Deutsche und Kraut – eine ganz besondere Beziehung.

Deutsche und Kraut – eine ganz besondere Beziehung.
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Typisch deutsch: Kraut & Rüben

»The krauts« – wenig freundlich beschreiben Angelsachsen die Deutschen. Trotz aller Vorurteile landet Kraut tatsächlich gern auf deutschen Tellern.

Es waren die Elsässer, die einst das Sauerkraut zu ihrem »Nationalgericht« erklärten – und damit das Image eines ganzen Volks prägten. Die Bewohner der Region im Osten Frankreichs stammen von den Alemannen ab – und Deutsche heißen übersetzt »les allemands«. Diese Namens­ähnlichkeit führte dazu, dass man irrtümlicherweise ganz Deutschland Kraut als Nationalspeise nachsagte – so sollen aus den Deutschen »the krauts« geworden sein. Wenngleich Sauerkraut bei vielen deutschen Küchenklassikern als Beilage beliebt ist, ist es also keine »deutsche Erfindung« – schon die antiken Griechen und Römer kannten und aßen es. Doch immerhin: Die Deut­schen sind die Erfinder des abgefüllten (!) Sauerkrauts. Die Firma Hengstenberg war die erste, die Anfang der 1930er-Jahre ein Verfahren entwickelte, um es in Dosen abfüllen zu können.

Basis deutscher Ernährung

Neben Kohl und Sauerkraut zählen auch Rüben seit Jahrhunderten zur Basis deutscher Ernährung. Einst waren sie vor allem als Arme-Leute-Essen oder zur Notverpflegung in Krisenzeiten bekannt (man denke an den berüchtigten Steckrübenwinter 1916/1917). Doch auch in der alltäglichen bürgerlichen Küche und als Zucker- oder Süßmittellieferant (Rübenzucker, Rübenkraut) werden Rüben gerne verwendet.

Deutsche Klassiker

Für viele Deutschland-Touristen gehört es fast zum Pflichtprogramm, mindestens einen der opulenten Klassiker wie »Eisbein mit Sauerkraut«, »Schweinebraten mit Kraut und Knödel«, »Gänsebraten mit Rotkohl«, »Wildschwein mit Rotkraut« oder auch »Kohlsuppe mit Speck«, »Grünkohl mit Pinkel«, »Steckrüben-Eintopf« oder natürlich »Kasseler mit Steckrübengemüse« zu essen, um nur einige Spezialitäten zu erwähnen.

Die Krautsorten

Der Begriff Kraut steht für alle Gemüsekohlsorten und das Sauerkraut. Es gibt viele Wild- und Zuchtformen, doch nicht alle sind in der Küche von gleich großer Bedeutung. In Deutschland liebt man vor allem Weißkohl/Weißkraut, Spitzkohl/Spitzkraut (dazu gehört auch das schwäbische Filderkraut) und Rotkohl/Rotkraut. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch Kohlrabi, Broccoli, Blumenkohl, Wirsing und Grünkohl zu dieser Gattung gehören. Wenn von Kraut die Rede ist, meint man aber generell Weiß­kohl oder das aus ihm herge­stellte Sauerkraut.

Imagewandel des Kohls

Auch Kohl war einst ein Arme-Leute-Essen. Die römische Unterschicht ernährte sich hauptsächlich von Brot und Kohl, später von preiswerten und sättigenden Getreide-Kohl-Eintöpfen. Im Zuge des neuen Ernährungsbewusstseins unserer Tage hat sich das Image des Gemüses wesentlich verbessert, richtig zubereitet schmeckt Kohl köstlich und wird mittlerweile in vielen Variationen in Spitzenrestaurants angeboten.

Kohl-Hotspot Schleswig-Holstein

Das größte Kohlanbaugebiet Europas liegt in Schleswig-Holstein: In Dithmarschen werden jährlich mehr als 80 Millionen Kohlköpfe geerntet, vorwiegend Weiß- und Rotkohl sowie Wirsing. 1889 wurden die ersten Felder angelegt und bis heute ständig erweitert. Das berühmte Filderkraut hingegen stammt aus der gleichnamigen Region, einer Hochebene südlich von Stuttgart, die für den Anbau von Spitzkohl berühmt ist. Dieser ist der einzige seiner Art, der nicht rund ist, sondern einen konisch zulaufenden Kopf hat. Mönche aus dem ­Klos­ter Denkendorf sollen ihn im 16. Jahrhundert gezüchtet haben.

