Möbius ist Küchenchef im Restaurant »Die Ente« im Seehotel Ketsch.

Möbius ist Küchenchef im Restaurant »Die Ente« im Seehotel Ketsch.
© Markus Winter / Faktenhaus

Tommy R. Möbius: Die Gesetze der Küche

Sternekoch Tommy Möbius bringt exklusiv für Karriere die ungeschriebenen Gesetze der Küche zu Papier. Er nennt es den »Möbius Codex«.

»Man schmeckt beim Essen, was hinter den Kulissen in der Küche läuft«, sagt Tommy Möbius. Der Sternekoch wurde 1975 in Leipzig in eine Gastronomiefamilie geboren. Er ist Küchenchef im Restaurant »Die Ente« im Seehotel Ketsch. Seit 13 Jahren wird er mit einem Stern im Guide Michelin geehrt, seit 2011 im Restaurant »Die Ente«. KARRIERE hat er seine zwölf Punkte des »Möbius Codex'« verraten. 

Es gibt nur einen Chef, der in der Küche den Ton angibt.
© 1997 SuperStock, Inc.
Es gibt nur einen Chef, der in der Küche den Ton angibt.

Der »Möbius Codex«

  1. Klare Ansagen: Es gibt nur einen Chef.
    Ohne Teamarbeit geht nichts. Aber in der Küche gibt einer den Ton an – perfekte Organisation, eindeutige Verantwortlichkeiten und klare Ansagen sind das A und O, wenn alles reibungslos funktionieren soll. Möbius sagt: Viele Köche verderben den Brei, wenn nicht klar ist, wer Chef ist.
  2. Ehrlichkeit: Steh zu dem, was Du kannst – oder eben nicht.
    Nicht jeder kann alles wissen. Deshalb ist ein Klima wichtig, in dem Fragen gestellt werden können und müssen. Damit keine Fehler aus mangelndem Fachwissen entstehen. Oder aus Selbstüberschätzung und Eigenmächtigkeit, die dann mit »Ich habe gedacht...« glattgebügelt werden sollen. Nice try. Möbius sagt: Steht zu dem, was Ihr könnt – und zu Euren Fehlern. Lasst Euch helfen oder lernt durch Fragen. Lügen sind ein No-Go – und gehen nie durch. Da gibt es kein Erbarmen.

  3. Sauberkeit: Du isst, wie du bist.
    Gepflegte Erscheinung. Sauberes Handwerkszeug. Wer sich selbst vernachlässigt, kann nicht sauber arbeiten. Punkt. Und: Am Händewaschen ist noch niemand gestorben, an Keimen in schmutzigen Küchen schon viele. Jeder ist für die Sauberkeit seiner Geräte verantwortlich und putzt auch selbst, ob Thermomix, Pacojet oder Handwerkszeug. Der Spüler ist ein wichtiger Teamplayer, gleichberechtigt mit allen anderen. Möbius sagt: Sauberkeit ist nicht delegierbar.
  4. Spieglein, Spieglein an der Wand... wer hat die schönste Muse im ganzen Land?
    Möbius sagt: Schön Kochen heißt mit Liebe und Perfektion kochen. Für jeden – für Kinder, für Allergiker, für Veganer und Vegetarier. Fachwissen ist dafür essenziell. Aber Leidenschaft ist das Einzige, was einen Koch besonders macht. Das fängt beim Einkauf, in der Küche an: Wer seine Lebensmittel nicht mit Liebe und Sorgfalt auswählt und behandelt, kann nur liebloses Essen produzieren. Ach ja: Und eine persönliche Muse verstärkt den Effekt – und den Geschmack.
  5. Kundenorientierung: Der Gast zahlt das Gehalt!
    Der Gast ist das Maß der Dinge. Geht nicht? Das geht überhaupt nicht. Überkandidelter Service, Vorschriften, was wie gegessen werden muss, das ist nicht Möbius. Der Gast bekommt alles, was er will. Beim Möbius geht alles. Fast. Denn Nachtigallenzungen aus China bekommen selbst wir nicht. Aber: Man muss wissen, wer am Monatsende das Gehalt zahlt – das ist der Gast. Dessen sind sich auch die Mitarbeiter bewusst. Egal wie hoch die Zeche ist, jeder Gast verdient das Beste. Immer. Unabhängig von der Laune der Servicekraft, der Wurstigkeit der Aushilfe oder der Lässigkeit des Kochs. Der Möbius sagt: Qualität kennt keinen Spielraum und der Gast hat ein Anrecht, immer bestens behandelt und bedient zu werden.

