Weine aus dem Kaiserstuhl: Magische Kräfte

Auf den Böden des erloschenen Vulkans erlangt vor allem der Grauburgunder eine Persönlichkeit wie nirgendwo sonst.

Auch ein beschwörender Blick aufs Display nützt nichts: Das Netz ist wieder weg. Wer nach Oberbergen ins Zentrum des Kaiserstuhls fährt, etwa um gut zu essen und ein Glas Wein zu trinken, sollte sich darauf einstellen, dass er dort den üblichen Kommunikationswegen entzogen bleibt. Natürlich kennt Fritz Keller, der Winzer, Wirt und SC-Freiburg-Präsident, diejenigen Ecken seines Restaurants »Schwarzer Adler« oder seines Kellerneubaus, die einem die größte Chance auf ein Telefonat eröffnen. Aber eine Gewähr auf Empfang gibt es auch dort nicht.

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Die besten Ecken zu kennen, darum geht es auch im Flickenteppich der Weinberge des kleinen Mittelgebirges, das sich aus dem Rheingraben emporhebt. Denn die Weinberge des Kaiserstuhls besetzen jeden freien Quadratmeter, sofern es sich nicht um einen Nordhang handelt oder der nackte Stein zutage tritt. Aber auch sonst gehen die Uhren hier anders – in einem Rhythmus, den magnetische Kräfte sehr eigener Art zu bestimmen scheinen. Verlässt der Reisende die Bundesstraße und fährt bei Bötzingen, bei Ihringen oder von Kiechlinsbergen aus hoch in den früheren Vulkan, taucht er ein in eine überschwänglich reiche Flora und Fauna, er fährt vorbei an erstarrten Lavaströmen, an Kaktusfeigen und an den geschwungenen Bändern der Weinbergsterrassen. Um die Trockenrasen, die die Stufen der Landschaft verbinden, schwirren seltene Insekten und Vögel. Der Löss, jener kalkhaltige Sand, der nach der letzten Eiszeit aus Südwesten vom Alpenraum her angeweht wurde, bedeckt vor allem den Nordostteil des Kaiserstuhls meterhoch – im Windschatten der vorherrschenden Windrichtung. Durch die engen Hohlwege, die sich kurvenreich von Ort zu Ort schlängeln, brettern die für ihren waghalsigen Fahrstil berühmten Kaiserstühler Autofahrer wie die Bobpiloten in der Eisbahn.

Steilterrassen in der Lage Ihringer Winklerberg / Foto: beigestellt

Hegers Biotop
Dass dieser eigene Wein-Planet keine Leichtweine produziert, versteht sich von selbst. Ihringen am Südwesteck gilt als wärmster Ort Deutschlands. Das anthrazitfarbene Vulkangestein in den besten Parzellen des Winklerbergs wird unter der Sommersonne so heiß, dass man sich problemlos ein Spiegelei auf ihm braten kann. Die Steilterrassen mit ihren meterhohen Mauern und mit ihren Reben, die sich in eine karge Bodenauflage krallen, sind das Biotop von Joachim Heger. Vier parzellenreine Kelterungen gewinnt Heger gemeinsam mit seiner Mannschaft aus der Lage Winklerberg. »Rappenecker«, »Gras im Ofen«, »vorderer Berg« und »Häusleboden« – die jeweilige Ursprungsparzelle ist auf dem Etikett in einer stilisierten Lagenkarte gekennzeichnet. So kann man zu Hause per Google Earth nachvollziehen, ob der Wein aus den Terrassen stammt oder aus einem der nicht minder steilen Amphitheater, die sich von dort aus nach Norden und Westen hin anschließen.

Im Probenraum des Weinguts präsentiert Heger seine 13er-Grauburgunder. Schnell zeigt sich, dass dieser vielerorts gescholtene Jahrgang den Kaiserstühlern in die Karten gespielt hat: Durch die niedrigen Erträge haben die Weine Dichte und Kraft, während die jahrgangstypisch höheren Säurewerte für eine ideale Balance sorgen. Der Wein aus der Parzelle »Gras im Ofen« hat eine brenzlige Gesteinsnote im Duft und am Gaumen ein mineralisches Funkeln hinter kräftiger Stoffigkeit. Derjenige aus den Steilterrassen im »vorderen Berg« zeigt sich verschlossen, fest zupackend in der Gaumenstruktur, innerlich vibrierend wie ein Vulkan vor dem Ausbruch. Noch mal völlig anders probiert sich die Kelterung aus der Lage Schlossberg im Nachbarort Achkarren, nur zwei Kilometer Luftlinie entfernt: weich und wuchtig mit
seidiger Fülle.

