Tiki-Ikone Jeff »Beachbum« Berry: Der weltberühmte Amerikaner ließ die Tiki-Kultur wieder aufleben.

Tiki-Ikone Jeff »Beachbum« Berry: Der weltberühmte Amerikaner ließ die Tiki-Kultur wieder aufleben.
© Claire Bangser

Tiki-Mania: Aufleben der Tiki-Kultur in Bars

Lange Zeit galt die Tiki-Kultur als Stiefkind der Barszene. »Saftpanscherei«, so der weitläufige Tenor. Doch der soll sich jetzt ändern: mithilfe junger Barkeeper.

Wobei: Ganz so streng nimmt man es mit der Abkehr von Tiki-typischen, polynesischen Kulturmerkmalen dann doch nicht. Hawaiihemden und Totembecher bleiben, auch in den neuen Tiki-Bars. Können sie auch, sofern der Becherinhalt modernen Ansprüchen genügt. Und das heißt, in erster Linie auf die Qualität der verwendeten Zutaten zu achten. Denn wenn es einen Kritikpunkt gibt, der sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Tiki-Kultur zieht, dann ist es jener: zu viele, zu süße Säfte und billiger Rum.

»Die Tiki-Klischees sind weitgehend bekannt: Super-süße Drinks in Blau oder Grün, Float on top und Plastik wohin man schaut. Niemand will als Tiki-Bartender abgestempelt werden, denn das hieße ja, dass man nicht sauber arbeiten muss. Bei all den Zutaten fällt der berühmte eine Tropfen zu viel, der den Drink zum Kippen bringt, nämlich auch nicht mehr auf. Danke hierfür an die Neunzigerjahre, in denen Tiki-Cocktails zwar für jeden zugänglich gemacht wurden, ihr Image aber gleichzeitig ruiniert wurde«, resümiert Sigrid Schot, Barchefin der Wiener »Hammond Bar«. Doch die Zeiten haben sich geändert: Mehr als je zuvor ist der Gast daran interessiert zu erfahren, welche Zutaten in welcher Qualität in seinem Drink enthalten sind. Zudem ist auch die Produktpalette für Barkeeper deutlich höher und besser als vergleichsweise in den 80er-Jahren.

»Bei Tiki-Drinks gibt es keine Grenzen. Mach, was du willst, solange es gut schmeckt und optisch was her macht.«
Sigrid Schot, »Hammond Bar«

Spirituosen, Früchte und Gewürze, ob exotisch oder nicht, sind heute ebenso zahlreich vorhanden wie die Möglichkeiten, aus ihnen Cocktails zu kreieren – weshalb es für Schot auch keine Standarddefinition von Tiki gibt: »Bei Tiki-Drinks kann man sich uneingeschränkt spielen, es gibt keine Grenzen. Mach was du willst, solange es gut schmeckt und optisch was her macht. Die Früchte für die Garnitur kann man vorher marinieren. Ein Eiskörbchen? Kein Problem. Blumen, selbstgemachte Marshmallows, getrocknetes Zeug? Immer her damit! Endlich weg von der langweiligen Zeste obenauf, die ich nicht in den Drink geben darf, weil er sich sonst in eine andere Richtung entwickeln könnte – muss so sein, darf auch so bleiben. Dafür kann ich meinen Tiki-Cocktail ›German Style‹ nennen und ihn im Mini-Maßkrug garniert mit Fichtenzweigen servieren.«

Ein Gefühl von Sonne, Strand und Meer

Kurzum: Tiki soll Spaß machen. Barkeepern wie Gästen gleichermaßen. Den Grundstein dafür legte Ernest Raymond Beaumont Gantt, besser bekannt als Donn Beach, in den frühen 30er-Jahren mit der Eröffnung der weltweit ersten Tiki-Bar »Don the ­Beachcomber« in Los Angeles, Kalifornien. Gantts Ziel war es, den Amerikanern jenes exotische Urlaubsflair näher zu bringen, das er von seinen eigenen Reisen in die Karibik und den Südpazifik kannte. Dazu adaptierte er alte, karibische Rum-Punsch-Rezepte, ­kombinierte sie mit südpazifischer Stammeskunst und schuf damit eine bunte Parallelwelt fernab von Alltagsstress und täglicher Routine.

