Nach dem Füllen werden die Fässer auf den Dachboden gelagert und fünf bis zehn Jahre nicht angerührt.

Nach dem Füllen werden die Fässer auf den Dachboden gelagert und fünf bis zehn Jahre nicht angerührt.
© Rocca Di Montegrossi

Vin Santo Vertikale: Süß, köstlich, Santo!

Am Vin Santo scheiden sich die Geister. Durch seinen langen oxidativen Ausbau hat er Noten, die für viele ungewohnt sind. Eine Liebeserklärung in 11 Akten.

Behutsam nehmen die Frauen Traube für Traube vom Gitternetz. Deutlich rosiniert und von goldgelber bis hellbrauner Farbe sind die Beeren. »Im Grunde genommen erzeugen wir hier Vin Santo wie vor vielen Jahrhunderten schon. Wir haben nur die Technik und die Gerätschaften etwas verfeinert,« erklärt Marco Ricasoli Firidolfi stolz. Dick und zähflüssig fließt der Most von der Presse.

Vin Santo hat in der Toskana lange Tradition. Als Grundlage dienen in der Regel Trebbiano- oder Malvasia Bianca-Trauben. Diese werden für 3-4 Monate getrocknet und dann gepresst. Es gibt auch eine Vin Santo Variante aus Sangiovese-Trauben, die nennt sich dann Occhio di Pernice, weil die Farbe ausschaut wie das Auge des Rebhuhns. Dem haben wir ja alle schon mal ins Auge geblickt, nicht? Einmal gepresst, kommt der dickflüssige Most in 50-Liter-Fässer, »Caratelli« genannt. Die sind in der Regel aus Eichenholz, können aber auch aus Kirsche und Maulbeere sein.

»Vino Anarchico« – ein anarchischer Wein

Nach dem Füllen werden die Fässer geschlossen, auf den Dachboden verfrachtet wo sie dem Wechsel der Jahreszeiten ausgesetzt sind, und dann wird nichts mehr damit gemacht. Für fünf, acht, ja bis zu zehn Jahren bleibt der Wein sich selbst überlassen. Kein Auffüllen, kein Umziehen, nichts. Der Alptraum jedes Önologen. Wohl auch deshalb bezeichnete Luigi Veronelli den Vin Santo einmal treffend als »Vino Anarchico«, ein anarchischer Wein, der sich jedem Versuch der Reglementierung widersetzt.

In der Zeit der Reife gärt der Most langsam vor sich hin, Zucker wird zu Alkohol umgebaut, nicht zur Gänze, es bleibt am Ende immer noch viel Restzucker übrig. Zugleich findet eine Oxidation statt, durch die sich eine mehr oder minder ausgeprägte flüchtige Säure bildet. Gerade aus diesem Spannungsverhältnis von Süße und flüchtiger Säure besteht der Reiz des Vin Santo.

Fünf Kilo Trauben für eine halbe Flasche

Zugegeben, es gibt davon viel banale Exemplare, die ohne die obligatorischen Cantucci, das harte Mandelgebäck, als Begleitung nach rein gar nichts schmecken würden. Es gibt aber auch geniale Vin Santo, die enorm Vielschichtig sind und zum Träumen einladen. Und deren Erzeuger nichts mehr hassen, als dass in ihren Vin Santo Cantucci eingetaucht werden.

Zu diesen zählt auch Marco Ricasoli Firidolfi. Um seine Aversion gegenüber dem Cantucci-Tauchen klar auszudrücken, hat er ein eigenes Symbol entwickelt und auf der Rückenetikette angebracht. Gut verständlich, wenn man sich den enormen Aufwand vor Augen führt, der für die Erzeugung eines hervorragenden Vin Santo nötig ist.

Marco Ricasoli Firidolfi
© Rocca di Montegrossi
Marco Ricasoli Firidolfi

Marco Ricasoli Firidolfis Betrieb Rocca di Montegrossi liegt im südlichen Chianti Classico. Er macht wunderbare Rotweine, ist aber auch ein begeisterter Verfechter des Vin Santo. Er verwendet ausschließlich Malvasia Bianca Trauben, die auf verschiebbaren Drahtgestellen zum Trocknen gehängt werden. Diese Gestelle sind eine Weiterentwicklung der traditionellen Strohmatten und erlauben es, beschädigte und von Graufäule befallene Trauben zu entfernen, bevor der Schimmel auf andere Trauben übergreift. Die Ausbeute nach Trocknung und Reifung ist extrem gering und liegt unter 10 Prozent. Für eine halbe Flasche, das übliche Format bei Vin Santo, braucht es rund 5 Kilo Trauben.

Das Ergebnis ist ein köstliches Elixier, sehr rar noch dazu: die jährliche Produktion liegt unter 2000 halben Flaschen. In der Verkostung zeigte es sich, dass der Vin Santo del Chianti Classico von Rocca di Montegrossi sehr lange lagerfähig ist. Nach 15 Jahren wird er runder, die einzelnen Komponenten harmonisch eingebunden, nach hinten ist kein Ende absehbar. Mit seinen vielschichtigen Aromen passt er gerade jetzt zur Weihnachtszeit hervorragend.

Zum Tasting der Vin Santo Vertikale

Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien
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