggen, Weizen oder Buchweizen, während sich Wodka durch möglichst neutralen Geschmack auszeichnet. So legen viele Hersteller auch in der Gegenwart die Verpflichtung aus, »dass die sensorischen Eigenschaften der verwendeten Ausgangsstoffe und die bei der Gärung entstandenen Nebenerzeugnisse selektiv abgeschwächt werden«. Das regelt die Europäische Spirituosenverordnung, wie auch den Mindestalkohol (37,5 %) der »Spirituose aus […] Kartoffeln und/oder Getreide oder anderen landwirtschaftlichen Rohstoffen«.
Auch wenn niemand mehr konsumiert als Russland mit sagenhaften 13,8 Litern pro Kopf und Jahr: Polen hat die Führungsrolle unter den Wodka-Rivalen übernommen, wenn es um die (staatlichen) Anstrengungen in Richtung Qualität geht. Der Gesetzgeber sieht für polnischen Wodka vor, dass alle Produktionsschritte im Land erfolgen, selbst die Flaschenproduktion. Mit Herstellern wie Belvedere, der den Warschauer Präsidentenpalast als Logo am Etikett führt, wurde man aber auch zum Pionier beim Terroir-Gedanken unter den Wodkas. Idente Zutaten ergeben die unterschiedlichen Geschmacksprofile der »Single Estate Rye«-Serie von Belvedere: Der Roggen aus Smogóry bringt ein anderes Destillat hervor als jener aus dem 500 Kilometer entfernten Seengebiet Barte˛z˙ek. Während der »Smogóry Forest« deutlich getreidig und mit der roggentypischen zarten Pfeffrigkeit ins Glas kommt, dominiert die Frische von grünen Äpfeln und Kräutern im »Lake Barte˛z˙ek«. Es ist der Bauernhof, der zählt, könnte man über diesen neuen Weg zu mehr Geschmack sagen.

Herkunft statt Beliebigkeit

Der beschränkt sich auch nicht auf den Roggen. Frühkartoffeln der Sorte Vineta aus Kaschubien kommen bei Vestal Vodka in den unfiltrierten »Kaszebe«, rotschalige Asterix-Erdäpfel von der Ostseeküste in den »Pomorze«. Dass man eine bestimmte Herkunft der Rohfrucht im fertigen Brand schmecken kann, ist dabei eine zu hoch gegriffene Analogie zum Wein. Doch man soll wieder schmecken, woraus der Wodka erzeugt wurde – was für viele Konsumenten ein ziemliches Novum darstellt. Ein echter Farmhouse-Wodka wie der Vorarlberger »Boдкa« (Gemüsebauer Simon Vetter pflegt die russische Schreibweise am Etikett) riecht dann etwa »wie frisch aufgeschnittene Rohscheiben«. So beschrieb der Wiener Gastronom Heinz Karasek (»Das Heinz«) die Kosteindrücke des Rheintal-Wodkas vom Vetterhof.

Rohscheiben und Roggenkraft

»Regionalität und Zusammenarbeit sind für uns ein wichtiger Bestandteil«, bestätigt Dominik Babst von der Diwisa Distillerie in Willisau/Kanton Luzern. Ein Schweizer »Wässerchen« hätte schließlich nur dann eine Chance unter den mittlerweile gut 3000 Wodka-Marken, wenn es anders ist als alle anderen. Die Maische für den »Xellent Vodka« stammt daher aus den Roggensorten Matador und Picasso aus der Zen­tral­schweiz. »Uns ist es wichtig, dass Wodka nicht einfach da ist, um einen Drink ›aufzuspriten‹, sondern mit seinem Charakter dem Drink eine eigene Identität geben soll«, so Babst. Mutiger werden bei der vermeintlich neutralen Spirituose war auch bei Brenner-Kollegen Oliver Matter und seinem im Vorjahr gebrannten »Wodkari« ein Thema. Dieser entstand während der Suche nach dem besten Grundalkohol für den Gin namens »Gingo«.
Im Berner Seeland entschied man sich für satte 50 Volumenprozent – denn dieser Schweizer Wodka soll im Cocktail nicht untergehen. Dem stimmt auch der Barchef der Innsbrucker »Stage 12« ein paar Alpentäler weiter zu. »Der eigene Geschmack von Wodka darf wieder im Vordergrund stehen«, plaudert Kostas Karvounis aus der Schule. In der Tiroler Hotelbar kommen die charakterstarken Wodkas als Grundspirituose für Cocktails zum Einsatz, »deren Geschmack nicht abgeschwächt werden sollte«. Karvounis setzt aber auch auf den Einsatz bei Infusionen, wo etwa Zirben oder Kräuter den Eigengeschmack verstärken.