Die Rübensorten

Botanisch betrachtet ist die Rübe ein Speicherorgan von Pflanzen, wie etwa bei Karotten (eine Form der Bastrübe), Rettichen, Speiserüben, Pastinaken oder Knollensellerie. Kulinarisch versteht man unter Rüben jedoch ausschließlich Kulturformen der Rübe (Beta vulgaris) – wie die Zuckerrübe und die Rote Rübe (Rote Beete) sowie die Speiserübe wie Mairübe oder Teltower Rübchen und den Kohlrabi oder die Steckrübe.

Bedeutende Zuckerrübe

Kulturrübe Nummer eins in Deutschland ist die Zuckerrübe. Bereits 1747 wies der Chemiker Andreas Sigismund Marggraf ihren besonders hohen Zuckergehalt nach, seit 1801 wird aus der Pflanze industriell Haushaltszucker gewonnen. Sie ist damit die bedeutendste Zuckerpflanze der klimatisch gemäßigten Zone. Ihre Hauptanbaugebiete liegen in Mitteldeutschland, so ist etwa die Soester Börde mit ihren fruchtbaren Lössböden ein bewährtes Zuckerrübengebiet.

Rüben mit Tradition

Unter den Speiserüben sind den meisten Menschen Mairüben und Teltower Rüben am geläufigsten. Seit der Antike werden sie als Gemüse wie auch als Viehfutter verwendet. Was viele Köche jedoch nicht wissen: Auch deren Blätter können kulinarisch verwendet werden, was den Gerichten ein intensives Aroma verleiht. Junge Rüben in Butter gedünstet und mit Kümmel, Essig und Zucker abgeschmeckt sind ebenfalls eine Delikatesse!

Mahlzeit für den Papst

Die Teltower Rübe dagegen nimmt eine Sonderstellung ein, sie wurde einst sogar dem Papst bis nach Rom geliefert. Aus dem Jahr 1740 ist folgender Werbeslogan überliefert: »Die Stadt Teltow im Süden Berlins ist das rechte Vaterland der schmackhaften Rübchen.« Das Geheimnis der Teltower Rübchen ist der dort vorherrschende Sandboden, auf dem sie zwar nicht groß, aber dafür ungemein zart gedeihen. Eine bekannte Spezialität ist der Märkische Topf mit Rübchen, Rindfleisch, Steinpilzen und saurer Sahne.

Vielseitige Rote Beete

Wegen ihrer starken Färbekraft nicht so beliebt, dafür aber besonders delikat und vielseitig einsetzbar ist die Rote Beete/Rote Rübe. Sie verträgt sich gut mit Rindfleisch, fetten Fischen wie Karpfen und Waller, Kräutern (zum Beispiel Dill) und vor allem Kümmel und Kren/Meerrettich. Ob als Suppeneinlage, Salat oder Gemüsebeilage, die Rote Beete ist mit ihrem erdig-rauchigen Aroma ein gern gesehenes Lebensmittel und hat mittlerweile auch bei Spitzenköchen einen Fixplatz in der Zutatenliste eingenommen.

Der Steckrübenwinter

Steckrüben sind streng genommen eine Unterart des Rapses und damit Kohlgewächse. Sie sind relativ geschmacksneutral und nehmen den Geschmack ­anderer Zutaten an – so wurde das Apfelmus etwa mit Steckrübe gestreckt. In die Geschichte eingegangen ist der »Steckrübenwinter« 1916/1917: Da die ­Kartoffelernte misslungen war, wurden gegen die Hungersnot Steckrüben herangezogen, die zuvor nur als Schweinefutter gedient hatten. 1917 erschien ein Kochbuch mit Rezepten für Steckrübenmarmelade, Aufläufe, Eintöpfe, einen Sauerkrautersatz aus Steckrüben (heute noch eine Spezialität in vielen Alpenregionen) und ­sogar Steckrübenkaffee. Ein bekanntes Rezept ist »Gestowte Wruken«, bei dem Rüben in Brühe gedünstet und dann mit Sahne verfeinert werden, dazu gibt’s gekochten Schweinebauch.


Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2013

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Wolfgang Sievers
Koch
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