Von Service-Wüsten und Wüsten-Service

Warum Amerika keine Ahnung hat, Frankfurt von Peking lernen muss und die Spitzenköche nach Dubai schielen.

Frankfurt/Peking
Alles eitel Sonnenschein: Die deutsche Wirtschaft wächst, die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, ein neues »deutsches Wirtschaftswunder« kündigt sich an. Nur einer kommt da nicht mit: der Flughafen Frankfurt, der größte Airport Kontinentaleuropas. Es hat den ganzen Tag über geschneit. Kein Problem für einen Flughafen wie Zürich oder Wien, nur Frankfurt ist anders. In der abendlichen Air-China-Maschine nach Peking wird noch am Boden das Abendessen serviert. »Wir müssen aufs Enteisen warten, das wird noch etwas dau­ern«, meint die mandeläugige Chefstewardess. Später erfahre ich, dass wir Nummer 48 in der Warteschleife sind.Mich dem Schicksal ergebend, mache ich es mir bequem und schlummere ein wenig. Als ich nach vier Stunden aufwache, steht die Maschine noch immer am Gate. Niemand darf aussteigen, alle müssen eingepfercht wie bei einem Viehtransport weiter in der vollen Maschine ausharren. Nach siebeneinhalb (!) Stunden naht der Ent­eisungswagen, mit acht Stunden Verspätung geht’s nach Fernost …

Des Rätsels Lösung: Die superklugen Airport-Leute hofften, mit einer neuen Technik zehn Maschinen pro Stunde zu enteisen. Leider hat sich herausgestellt, dass nur ein Flugzeug in 60 Minuten flugbereit gemacht werden kann. Die Gleichung stimmt: größter Flughafen = größte Inkompetenz! Wie jedes Jahr ist auch diesmal der Winter für die Airport-Ma­nager wieder überraschend gekommen.

In Peking – und da gibt’s auch ganz schön viele Flüge – funktioniert der Airport. Die Pisten sind geräumt, Landungen und Starts klappen mit chinesischer Perfektion. Offensichtlich noch etwas, bei dem die Europäer von den Chinesen lernen können. Trost findet der geplagte Reisende am Abend in einem neuen Restaurant-Club in der Stadtmitte. »1949 – The Hidden City« heißt der Komplex mit zwei erstklassigen chinesischen und einem italieni­schen Restaurant. Der Ankömmling muss sich als Club­mitglied eintragen, aber dann kann das Gaumenfest beginnen. Wunderbar abgeschmeckte Vorspeisen von gesäuerter Qualle über zart gedünstetes China-Gemüse bis zu Schweinebauch und Hunan-Hähnchen, dann ein ganzer Snapper »Hongkong-Style«, etwas scharf und gut gewürzt. Und die obligate Peking-Ente – wirklich mager und knusprig, wie es sich gehört. Da kippt man noch einen Maotai, einen 70-prozentigen Klaren: Auf China und die Revolution! 

Washington
Über die Feiertage in Washington den Kindern das Weiße Haus von innen zeigen – das war die Idee, von der ich schon bald wieder Abstand nehmen muss. Die »White-House-Visiting-Tour« bleibt für Ausländer nur ein Traum. Mindes­tens ein halbes Jahr zuvor muss sich der neugierige Tourist über die jeweilige Botschaft anmelden. Dann gibt es ein zusätzliches Auswahlverfahren, das sich offensichtlich nach dem Freundschaftsgrad des jeweiligen Landes zu den USA richtet. Mit anderen Worten: No chance für den Normalbürger deutscher Provenienz.

Also stattdessen das Weiße Haus von außen: Polizisten ­überwachen den Andrang der Schnappschussjäger vor dem Zaun, auf dem Dach sind schemenhaft zwei Scharfschützen zu erkennen. Traurige Terrorbilanz in Washington. Und zu Hause? Anmeldungen für den Besuch des Berliner Reichstags schon Monate im ­Voraus? Und Scharfschützen in Sichtweite des Käfer-Restaurants in der Norman-Foster-Kuppel?
Ich fürchte: Daran werden auch wir uns gewöhnen müssen.