Bis heute ist Tiki ein Ausdruck ­dessen, was man in der Psychologie unter dem Begriff »Eskapismus« versteht: ein Kurz­urlaub auf Abruf, ohne dafür die eigene Stadt verlassen zu müssen. Das wissen neuerdings auch Wiener Barflys zu schätzen, die ihr Fernweh seit Ende 2017 in der Bar »Matiki« der Brüder Arik und Matty Vinnitski stillen. Das Interieur fällt dort allerdings wesentlich schlichter aus als noch zu Donn Beach ­Zeiten: »Die klassische Tiki-Bar ist überladen mit polynesischen Holzstatuen, Kugelfischen, Bambus, Palmblättern, Fischernetzen und Surfbrettern. In unserer Bar wollten wir ein modernes Ambiente schaffen, das unverkennbar Tiki ist, unsere Gäste aber nicht mit zu viel Kitsch überfordert«, erklärt Arik Vinnitski.

Genau wie sein Bruder ­entwickelte der ambitionierte Barkeeper in den vergangenen Jahren eine wahre Leidenschaft für Tiki, die im »Matiki« sogar in selbst kreierten Mugs mündet. Gefüllt werden diese sowohl mit klassischen Tiki-Cocktails als auch mit modernen Varianten. »Ursprüng­lich waren Tiki-Drinks fruchtig und Rum-lastig, aber dennoch ausgewogen. Für die breite Masse wurden sie schließlich adaptiert und schlechter Alkohol mit der Süße aus ­Säften und ­Sirupen überdeckt. Das möchten wir wieder rückgängig machen und zeigen, dass ein ­Tiki-Cocktail genauso abwechslungsreich und ausgewogen sein kann wie jeder andere Cocktail auch. Unserem Verständnis nach ist ein Zombie nämlich ebenso ein Klassiker wie ein ­Manhatten oder Old-Fashioned und wird von uns deshalb auch mit der gleichen Sorgfalt zubereitet«, so die »Matiki«-Gründer.

Um Tiki-Drinks massentauglich zu machen, wurde schlechter Alkohol mit der Süße aus Säften und Sirupen überdeckt. Damit ist jetzt Schluss.
Foto beigestellt
Um Tiki-Drinks massentauglich zu machen, wurde schlechter Alkohol mit der Süße aus Säften und Sirupen überdeckt. Damit ist jetzt Schluss.

Aloha, Qualität!

Diese Ansicht teilt auch Thomas Stingl, Besitzer der Bar »Die Blume von Hawaii« in Nürnberg. Auch er möchte Vorurteile ausräumen und aufzeigen, welche hochkomplexe Barkultur sich hinter dem Begriff Tiki verbirgt – und das äußerst glaubwürdig: Denn seit der Mixologe während seiner vorherigen Laufbahn als DJ über hawaiianische Vinyls und in der Barschule schließlich über die Bücher von Trader Vic, Don the Beachcomber und später Jeff Berry gestolpert ist, verkörpert er den Tiki-Kult mit Leib und Seele. Hawaiihemden und Tätowierungen im Tiki-Stil inklusive.

Das Barmenü der »Blume« wechselt viermal jährlich, wobei Stingl das Verhältnis von klassischen zu modernen Drinks mit 70 zu 30 beziffern würde. Frische Zutaten und hausgemachte Sirupe sind selbstverständlich, moderne Zutaten oder Bartechniken wie Espumas hingegen Tabu, um das Ursprüngliche der Tiki-Drinks zu bewahren. Um Authentizität dreht sich auch alles im »Kawenzmann« in Bamberg. In der Bar des Erfolgstrios Lars Baldes, Till Deiniger und Linda Le sorgt allein schon die eindrucksvolle Backbar in Form einer Tiki-Maske für Karibikfeeling pur.

Getoppt wird das detailverliebte Interieur mit ausschließlich frisch gepressten Säften, selbst eingekochten Sirupen, selbst angesetzten exotischen Likören und einer Auswahl von über 50 Rums aus aller Welt. Geht es nach Barmanagerin Linda Le soll bald auch ein Ukulele-Spieler für noch mehr Urlaubsflair sorgen. Womit sichtbar wird, dass Tiki nicht für eine bestimmte Kategorie Cocktails steht, sondern für ein ganzes Konzept. Wem das in den neuen Tiki-Bars nicht klar wird, dem hilft nur noch eine Reise in die Südsee.

»Matiki« in Wien: Arik und Matty Vinnitski schufen ein modernes Tiki-Refugium.
© Benedikt Kertelics
»Matiki« in Wien: Arik und Matty Vinnitski schufen ein modernes Tiki-Refugium.

Geheime Botschaft

Sie sind die Glückskekse der Barflys: Genauso wie das knusprige Süßgebäck enthalten nämlich auch Cocktailschirmchen einen versteckten Papierstreifen. Dieser befindet sich fein säuberlich zusammengerollt unter der kleinen Plastikspitze.

