Trollinger: Schwäbische Charakterfrage

Württembergs hellroter Brot-und-Butter-Wein gilt als farbloser Schwächling. Doch es gibt ihn, den Trollinger mit Stil und Anspruch.

Alle ziehen und zerren am Trollinger, und wenn es um seinen Ruf geht, dann knirscht es. »Ständig wird der Trollinger madig gemacht«, klagt der Winzer Jürgen Zipf. Selbst Lob werde dazu genutzt, dem schwäbischsten aller Weine noch einen Seitenhieb zu versetzen. Zipf weiß, ­wovon er spricht: Er hegt die verkannte Rebe in den Löwensteiner Bergen im nördlichen Württemberg auf beinahe 400 Metern Höhe in der Steillage. Seit 15 Jahren hat Zipf dem Trollinger eine Qualitätskur verordnet. Er hat den Ertrag drastisch auf ein Drittel der Menge, die sein Vater aus den Weinbergen geholt hat, reduziert. Den Most lässt er auf der Maische vergären und baut den Wein im großen Holzfass und im gebrauchten Barrique aus. Doch für das Ergebnis erzielt er gerade mal 6,50 Euro. Zipf, 40, hat großen Erfolg mit Weinen, denen ein besseres Image anhaftet. Trotzdem will er am Trollinger und an der Plackerei im Steilhang festhalten, das ist für ihn eine Charakterfrage: Trollinger ist auch ein Stück heimische Kultur. In keinem anderen Wein spiegelt sich die schwäbische Befindlichkeit so sehr wie im Trollinger.

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Tanja und Jürgen Zipf mit Kindern Inka und Lukas  / Foto: beigestellt

Plädoyer für den Trollinger
Was passiert, wenn man das regionale Heiligtum infrage stellt, davon weiß der Stuttgarter Weinhändler Bernd Kreis zu erzählen: Im Landtag von Baden-Württemberg hat er vor rund 15 Jahren empfohlen, Trollinger aus den besten Lagen zu verbannen und durch edlere Reben wie Riesling oder Spätburgunder zu ersetzen. Kreis war damals Sommelier von internationalem Ruf, und jener Trollinger, dem Kreis keine Perspektive einräumte, war ein leichtes Getränk von zaghafter Farbe und dem süßlichen Geschmack von Erdbeermarmelade. »Man hat den Trollinger durch die Maischeerhitzung kaputt gemacht«, sagt Gert Aldinger, Spitzenwinzer und Vorsitzender des VDP (Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter) Württemberg. »Er hat geschmeckt wie verkochtes Gsälz.« Trotzdem waren diese Bonbon-Trollinger die Volksdroge Nummer eins. An den Stammtischen schlotzte ein geübter Trinker abends aus dem Henkelglas mühelos sechs Viertele der Schwabenmilch weg, auch um das zur Skepsis und Melancholie neigen­de Gemüt aufzuheitern. Für das Ansehen des Weinlands Württemberg war Trollinger ein Fiasko, damit war einfach kein Staat zu machen. Aber die als besonders geschäftstüchtig geltenden schwäbischen Wengerter stellten die ertragreiche, aber spät reifende Sorte traditionell in ihre besten Lagen: Dort brachte er auch in schlechten Jahren hohe Erträge und füllte ihre Taschen.