Seit März 2019 ist Ferenc Haraszti Barchef im «Fabios» in Wien.
© Stefan Gergely
Seit März 2019 ist Ferenc Haraszti Barchef im «Fabios» in Wien.

Die Neutralität muss weg!

Es sind aber längst nicht nur die Mikro-Brennereien, die Herkunftsgetreide mit Eigengeschmack schätzen. Seit dem heurigen Neu-Design der Flasche weist etwa »Elyx«, das Flaggschiff von Absolut, auf die Tatsache hin, dass man einen »Single Estate Copper Crafted Vodka« füllt. Konkret stammt der Weizen dafür ausschließlich vom Råbelöf-Hof Erik Baeksteds. Abgesehen davon wird für den Premium-Wodka aus Schweden der intensivere Winterweizen genutzt. Denn für den Laien kaum bekannt, unterliegt auch Getreide Qualitätsschwankungen und -kennzeichnungen.
Bis heute etwa kommt für François Thibault, den Master Distiller von Grey Goose, nur die Patisserie-Qualität des französischen Weizens aus der Picardie, der »blé panifiable supérieur« (BPS) in die Brennblasen. Thibault war einer der Ersten in der Branche, der über die Getreidequalitäten sprach. Und der Mann aus dem Cognac-Gebiet hält auch wenig vom vielfachen Filtrieren des Destillats, das oftmals für besondere Reinheit des Wodkas bemüht wird: »Ich arbeite doch nicht am Geschmack des Getreides, um ihn dann wieder herauszuziehen«, echauffiert sich der Franzose da. Auch in der aktuell vom Falstaff Bar- & Spiritsguide gekrönten österreichischen Restaurantbar des Jahres schätzt man diese Finesse. »Bei den Gästen ist Wodka nach wie vor sehr beliebt, was meist am subtilen Geschmack und der damit verbundenen Vielfältigkeit liegt«, meint Dominik Möller aus dem Wiener »The Bird­Yard«.

»Die Hauptspirituose in unserem Espresso Martini ist Ketel One Vodka aus den Niederlanden mit seiner öligen Textur und Vanillenoten.«
Ferenc Haraszti, Barchef »Fabios«, Wien

Diese Vielfalt beflügeln aber nicht nur möglichst kleinräumige Herkünfte, sondern auch neue bzw. wiederentdeckte Ausgangsmaterialien. Die Münsterländer Korn-Tradition etwa nützt einem der markantesten Wodkas Deutschlands. Der »PAX Friedensreiter« basiert auf Dinkel (!) in Bioqualität von einem der ältesten Höfe im Osnabrücker Land. Der malzig schmeckende Wodka aus der Brennerei Dwersteg erzählt auch die Geschichte des Westfälischen Friedens 1648, so Geschäftsführer Ludger Teriete: »Seither ist der ›Friedensreiter‹ ein Symbol des Friedens und der Freude – mit dieser Geschichte verbinden wir unseren Wodka.«
Und Dinkel ist nicht der einzige Neuzugang im Brennkessel: »Pseudogetreide« mag nicht gerade vertrauenserweckend klingen, doch genau damit erweitert der Mostviertler Brenner Georg Hiebl den Wodka-Kosmos. Sein Brand vom Amaranth – als Fuchsschwanzgewächs eben kein Getreide – erschüttert die übliche Geschmackserwartung ebenso wie sein Wodka aus Quinoa. Das Destillat aus der »Freimeister«-Serie erhält im Pot-Still-Verfahren »am Körper mehr Fett«, ist der Brenner überzeugt.
Diese Komponente schätzt die Barszene beim beliebten, spätnachts gereichten Muntermacher: Der Espresso Martini von Dick Bradsell (der Legende nach 1984 für Naomi Campbell kreiert) setzte sich als einer der wenigen zeitgenössischen Cocktails weltweit durch. Selbst die neue Barkarte des Wiener Italieners »Fabios«, die Ferenc Haraszti verantwortet, verzichtet nicht auf diesen Drink: »Die Hauptspirituose in unserem Espresso Martini ist Ketel One Vodka aus den Niederlanden mit seiner öligen Textur und Vanillenoten«, plädiert auch »Feri« Haraszti für das samtige Mundgefühl. Denn spätestens im Shaker zählen nicht mehr das schicke Label, die blinkende Flasche oder 15-faches Filtrieren, sondern lediglich der Geschmack.

Ein »Best of Wodka« finden Sie im Falstaff Magzin 04/2019!

Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2019

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Roland Graf
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