Wie kommt’s? Die Schirmchen werden in China aus recycelten Zeitungen hergestellt. Anstelle von Weisheiten finden sich auf den Streifchen also kurze Ausschnitte der chinesischen Presse. Inwieweit diese Sinn machen, bleibt offen, sofern man nicht in der Lage ist, die chinesischen Schriftzeichen zu entziffern. Die geheime Botschaft zu entdecken, wird unter Gästen dennoch für reichlich Gesprächsstoff sorgen.

Who-is-who

Tiki-Persönlichkeiten, die Geschichte geschrieben haben:

  • Donn Beach
    Hieß mit bürgerlichem Namen Ernest Raymond Beaumont Gantt. Gilt als Gründervater der ­Tiki-Bars (siehe oben) und Erfinder des ­legendären »Zombie«, einem ­Cocktail aus Falernum, Limettensaft, dreierlei Rum, Grenadine, ­Pernod, Angosturabitter, Grapefruit und Zimt-Zucker­sirup. Startete ­seine Karriere als »Don the Beachcomber«, benannte sich aber mehrmals um, ehe er bei »Donn Beach« blieb. Verstarb am 7. Juni 1989 auf ­Honolulu, Hawaii.
  • Trader Vic
    Eigentlich Victor Jules Bergeron. Gründete 1934 das Restaurant ­»Trader Vic’s« in Oakland, Kalifornien, von dem es heute weltweit Ableger gibt, darunter im Hotel »Bayerischer Hof« in München. Schrieb sich Zeit ­seines Lebens die Erfindung des »Mai Tai« (im Original aus Rum, Limettensaft, Curacao, Orgeat und Zuckersirup) auf die Fahne – wer Gegenteiliges behauptete wurde als Lügner bezeichnet. Schärfster Konkurrent von Donn Beach. Am 11. Oktober 1984 in Hillsborough, Kalifornien, verstorben.
  • Martin & Rebecca Cate
    Inhaber der preisgekrönten Bar »Smuggler’s Cove« in San Francisco, Kalifornien, die in den vergangenen Jahren mehrfach zu einer der 50 besten Bars weltweit und zur besten Bar Amerikas gekürt wurde. Die »Cove« im nautischen Tiki-Stil (das Gegenteil wäre Pira­ten­dekor) beherbergt zudem die größte Rum-Sammlung der Vereinigten Staaten. Vor allem Martin Cate gilt international als Experte für Rum und exotische Cocktails. Autoren des Cocktailbuches »Smuggler’s Cove: Exotic Cocktails, Rum, and the Cult of Tiki«.
  • Beachbum Berry
    Geboren als Jeff Berry. Gilt als einer der weltweit renommiertesten ­Tiki-Experten der Jetztzeit. Entschlüsselte die codierten Original­rezepte von Donn Beach, was ihm den Spitz­namen »Indiana Jones of Tiki drinks« (The New York Times) einbrachte. Autor mehrerer Bücher und Bar­guides über Tiki-Drinks und -Cuisine. Entwarf gemeinsam mit Cocktail Kingdom eine eigene Bar­equipment-Linie, die auch die charakteristischen Tiki-Mugs mit Totemmasken enthält.

Tiki-taugliche Spirits

Auf die Qualität kommt’s an: Sie trennt – wie so oft – die Spreu vom Weizen:

  • Old Judge Spirits
    Falernum des renommierten Wiener Barkeepers Markus ­Altrichter
    www.oldjudgespirits.com
  • O. Rum
    Organic Premium Rum der Mostviertler Destillerie ­Farthofer
    www.destillerie-farthofer.at
  • Ron Elba
    Ungesüßter »Dry Rum« zweier Hamburger Jungs
    www.ronelba.com
  • Don R*** Rum
    Norddeutscher Rum aus der Brennerei Feingeisterei auf Gut Basthorst
    www.feingeisterei.de
     
  • Ron Guajira Blanco
    Rum aus biologischer Melasse der Schweizer Bio-Spezialitätenbrennerei Humbel
    www.humbel.ch
  • Weichsellikör
    Mit einem Schuss Jamaicarum von Horvath’s Spezereyen aus Niederösterreich
    www.horvaths.at
  • Barrel Aged Sexy Bitters
    Fassgelagerter Bitters von Brenner Florian Faude und Münchner Bar-Größe Klaus St. Rainer
    www.lion-spirits.de
  • Schwarzwald Maraschino
    Die Traditionsbrennerei Schla­derer vereint die ­Markgräfler ­Sauerkirsche mit der namens­gebenden Maraska-Kirsche
    www.schladerer.de

Weitere Informationen

Smuggler‘s Cove
Exotic Cocktails, Rum, and the Cult of Tiki
Martin Cate, Rebecca Cate
Umfang: 352 Seiten
Verlag Ten Speed Press
ISBN 978-1-60774-733-8

Artikel aus Falstaff KARRIERE 02/18.

Sonja Planeta
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