Von links nach rechts: Riesling, Portugieser, Dornfelder.

Von links nach rechts: Riesling, Portugieser, Dornfelder.
© Weingut Andres am Lilienthal

Wermut mit Herkunft

Winzerinnen und Winzer entdecken den Wermut für sich. Und unterfüttern die Kräuterboquets mit Rebsorten-Charakter.

Wermut liegt im Trend, keine Frage. Nachdem sich die Gin-Welle der 2010er langsam ausgerollt hatte, poppten immer mehr kleinchargige Interpretationen des gewürzten Weins auf. Kleinchargig zumindest im Vergleich mit dem Millionenliter-Ausstoß der Marktführer der »Bacardi«-Gruppe, die sowohl hinter »Martini e Rossi« als auch hinter dessen schärfsten Konkurrenten »Noilly Prat« steht. Die Trauben hinter diesen Marken bleiben anonym; meist dominiert die Würzung den Wein.

Zwar rollt die Wermut-Welle schon eine ganze Weile, neu ist allerdings, dass sich auch immer mehr Weingüter der Gattung annehmen – und Wermut mit Rebsortencharakter keltern.

Drei Rebsorten, drei Wermuts

Dass Winzer und Winzerinnen einen anderen Zugang haben, liegt auf der Hand. Immerhin ist das Weinmachen viel zu viel Arbeit, um ihr Resultat am Ende hinter gewaltigen Kräutervorhängen zu verstecken. »Aus Winzerinnenperspektive sind die meisten zu gewürzlastig und zu bitter. Unsere Weine bringen ja selbst schon viel mit«, sagt die Pfälzerin Yvonne Andres, die auf ihrem Weingut Lilienthal drei Wermuts ins Sortiment aufgenommen hat: Rot, Weiß und Rosé.

Alle drei sind nur dezent gewürzt und spielen mit süßen Fruchtaromen, die auch in den jeweiligen Mutterrebsorten stecken. Der weiße Riesling erinnert an Aprikose und Zitronenschale, der Portugieser Rosé an Blüten und helle Erdbeeren, der Dornfelder an dunkle Früchte und Kompott.

Eine edelsüße Spätlese und zwei Botanicals

Auch auf dem Rheingauer Schloss Johnnisberg, einem der ältesten Riesling-Weingüter der Welt, dessen Geschichte bis ins Mittelalter zurückreicht, ist man auf den Wermut gekommen. Als typischer Winzerwermut, präsentiert er sich sehr weinig, fast wie die edelsüße Riesling Spätlese, die ihm Gutsdirektor Stefan Doktor und sein Team zugrunde legen und lediglich mit einem Destillat mit Bitterorangenschale und Wermutkraut abschmecken. Ein Spitzenwermut aus einem Spitzenwein!

Rebsorten-Wermut vom Atlantik

Auch außerhalb von Deutschland folgt man immer häufiger dem Rebsortentrend. Zum Beispiel in der Mikro-Distillerie »Distiloire« in der französischen Hafenstadt Nantes. »Melon de Bourgogne ist die Traube unserer Weinregion an der westlichen Loire und wir wollten unbedingt eine regionale Rebsorte verwenden« begründet Brenner Benoît Chaigneau seine Wahl.

Der weiße Wermut, aus dessen Trauben ansonsten Muscadet-Weine als klassische Getränkebegleitung zur atlantischen Auster gekeltert werden, wird mit etwa einem dutzend Aromaten verfeinert, darunter Wermutkraut, Enzian, Vanille und Fenchel. Aber die Dosen sind geringer als bei Noilly Prat und Co, was den Charakter der Rebsorte durchschimmern lässt. Kenner finden die typischen feinhefigen und weißfruchtigen Aromen des Melon de Bourgogne auch im Wermut wieder.

Klassisch vs. außergewöhnlich

Dabei muss nicht jeder Wermut auf Rebsortencharakter setzen. Matthias Knorr, Barkeeper und Chef-Dozent der Barschule München springt auch für die gewohnten Wermuts in die Bresche: »Ich würde das eher in klassisch und außergewöhnlich unterteilen als in gut und schlecht«. Und in der Tat haben Noilly Prat und Co ihre Berechtigung. Wer einen klassischen Drink mixen will, fährt mit bewährten Wermuts im Zweifelsfall am besten. »Barkeeper wissen, wie sie die klassischen Wermuts als würzende Zutat einsetzen. Mit den außergewöhnlichen muss man sich tiefer auseinandersetzen«, so der Barkeeper, der die Entwicklungen begrüßt, beim Martini Cocktail aber dennoch erstmal zu Noilly Prat greift.

Oft haben die Wermut-Winzer eher aufgepeppte Weine im Sinn, denn die klassische Barkultur. Yvonne Andres empfiehlt gerne, ihre Wermuts auf Eis mit Tonic und einer Scheibe Limette zu genießen. Das lässt ihm mehr aromatisch Platz im Drink und außerdem muss man sich nicht erstmal ins Barhandwerk hinein fuchsen.

Der »Hock Martini« wird immer mit Riesling gemixt

Einen klassischen Cocktail mit Rebsorten-Potential gibt es aber dennoch – auch wenn man ein wenig stöbern muss. Der »Hock Martini« geht auf Prince Alberts Liebe zum Rheingau-Riesling zurück, die Queen Victorias deutscher Gatte auf der Insel nicht aufgeben wollte. Im »Hock Martini« steckt nicht nur die anglisierte Aussprache des Rheingauer Weinbauortes Hoch(heim), es vermählen sich auch London Dry Gin und Deutscher Riesling.

Klassische Rezepte verlangen, 2 cl Gin mit 6 cl Riesling und ein, zwei Dashes Apricot Brandy auf Eis kalt zu rühren und in ein Stielglas abzuseihen. Greift man zum Rheingauer Wermut vom Schloss Johannisberg, kann man sich den aromatisierten Brandy sparen. Prince Albert hatte schließlich keinen Riesling-Wermut zur Hand. Wenn er wüsste.

Paul Kern
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