Spektakulärer Naturschauplatz: die Moulting Lagoon an der Ostküste Tasmaniens.

Spektakulärer Naturschauplatz: die Moulting Lagoon an der Ostküste Tasmaniens.
© Wine Tasmania & Ilona Schneider

Tasmanien: In the middle of nowhere

Die abgelegene Insel, noch unentdeckt vom globalen Touristenstrom, ist eine Welt für sich. Auch ihre Weine besitzen Eigenständigkeit – und haben das Zeug zu einer internationalen Karriere.

Das Allererste, was einem an Tasmanien auffällt, ist die unglaublich frische Luft. Sobald man aus dem Flieger steigt, atmet man voller Erstaunen erst mal tief durch. Kein Wunder, denn die Wetterstation bei Cape Grim an der nordwestlichen Ecke Tasmaniens misst seit Jahren die sauberste Luft der Welt: 16.000 Kilometer liegen zwischen Tasmanien und dem Südzipfel Argentiniens, der nächsten Landmasse gen Westen. Im Osten liegt Neuseeland, im Süden nur noch die Antarktis. Umspült vom kalten, sauberen Wasser des tiefen südlichen Ozeans, ist Tasmanien so ziemlich das Gegenteil von allem, was man sich unter Australien vorstellt. Die Weine Tasmaniens sind ebenfalls weit entfernt von jeglichem australischen Klischee: Sie sind durchwirkt von ebendieser Frische, dieser forschen, klaren Sauberkeit. Genau deswegen gilt Tasmanien auch als die derzeit aufregendste Weinregion Australiens. Dass ihre 3300 Kilometer lange Küste einfach atemberaubend ist und uralte Regenwälder mit hoch aufragenden Eukalyptusbäumen und exotischen Baumfarnen nahezu mystisch anmuten, ist für Weinreisende ein hinreißender Bonus.

Tasmanien holt auf

Die kühle Frische der Insel prädestiniert Tasmanien geradezu für die Produktion von Schaumweinen und Rebsorten, die es gerne sonnig, aber nicht heiß mögen, wie Pinot Noir, Chardonnay und Riesling. Sie stellen zusammen zwei Drittel der 1800 Hektar großen Rebfläche und begründen Tasmaniens Ruf.
Die Westküste stellt die Wetterfront, ist nass, meist bewaldet und hauptsächlich als Nationalpark ausgewiesen – wie nahezu vierzig Prozent Tasmaniens. Wein gedeiht in den Tälern des Südens, an der trockenen Ostküste und im Nordwesten. Inzwischen reißen sich sogar zahlreiche Weingüter vom Festland um tasmanische Trauben, selbst Penfolds in Adelaide bezieht mitunter tasmanischen Chardonnay für seine Luxus-Cuvée Yattarna. Kym Schroeter, Kellermeister für Weißweine, erklärt: »Was Tasmanien dem Wein gibt und wonach ich suche, ist diese straffe Linearität – sie bringt knackige Zitrusfrische.«
Die Kult-Winzer Shaw & Smith aus den Adelaide Hills haben es noch weitergetrieben und 2011 im tasmanischen Coal River Valley im Süden der Insel einen heute 28 Jahre alten Weinberg gekauft und ihn auf Vordermann gebracht. Ursprünglich wurde er zur Schaumweinproduktion gepflanzt, halb Pinot Noir, halb Chardonnay. Heute werden daraus zwei der poetischsten Weine Australiens gekeltert, mit zurückhaltenden 12,5 Volumenprozent Alkohol. Michael Hill Smith, der erste Master of Wine Australiens und in Down Under eine Winzerlegende, meint: »Wir fanden die Frucht einfach umwerfend, diese aromatische Inten­sität, gepaart mit wirklich hoher Säure. Süd­tasmanien ist einzigartig, was Weinbau anbelangt. Diese Kombination von kühlem, aber trockenem Klima schlägt sich in deutlich prononcierten Aromen nieder, insbesondere im Chardonnay, Riesling und Pinot Noir.
Die Weine stechen wirklich hervor.«
Der Name des Weinguts und der Siedlung, Tolpuddle, weist aber auch auf die bedrückende Vergangenheit der Insel hin. 1803 wurde auf der damals außerordentlich ungastlichen und wilden Insel eine englische Strafkolonie gegründet. Das hatte auch Folgen für die rund siebentausend Aborigines, von denen nur wenige von Gewalt, Mord und ansteckenden Krankheiten verschont blieben. Bis zur Einstellung der Straftransporte um 1853 wurden rund 75.000 Häftlinge unter grausamsten Bedingungen dorthin verschleppt, oftmals für geringfügige Vergehen.
Unter ihnen waren auch die sogenannten Tolpuddle-Märtyrer, deren einziges »Verbrechen« es war, in ihrem gleichnamigen Heimatort in der südenglischen Grafschaft Dorset eine landwirtschaftliche Genossenschaft gegründet zu haben. Die Tolpuddle-Märtyrer wurden zwar nach öffentlichen Protesten begnadigt und durften wieder heimkehren, doch andere Sträflinge blieben. Zu ihnen stießen freie Siedler. Überall erinnern Ortsnamen wie Brighton und Grindelwald, Orford und Swansea an deren Heimweh und Herkunft. Oft sind die Parallelen zur Heimat eindeutig – beispielsweise liegen beide Orfords, das in Suffolk und das in Tasmanien, an einer geschützten Ostküstenbucht.

