© Gina Müller

Unser täglich Brot

Brot ist fixer Bestandteil unserer Esskultur, und dennoch steht es im Kreuzfeuer der Kritik ­der Gesundheitsapostel. Hat sich nun das Brot geändert, der Mensch oder einfach ­der Blickwinkel?

Für viele Österreicher, Schweizer und Deutsche ist das Brot ein täglicher Begleiter, so wie für die Japaner der Reis und die Italiener die Nudeln – ein Grundnahrungsmittel. Und das nicht erst seit gestern: Der älteste Brotfund Europas stammt vom Bielersee in der Schweiz und wird auf etwa 3700 v. Chr. datiert. Mit dem Brotbacken hat der Mensch angefangen, weil es schlicht praktischer ist, als täglich Brei anzurühren. Es lässt sich leichter transportieren und länger lagern. Dass das Brot in unserer Kultur enorme Bedeutung hat, zeigt sich nicht nur historisch und in den Religionen, sondern auch durch die Namen, die das Getreide während des Verarbeitungsprozesses erhält: vom Mehl zum Teig zum Laib zum Brot. Diese Differenzierung haben wir nicht bei allen pflanzlichen Nahrungsmitteln.
So ist für uns Reis Reis, während es in Japan von der Pflanze bis zum gekochten Reis vier unterschiedliche Begriffe gibt. Ob der festen Verankerung von Brot in unserer Esskultur könnte man meinen, dass es einen »Record of Safe Consumption« gibt – also eine lange Geschichte des sicheren Verzehrs. Doch Brot und generell Weizenprodukte stehen mehr denn je in der Kritik. Sie sollen nun aufgrund neuer Züchtungen unter anderem dick und krank machen und den Alterungsprozess beschleunigen. Sieht man sich die Daten der Weizengegner konkret an, bleibt allerdings nicht viel von der Kritik übrig. 

1. Brot macht eine gute Figur

Weder Weizen noch Brot im Speziellen lassen die Fettpolster wachsen. Ja, im Vergleich zu den 1950er-Jahren hat die Gesellschaft in Summe ordentlich zugelegt. Das liegt aber nicht an einem Lebensmittel, sondern am gesamten Lebensstil. Dass abnimmt, wer Getreideprodukte und Brot komplett vom Teller streicht, ist nicht sonderlich überraschend. Denn entweder isst man generell weniger, oder man beschäftigt sich eingehend mit Ersatzmöglichkeiten. Bewusstsein und Reflexion nehmen zu, und dadurch ändert sich meistens das Verhalten. Das ließe sich fürs Essen mit allen Lebensmittelgruppen durchexerzieren. Schließlich ist die Getreide-Exklusion sogar kontraproduktiv. Denn eine gute Figur geht Hand in Hand mit dem Konsum von ausreichend Getreideprodukten. 

Wer täglich fünf Portionen – drei Vollkorn, zwei raffiniert – isst, hat statistisch gesehen weniger Bauchfett. 

Das zeigte die größte epidemiologische Studie in den USA, die Framingham-Herz-Studie. Als eine Portion gilt eine Handfläche Brot (fingerdick geschnitten) oder eine Handvoll Nudeln oder Reis. Schon seit vielen Jahrzehnten wird versucht, mehr Vollkorn unter die Leute zu bringen. Vor allem gesundheitliche Aspekte stehen dabei im Vordergrund.
Verglichen mit Weißmehl weist das volle Korn einen höheren Gehalt an Mineralstoffen, Vitaminen und Ballaststoffen auf. Von Letzteren essen wir im Durchschnitt etwa ein Drittel zu wenig. Dabei würden sie lange sättigen, den Cholesterinspiegel senken, die Darm­aktivität verbessern und etwa Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ 2 vorbeugen. Doch Vollkornbrot ist für manche geschmacklich keine Option. Halb-Vollkornprodukte aus fünfzig Prozent Vollkorn und fünfzig Prozent Weißmehl bilden hier eine gute Alternative, ebenso wie schlichtes Roggenbrot, das genauso mit einem hohen Ballaststoffanteil punktet.

2. Weizenallergien sind sehr selten

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Für Unverträglichkeiten ist in erster Linie das Klebereiweiß Gluten verantwortlich, das in Weizen, aber auch in Roggen, Gerste oder Dinkel vorkommt. Mit Wasser bildet es eine zähe Masse, die zur Hauptstruktur des Teiges bei der Brotherstellung beiträgt. Einigen Menschen wird auf Gluten übel, sie bekommen Bauchschmerzen, ein Völlegefühl oder reagieren allergisch mit akut auftretenden juckenden Quaddeln und Schwellungen der Haut oder einer Ekzemverschlechterung der atopischen Dermatitis. Der erste Gedanke ist häufig Zöliakie oder Weizenallergie. Seit einigen Jahren ist das Krankheitsbild der Glutensensitivität dazugekommen. Sie trifft dann zu, wenn die beiden anderen Diagnosen ausgeschlossen wurden und es dennoch nach dem Essen von weizen-/glutenhältigen Produkten zu Beschwerden kommt. 

Nur etwa ein Prozent der Bevölkerung hat Zöliakie. 

0,5 bis 1 Prozent der Kinder leiden an einer Weizenallergie, die bis zum Schulalter meistens verschwindet; im Erwachsenenalter ist ­­­sie äußerst selten. Und Schätzungen zufolge reagieren etwa fünf Prozent der Bevölkerung sensitiv auf Gluten. Damit werden heute mehr Personen mit Zöliakie registriert als noch vor fünfzig Jahren. Das vermehrte Auftreten scheint mit neuen Züchtungen zusammenzuhängen. Generell aber steigt die Zahl der Betroffenen, weil heute bei Allergien und Unverträglichkeiten deutlich mehr Diagnosen gestellt werden und die Dunkelziffern sinken. Dennoch: Neun von zehn Menschen können sich Brot schmecken lassen!

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3. Brot macht uns nicht älter

Auch die Geschichte, dass Weizen den Alterungsprozess fördert, ist abstrus. Hintergrund für den konstruierten Zusammenhang sind chemische Verbindungen aus Zucker und Eiweiß, den »Advanvced Glycation End Products«, die bei abbauenden Prozessen eine Rolle spielen und abgekürzt passenderweise AGE genannt werden. Hauptquellen sind Rauchen und Lebensmittel, AGE können aber auch im Körper gebildet werden, und eine hohe Kohlenhydrataufnahme fördert die körpereigene Produktion.

Kohlenhydrate nehmen wir nicht nur mit Brot auf – und unter den Lebensmitteln liefern Fleisch und Käse die meisten »AGEs«.

Brot oder Weizen allein macht uns also nicht älter als wir sind. 

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2017

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Marlies Gruber
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