Die Forderung von Bernd Kreis, Trollinger in den Spitzenlagen zu roden, war auch der Lackmustest für schwäbische Toleranz. Er fiel eindeutig aus: Kreis wurde als »Trollinger-Mörder« beschimpft und sogar bedroht. Der Streit um den Trollinger geriet zum Kulturkampf, er wurde mit einer Heftigkeit geführt wie die Demonstrationen in den 1980er-Jahren gegen die Stationierung von Pershing-Raketen in Mutlangen. Dass Kreis, der aus dem Spessart stammt, den Schwaben vorschreiben wollte, was sie zu trinken haben, sei eine »Kriegserklärung« gewesen, erinnert sich Gert Aldinger. Die delikate Angelegenheit von damals wird inzwischen entspannt betrachtet: Bernd Kreis erzeugt heute seinen eigenen Trollinger, und die schwäbischen Wengerter sind sich einig, dass »er eine wichtige Diskussion losgetreten hat«, wie es der Fellbacher Winzer Rainer Schnaitmann formuliert, der 2009 mit einem Trollinger sogar den Deutschen Rotweinpreis gewinnen konnte. Inzwischen gedeiht die schwäbische Ursorte in friedlicher Koexistenz mit den anderen Reben: In vielen nach Süden ausgerichteten Top-Lagen stehen Spätburgunder und Riesling, die auch außerhalb des Landes gefragt sind. Trollinger findet man vielfach in warmen, windoffenen Westlagen, er hat auch noch einige Logenplätze in den Weinbergen behalten. Dort wird er allerdings nach einer anderen Direktive kultiviert als früher: lieber weniger und dafür besser.

Spitzenlage Fellbacher Lämmler / Foto: beigestellt

Wertvoller Extremweinberg
Am Cannstatter Zuckerle stehen auf ­schmalen Terrassen über 100 Jahre alte Trollingerstöcke auf Muschelkalk. Die knorrigen Reben sind muskulös wie die Oberarme eines Bauarbeiters. Ihr Holz schimmert rötlich, Wüchsigkeit und Ertrag werden durch ihr ­Alter gezügelt. Schmale Treppchen verbinden die durch Mauern gesicherten Terrassen, ­unten legt sich der Neckar gemütlich in die Kurve. Die Ernte mit beladenen Bütten wird hier zur akrobatischen Übung. Heike Ruck, 41, hat den Extremweinberg von ihrem Opa übernommen, jetzt müht sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Christoph ab, der Aufwand ist mit 1300 Stunden pro Hektar im Jahr dreimal so hoch wie in einer flachen Parzelle; die Zeit für die Instandhaltung der Terrassen ist dabei noch nicht eingerechnet. In einer ehemaligen Gärtnerei im Stuttgarter Ortsteil Mühlhausen betreiben die beiden das Weingut Rux. Inzwischen betrachten sie ihren Weinberg mit den uralten Trollinger-Reben als wertvolles Gut.

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Aber am Anfang debattierten sie häufig darüber, ob man ihn roden sollte. »Trollinger ist zickig und verzeiht keinen Fehler«, sagt Heike Ruck. Im Weinberg fordert er viel Laubarbeit, er ist anfällig für Infektionen und Sonnenbrand, mit Trockenheit kann er nicht umgehen. Auch ihr Mann, der aus der bekannten fränkischen Winzerfamilie Ruck aus Iphofen stammt, hatte anfangs große Vorbehalte gegen Trollinger, wie er einräumt: »Für mich war es undenkbar, dass ich den mal ausbaue.« Doch inzwischen hat Ruck die Qualitäten des Trollingers erkannt und stellt ihn auf eine Stufe mit anderen autochthonen Spezialitäten wie dem Poulsard aus dem französischen Jura oder der Humagne Rouge aus dem Wallis. Mit dem burgundisch anmutenden »Nimbus« – erstmals 2011 produziert – eröffnete Ruck dem Trollinger eine neue Dimension. Mit ihm wolle er in »Grenzbereiche vordringen«, sagt Christoph Ruck, 39 – und das gilt auch für den Preis: Die 18,50 Euro musste der »Reingeschmeckte« aus Franken anfangs durchfechten – inzwischen haben andere Erzeuger die Tabugrenze von 20 Euro genommen, etwa das Weingut Kuhnle: Dessen Auslese steht an der Spitze der Falstaff-Verkos­tung und dürfte mit 22 Euro für einen halben Liter auch der teuerste Trollinger im Land sein.