New York
Von Washington nach New York geht es, etwas abenteuerlustig, mit der Bahn. Fast vier Stunden braucht der Amtrak für die 370 Kilometer quer durch die Industrie-Ruinen von Jersey und Pennsylvania. Das schafft man in Japan in einer Stunde fünfzig Minuten und selbst in Deutschland in zweieinhalb Stunden. Amerika ist anders. »Für die Infrastruktur gibt der Staat kein Geld aus!«, erklärt mir ein RTL-Korrespondent später beim Lunch. Und das merkt man. Jeder deutsche Regionalzug zwischen Essen und Düsseldorf, zwischen Halle und Leipzig, zwischen München und Ingolstadt ist moderner, sauberer und bequemer.

Aber auch anderswo offenbart sich, dass die USA schon lange nicht mehr unser leuchtendes Vorbild sein können. Im Service, so die landläufige Meinung, sind die Amerikaner nicht zu schlagen. Ja, ja, das Shopping-Erlebnis eben. Bei Abercrombie & Fitch will ich wissen, aus welchem Material ein T-Shirt ist. Die hübsche Blonde zuckt mit den Schultern: »Keine Ahnung!« Zum Nachschauen ist sie zu faul. Im Bücherladen »Borders« suche ich ein bestimmtes Kinderbuch. Die für die Kinder­ecke zuständige Verkaufskraft macht ein betroffenes Gesicht. »Keine Ahnung!«, sagt sie, zieht den Computer zu Rate und findet doch nix.
Wer ein paar Tage in den USA verbringt, erlebt die »Keine-Ahnung-Gesellschaft« hautnah. Sozusagen immer und überall. Und leider ohne die den Europäer einst immer verzaubernde fröhliche Art, die den Eindruck des Nichtwissens minderte. Wie es unsere Freunde über dem Atlantik geschafft haben, in der Pisa-Studie vor Deutschland zu landen, ist mir ein Rätsel.

Meine US-Depression wird nur durch das Dinner im »Annisa« (im angesagten Meatpacking District) gemildert. Warum dieses Lokal Marke »Modern American« auf Wochen ausreserviert ist, kann man schmecken. Tuna hot & cold, Lobster mit Mais, ein Seeteufel in Hühnerleber-Sauce, das Maryland-Chicken mit weißer Trüffel. Dazu ein nicht holziger Chardonnay aus Florida und ein Pinot Noir aus dem kühlen Oregon, jeweils für wohlfeile 50 Dollar. Zugegeben, ich war wieder versöhnt mit Amerika.

Abu Dhabi/Dubai
Man spürt’s an allen Ecken und Enden: Die von der Kredit- und Immobilienkrise gebeutelten Emirate erholen sich wieder. Geld haben sie ja noch immer genug, die Scheichs. In der gerade neu er­öffneten Ferrari-Welt neben der Formel-1-Renn­strecke auf der Insel Yas bei Abu Dhabi stürzen sich Emir und Co. in knallroten Achterbahn-Wagen mit 240 km/h und 4,8 g Beschleunigung in die Tiefe. Und daneben dürfen die Golf-Kids in ebenfalls Ferrari-gebrandeten Gokarts Formel-1-Rennen simulieren.

Das futuristische Yas Hotel ist auch außerhalb der Saison ausgebucht, und ins benachbarte Abu Dhabi sind die Touristen eben­falls zurückgekehrt. »Nur die Bauwirtschaft ist noch immer in der Krise«, sagt mir mein arabischer Begleiter aus einem der großen Medienhäuser am Golf. Im um­jubelten höchsten Haus der Welt, dem Burj Khalifa mit 828 Metern, stehen laut »Gulf News« von den 900 Luxuswohnungen und -büros noch 825 leer. Aber, wie gesagt, auf die Touristen ist Verlass. Für die wird vor allem kulinarisch einiges getan.

Dubai hat wahrscheinlich die höchste Pro-Kopf-Rate an Spitzenrestaurants in der ganzen Welt. Alle sind sie vertreten: Pierre ­Gagnaire und Michel Rostang, Gordon Ram­say und Santi San­tamaria, Giorgio Locatelli und Nobu Matsuhisa haben hier am Golf Zweigstellen ihrer Gourmet-Restaurants eröffnet. Ich habe in einigen davon Station gemacht und muss sagen: Hut ab, die Küchenleistung ist so perfekt wie in den Stammhäusern, das »Nobu« sogar das beste, in dem ich weltweit meinen »Black Cod in Miso« ge­gessen habe. Wer hätte das gedacht: Nach Dubai, des Essens wegen ...

von Hans Mahr

aus: Falstaff Deutschland Nr. 01/2011

Hans Mahr
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