  6. Qualitätssicherung: »Das passt schon« gibt’s  nicht!
    Möbius sagt: Vertrauen ist gut. Testen ist besser. Deshalb kommt bei uns nichts auf den Tisch, was nicht vom Möbius persönlich oder einer vorher benannten Vertretung persönlich freigegeben wurde. Mitarbeiter sind angehalten, alle Speisen zu kosten, um den eigenen Geschmack zu schulen und zu erkennen, was bester Geschmack ist. Unser Streben ist das Optimum. »Passt schon« gibt es bei uns nicht; nur »Das passt!« mit Brief und Siegel vom Chef. Das hat nichts mit mangelndem Vertrauen zu tun, sondern mit Gewissenhaftigkeit und dem Anspruch an sich selbst, tagtäglich beste Qualität zu bieten. Ohne Entschuldigung, ohne »wenn« und »aber«.
  7. Demut: Gut isst nicht gut genug.
    Großspurigkeit. Überheblichkeit. Wer sich selbst als das Maß der Dinge definiert, hat schon verloren. Demut vor dem eigenen Schaffen, Reflektion des eigenen Könnens: Die Kunst liegt darin, Durchgängigkeit und bleibende Qualität unabhängig von der Tagesform zu bieten. Und dabei immer noch besser zu werden. Möbius sagt: Jeder Tag, an dem man nicht vorankommt, ist ein Schritt in die falsche Richtung.
  8. Konzentration: Grundintelligenz wird vorausgesetzt!
    Möbius sagt: Mitarbeiter sind erwachsene Menschen. Und werden als solche behandelt, geführt und geschult. Erwachsen zu sein bedeutet, eine gewisse Grundintelligenz zu besitzen und den Kopf einschalten zu können. Jeder kann mal etwas vergessen. Nur in der Sternegastronomie geht das leider nicht. Ob eine Zutat fehlt, ein Zubereitungsschritt vergessen wurde oder eine Bestellung nicht korrekt oder unvollständig weitergeleitet wurde – mehr als einmal darf das nicht passieren. Sonst wird es teuer: Wer vergisst, Waren zu bestellen, muss diese tagesfrisch selbst und auf eigene Kosten besorgen. Wer im Service etwas vergisst, muss das aus eigener Tasche bezahlen. Fehler kosten – und wer das im eigenen Geldbeutel spürt, ist das nächste Mal konzentrierter.
  9. Nachhaltigkeit: Verschwendung frisst Ressourcen.
    Der Möbius sagt: Ich habe größten Respekt vor Menschen und Produkten. Lebensmittel müssen mit Sorgfalt behandelt und verarbeitet werden. Das heißt: Nachhaltiger Umgang mit den Zutaten, möglichst wenig wegwerfen. Sinnhaftigkeit sorgt nicht nur für den besten Geschmack, sondern auch für Wirtschaftlichkeit. Frische steht an oberster Stelle, und eine gute Verwertbarkeit ist kein Widerspruch dazu. Wer Waren so großkotzig einsetzt, isst nicht gut. Und holt sich garantiert einen Möbius-Rüffel.
  10. Tempo I: Schnarchnasen sind Zeitdiebe.
    Leben auf der Bremse? Tagträumerei? Möbius kennt nur ein Gas – Vollgas: Arbeitszeit ist Geld, und in der Arbeitszeit ist ein angemessenes Tempo angebracht. Wer meint, er müsse die Nächte durchfeiern und sich dann bei der Arbeit erholen, wer durch Schlafmangel unkonzentriert ist und schlechte Laune verbreitet, ist bei Möbius fehl am Platz. Und: Alles am besten sofort erledigen. Was Du heute kannst besorgen, verschiebe nicht auf morgen. Der Möbius sagt: Pünktlichkeit und zeitgerechte Erledigung sind kein Luxus, sondern eine Tugend – und eine Frage des Respekts den anderen gegenüber.
  11. Tempo II: Innere Pflege.
    Husch, Husch, Pfusch. Zügiges Arbeiten ja, aber nichts mal eben auf die Schnelle. Das gilt auch und gerade für das Personalessen. Um 17 Uhr wird schön gegessen. Gemeinsam am gedeckten Tisch. Jeder Mitarbeiter muss die Möglichkeit haben, »schön« zu essen und nicht mal nebenbei etwas in sich hineinzustopfen.  Der Möbius sagt: Wer jahrelang im Stehen oder aus dem Topf isst, lernt keine Werte kennen und kann keine Werte vermitteln. Ich nenne das »innere Pflege«.
  12. Leidenschaft: Kreativität muss man können.
    Der Möbius sagt: Ich habe keinen Beruf, sondern eine Berufung. Ohne Kompromiss, mit Können und Kreativität. Mitarbeiter können und sollen sich gerne einbringen. Mit allen Sinnen und Perfektion. Mal eben schnell was ausprobieren und den Chef korrigieren lassen – das funktioniert nicht. Der Möbius sagt: Wer seine Kreativität einbringen möchte, braucht die passende Portion Können und Konzentration. Dann hat ein neues Rezept Chancen.

Artikel aus Falstaff Karriere 01/2016.

Möbius sagt: Viele Köche verderben den Brei, wenn nicht einer den Ton angibt.
© RunPhoto
Möbius sagt: Viele Köche verderben den Brei, wenn nicht einer den Ton angibt.
Viola Marguerre
Autor
Tommy R. Möbius
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