Radikaler Neubeginn
In der Hauptstraße in Strümpfelbach werkelt Marcel Idler in einem ehemaligen Kuh­stall als Winzer. Der 26-Jährige ist dabei, sein kleines Weingut aufzubauen, Äußerlichkeiten sind dabei nebensächlich für ihn. Er kann auf keinem Fundament aufbauen wie andere Jungwinzer: Sein Großvater war zwar Wengerter im Remstal, seine Eltern aber nicht am Wein interessiert. Aber Idler hat es schon als Kind in die Weinberge gezogen. Mit zwölf Jahren hat er seinen ersten Wein erzeugt, eine »Art Schillerwein aus Trollinger und Riesling«. Verkosten durfte er seinen Einstandswein nicht, weil er dafür noch zu jung war.

Neubeginn in bescheidenen Räumlichkeiten: Marcel Idler / Foto: beigestellt

Nach Stationen in Frankreich und Südafrika hat Idler 2012 seinen ersten Jahrgang abgefüllt, damit zeigte er auf Anhieb, dass er zu den großen Talenten im württembergischen Weinbau zählt. Trollinger zu roden, wie es andere tun, ist für ihn keine Überlegung: »Ihn radikal anders zu machen ist besser«. Und so ist Idlers Trollinger »Alte Reben« ein spannender Neuentwurf der schwäbischen Kardinalsorte – kein »mundzahmer Altmännerwein«, wie Idler betont, sondern ein Gewächs, das Struktur und ­Frische mit herber Eleganz verbindet. Eine erfrischend provokante Haltung im Remstal, das lange als pietistisch-verschlossen galt.

Trollinger: lammfromme Schwabenmilch / Foto: beigestelltGefühlt ist gefragt
Abgelegen liegt der Steinbachhof in einem Seitental bei Gündelbach am Stromberg zwischen Hügeln, Feldern, Wäldern und Weinbergen versteckt. Das Weingut wurde 1999 von Ulrich Eißler und seiner Frau Nanna gegründet, die aus Berlin stammt. »Aus dem Nichts, ohne Kundschaft« fingen sie an, Wein zu erzeugen. Neben dem Weinbau mussten sie in den vergangenen Jahren ihre Energie in die Erhaltung des Aussiedlerhofs stecken: Davor hatte sie ein Unternehmensberater ­gewarnt, es sei ein Fass ohne Boden. Inzwischen sind die Um- und Ausbauten abgeschlossen, der Gutshof mit seinem Ensemble an Fachwerkgebäuden ist ein gefragter Ort für Veranstaltungen. In den Terrassen über dem Gutshof wachsen Riesling, Burgunder und Lemberger. Aber der Steinbachhof hat sich auch einen Namen gemacht mit Rebsorten, bei denen Gefühl gefragt ist, wie beim Schwarzriesling und Trollinger. Das Winzerpaar will »leise auf die Weine zugehen, anstatt mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und zu sagen: Du musst so werden wie ich will.« Diese antiautoritäre Art des Weinmachens passt in das idyllische Tal und zum Trollinger, der hier seinen Charakter entfalten kann.

Als es langsam dunkel wird im Trollinger-Land, gießt Ulrich Eißler die Gläser voll mit seinem Trollinger aus dem Jahr 2005, der nach Mandeln und Rosen duftet, es ist ein delikater Beleg, dass Trollinger mit Noblesse altern kann. »Des isch a Rotweinle, gell«, sagt der hagere Winzer zufrieden. Die Entwicklung beim Trollinger von der dünnen Schwabenmilch zum ernsthaften Rotwein verlief schleppend. Noch immer ist der Trollinger die Hauptrebsorte Württembergs mit rund 20 Prozent Flächenanteil, auch wenn jedes Jahr Weinberge mit anderen Sorten bepflanzt werden. Noch immer werden in dem von Genossenschaften geprägten Land massenweise halbtrockene Trollinger-Parodien produziert, die mit den Charakterweinen dieser Rebsorte in Konkurrenz stehen. Es ist nicht einfach mit dem Trollinger in Württemberg. Aber ohne ihn, das steht fest, geht es gar nicht.

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Text von Rainer Schäfer auf Falstaff Deutschland 06/14