Virtuos mit Weiß- wie ­Rotwein: Joachim Heger, Spitzenwinzer aus Ihringen / Foto beigestellt

So gut der kühle 2013er-Jahrgang der besonders warmen Südwestflanke des Kaiserstuhls getan hat – auch in den übrigen Gemeinden des Vulkans sind prägnante Weine entstanden. Sicher ist es dabei kein Zufall, dass es wieder einmal der Grauburgunder ist, der den Rang des Jahrgangsbesten einnimmt. Mag der Riesling entlang der Mosel und im Rheingau seinen besten Ausdruck finden, der Pinot Noir an der Côte de Nuits, der Merlot am rechten Ufer Bordeaux’ und der Syrah an der nördlichen Rhône – für den Grauburgunder ist die eine und einzige, letztlich konkurrenzlose Herkunft der Kaiserstuhl. Nirgends anders verschmelzen Geschmeidigkeit und mineralischer Kern zu einem so innigen Amalgam, nirgends erlangt die Sorte einen so großen Nuancenreichtum, dass sich kleinste Lagenunterschiede zeigen. Nirgends anders haben auch die Winzer eine so klare Vorstellung davon, was beim Grauburgunder geht und was nicht.

Dabei trug der Grauburgunder noch Anfang der 1980er-Jahre einen anderen Namen: Ruländer. Es ist nicht ganz klar, wer als Erster den Gedankenblitz hatte, den französischen Namen der bronzefarbenen Burgundersorte einfach ins Deutsche zu übersetzen, also aus »Pinot gris« »Grauburgunder« zu machen.

Möglicherweise war Christian Henninger der Schöpfer dieser Neutaufe, damals Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Bickensohl. 1985 brachte er den ersten Grauburgunder auf den Markt. Denselben Einfall hatte zeitgleich auch Franz Keller, dessen Weine ohnehin seit eh und je für einen schlanken, säurebetonten statt süßlichen Weißweintyp standen. Wahrscheinlich lag die Idee einfach in der Luft – denn der alte Typ Ruländer hatte sich nach den Süße-Exzessen der siebziger Jahre überlebt: ein goldfarbener, von Überreifearomen geprägter, opulenter und leider meist auch pappiger Wein. Heute ist die Bezeichnung »Ruländer« – eine Reminiszenz an den Kaufmann Johann Seger Ruland, der die Sorte im frühen 18. Jahrhundert nach Speyer gebracht haben soll – fast ausgestorben. Für einen
trockenen Wein nützt nur noch genau ein Weingut diese Bezeichnung: das von Cornelia und Reinhold Schneider in Endingen. Reinhold Schneider, der inzwischen von seinem Sohn Alexander unterstützt wird, hielt die letzten 30 Jahre lang geradezu trotzig an der alten Bezeichnung fest, denn »schon früher waren die guten Ruländer immer knochentrocken«. Alexander Schneider, 30 Jahre alt, führt gemeinsam mit der FH Geisenheim ausgiebige Studien zur Gewinnung der besten Ruländer-Klone durch. In manchen Rebzeilen wachsen bis zu 20 Typen nebeneinander. »Unserer Auffassung nach ist der Ruländer ein ganz anderer Wein als der Grauburgunder: reifer, rauchig, mit Melonenduft. Der Grauburgunder ist ein schlankerer Typus.«

Magische Anziehungskraft
Zurück nach Oberbergen. Fritz Keller, der Sohn des »Rebells vom Kaiserstuhl« Franz Keller, ist – anders als sein Vater – ein Mann des Ausgleichs. Als sein spektakulärer Kellerneubau am Rande Oberbergens im Gemeinderat zur Abstimmung kam, gab es keine einzige Gegenstimme. Die Grauburgunder des Jahrgangs 2013, die er als erste im neuen Keller gekeltert hat, haben auch im Falstaff-Test ihre magische Anziehungskraft nicht verfehlt.

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Oberbergen liegt nahe am Zentrum des einstigen Kraters. Es ist kein »thierischer Magnetismus« wie derjenige des Bodensee-Badeners Franz Anton Mesmer, der hier wirksam ist – sondern ein geologischer und ein schmackhafter obendrein.

Text von Ulrich Sautter aus Falstaff Deutschland 01/15

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland