Vandermeulen hat Weine u.a. aus dem Bordeaux abgefüllt.

Vandermeulen hat Weine u.a. aus dem Bordeaux abgefüllt.
Weinberge Bordeaux © Shutterstock

Vandermeulen - Traum und Legende

Das Unternehmen Vandermeulen ist längst erloschen, doch seine Flaschen kreisen noch immer in der Welt der Liebhaber.

Man muss sich die Brüder Vandermeulen als glückliche Menschen vorstellen: Sie hatten Zugang zu den Fasskellern der besten Bordeaux-Châteaux und Burgunder-Domänen. Dort, wo der Grand Vin bis zur Abfüllung in Barriques reifte, sollen sie – so die Legende – Jahr um Jahr Fass für Fass probiert und sich die besten Gebinde ausgesucht haben.
 
In der alten Welt des Bordeaux-Weinhandels spielten Händler, Négociants, die wichtigste Rolle als Abfüller. Der Schlossabzug war noch die Ausnahme, die Négociant-Abfüllung die Regel. Die Châteaux und Domänen der damaligen Zeit konzentrierten sich vor allem auf die weinbauliche Arbeit und überließen die Vermarktung dem Handel. Es gab auch gute französische und englische Négociants, doch Primus inter Pares war J. Vandermeulen Decanniere: Zwei Brüder sollen es gewesen sein, der eine Kaufmann, der andere Kellermeister. In Ostende in Westflandern an der Nordsee füllten sie einige der größten Weine der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab, so etwa den 1921er Château d’Yquem, den 1947er Château Cheval Blanc oder den 1947er Château Pétrus.

Flasche und Etikett

Die Fässer wurden nach dem Kauf direkt nach Ostende geschafft, dort reiften die Weine noch weiter, oft länger, als es in den Châteaux üblich war – je nach Jahrgang drei bis fünf Jahre. Vandermeulen hatte Zeit und Geld. Die Weine wurden in verschiedenfarbige Bordeaux- und Burgunderflaschen gefüllt und erstklassig verkorkt. Die Gestaltung der Etiketten war indes von nüchterner Strenge: Sie zeigten das immer gleiche, farblich oft der jeweiligen Weinart angeglichene Logo mit dem Wappen der Stadt Ostende, umringt vom Schriftzug der Firma J. Vandermeulen Decanniere und einer dezenten Goldrahmung. Das war auch pragmatisch gedacht, denn so ließen sich die Etiketten für mehrere Jahre verwenden. Der jeweilige Jahrgang wurde mit blauer Farbe meist in die untere linke Ecke auf das Etikett gestempelt.

Foto beigestellt

Ansonsten reichte eine sparsame Beschriftung mit dem Namen einer berühmten Lage oder eines Château. Das genügte als Verkaufsargument. Etwa sechs Jahrzehnte lang, wohl bis zum Jahrgang 1955, war Vandermeulen aktiv. Wie viel Wein das Unternehmen von einem bestimmten Jahrgang abfüllte, ist leider unbekannt – obwohl man davon ausgehen kann, dass die Güter Buch darüber führten, wie viele Barriques sie jeweils verkauft hatten. Doch diese schweigen sich aus – vermutlich, weil es ihnen ein Dorn im Auge ist, dass Vandermeulen die besten Fässer hatte.

Leicht zu fälschen

Fälschern öffnet das Tür und Tor, zumal sich Vandermeulen-Flaschen auch noch leichter fälschen lassen als andere, weil sie so schlicht und einheitlich sind. Eine kleine, weltweite Sammlergemeinde steht im Fokus der Fälscher, weil sie bereit ist, exorbitante Summen für einen Schluck Geschichte hinzublättern. Gewissermaßen in der Absicht, den Fluss des Vergehens und Vergessens anzuhalten und an der Aura einer historischen Ära teilzuhaben: mit Auge und Nase, Mund und Hirn.

Der Weinbau dazumals

Aber es gibt auch noch eine im Weinbau selbst begründete Faszination für authentische, gereifte Weine: Sie verkörpern eine andere Geschmackswelt, weil sie ganz anders entstanden sind als heute. Bis Ende der 1940er-Jahre wurde Wein in Frankreich weitgehend noch nach archaischen Methoden hergestellt: Der Weinbau hatte sich seit dem Mittelalter kaum verändert, die Weinberge wurden noch nicht maschinell bearbeitet, sie wurden mit Pferden gepflügt, und die Rebstöcke wurden von Hand geschnitten, gebunden, gehackt – im Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Jahr für Jahr. Die Vegetation der Weinstöcke bestimmte den Lebensrhythmus der Menschen. Das Leben eines Weinbergarbeiters war hart und oft kurz. Nach der Lese wurden die Trauben mit Füßen getreten, und die Maische gärte in großen Holzbottichen, in die die Arbeiter zur Pigeage nackt einstiegen und oft bis zum Hals eintauchten, um die Maische zu bewegen. Nicht selten erstickte einer von ihnen im Kohlendioxid der Gärungsgase. Dennoch war die Weinernte für die Menschen in den Weinbaugebieten die schönste Zeit des Jahres. Der Weinbau war aus heutiger Perspektive eine entrückte, bäuerliche Welt – und die Winzer waren mit dem Wein anders, vielleicht auch demütiger und inniger verbunden.

1952 gab es zur Bestellung »kosteloos« eine Flasche 1918er Yquem obendrauf. Kein schlechter Rabatt, heute würde diese Flasche rund 2000 Euro kosten!

Vandermeulen-Jahrgänge

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die besonderen Jahrgänge rar, zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise, überkommene Strukturen und eine Reihe schlechter Jahrgänge führten dazu, dass die Erntemengen drastisch zurückgingen und mit Weinbau kaum noch Geld verdient wurde. Nicht nur schlechte Jahrgänge wurden mit Weinen aus Algerien oder dem Rhônetal verschnitten. Und es dauerte Jahrzehnte, bis sich das System der kontrollierten Ursprungsbezeichnung (AOC) durchsetzen konnte. Selbst die Ikone des burgundischen Weinbaus, die Domaine de la Romanée-Conti, verkaufte Wein an Vandermeulen; sie war in diesen Jahrzehnten existenziell bedroht und konnte erst ab 1959 wieder Gewinne erzielen. Vor diesem Hintergrund wirkt es plausibel, dass seriöse Händler wie Vandermeulen Zugang zu besten Qualitäten hatten, zumal sie stets flüssig gewesen sein sollen und korrekt und pünktlich in der Bezahlung waren. Vor allem aber besaßen sie das Vertrauen der Erzeuger, weil ihre Abfüllungen hervorragend waren.

Bis heute tauchen immer wieder Vandermeulen-Abfüllungen auf, aus Jahrgängen wie 1917, 1923, 1928, 1929 und vor allem aus der Nachkriegszeit mit den Jahrhundertjahrgängen 1945, 1947, 1949 – einer Zeit, in der Weinflaschen, Korken und Etikettenpapier knapp waren. Auch Bouteillen aus den Jahrgängen 1952 und 1955 sind noch im Umlauf. Oft gibt es vom selben Wein verschiedene Abfüllungen, ohne, dass dies auf den Etiketten vermerkt wäre. Die Etiketten weisen, etwa beim Jahrgang 1947, geringe Abweichungen auf. Liegt das daran, dass die Brüder nur der Inhalt interessierte und weniger die Verpackung, oder tappen wir hier schon im Nebel der Fälschungen und ihrer Mythen herum?

Primus Pares unter den Négociants
Aktiv
Bis 1955, ca. 60 Jahre
Jahrhundertjahrgänge
1945, 1947 und 1949
Merkmal
Schlichte Etiketten, dadurch besonders fälschungsanfällig

Ein Spritzer Port?

Immer wieder hört man, Vandermeulen hätte die Barriques mit Branntwein gescheuert und die Weine beim Abfüllen mit etwas Portwein versetzt, mit einer Art Liqueur d’Expédition verstärkt, um sie haltbarer und gehaltvoller zu machen. Wahrscheinlich handelt es sich hier eher um Legenden aus der Welt der Fälschertricks denn um historische Wahrheiten. Bei so mancher Raritätenprobe werden altersmüde, fade Weine auch schon mal insgeheim mit einem Schuss Port aufgefrischt. Legendäre Vandermeulen-Jahrgänge wie 1947 sind in tropischen Sommern gewachsen, vergleichbar mit 2003. Sie führten zu hochkonzentrierten Trauben mit immensem Tanningehalt. Kurz, es sind Weine aus Hitzejahren, die heute teils portweinartig schmecken, aber in ihrer Jugend rustikal und jahrzehntelang verschlossen waren. Bittere Tanninbrummen, Lichtjahre von Schliff und Finesse entfernt. Doch mit der Zeit sind sie immer feiner geworden. Die Vandermeulens haben die Weine extra lange in Holzfässern ausgebaut, um ihnen eine besondere Langlebigkeit zu verleihen, da ihre Kunden gute Weinkeller besaßen – und die nötige Geduld, auf die Trinkreife jahrelang warten zu können. In der Tat sind Vandermeulen-Abfüllungen heute oft frischer als diejenigen, die die Châteaux damals selbst abfüllten.

Das Ende: Mise au château

In den frühen 1920er-Jahren tauchte im Médoc ein Marketing-Genie auf: Baron Philippe de Rothschild (1902–1988), der Mouton-Rothschild ab 1922 leitete und kühne Ideen hatte, darunter die Erzeugerabfüllung unter der Devise »Toute la récolte mis en bouteille au Château« – die gesamte Ernte eines Jahrgangs soll auf dem Weingut abgefüllt werden. Der Krieg verzögerte zunächst die weitere Realisierung im Bordeaux, doch 1955 wurde schließlich ein Gesetz erlassen, wonach die Châteaux nur noch selbst abfüllen durften. Damit endete die Geschäftsgrundlage der Firma Vandermeulen, die bald darauf ihre Tätigkeit einstellte.
Falstaff Magazin Deutschland 02/2016

Till Ehrlich
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