Shaw and Smith: reife Pinot-Noir-Trauben.
Foto beigestellt
Shaw and Smith: reife Pinot-Noir-Trauben.

Qualitätspioniere

Nach und nach begannen sich Bergbau, Forstwirtschaft und Obstbau auf der Insel zu entwickeln. Lange war »Tassie«, wie die Insel von Australiern liebevoll genannt wird, der Inbegriff einer fernen Provinz, von zurückgebliebener, anglophiler Abgeschiedenheit. Äpfel gab es dort und Wälder, aber sonst? Heute ist Tasmanien zur exklusiven Genießer- und Sportdestination geworden. Wein tat sich allerdings lange schwer. Bereits 1823 wurden die ersten Reben gepflanzt, und auch in den 1950ern gab es wieder Anfänge. Aber erst mit dem Klimawandel wurde man sich des wirklichen Potenzials bewusst. 1986 gab es 47 Hektar Reben, heute sind es über 1800. Doch selbst damit macht Tasmanien weniger als ein Prozent der australischen Gesamtproduktion aus.
Im Weinberg sind immer noch Pioniere gefragt: Anthony Woollams vom Nocton Vineyard, Coal River Valley, ist gerade dabei, eine ehemalige Schafschurscheune zu einem Geräteschuppen für die Weinbergsarbeit umzufunktionieren. Aus seinen Pinot-Noir-Trauben werden sowohl Schaumweine und Rotweine gekeltert, zur Untermiete auf einem anderen Weingut. »Auf dieser Insel sind wir anders als auf dem Festland auf der Suche nach den wärmsten Lagen und den besseren Jahrgängen. Früher war das ein Nachteil. Doch jetzt endlich ist Tasmanien the place to be«, sagt er.»Mit unseren Preisen können wir nicht konkurrieren, aber mit unserer Qualität«, sagt Woollams, »die Vegetationsperiode bei uns ist lang, die Reben treiben Ende September aus, blühen im November und wir ernten erst im März. Somit haben die Trauben reichlich Zeit, Aromen zu entwickeln.« Seine Pinots haben Geschmackstiefe und erinnern an Weichselkirschen und Rote Ribiseln, zeigen aber auch Rückgrat und Struktur. Leider gelangen sie kaum nach Europa und werden hauptsächlich im viel näheren China vermarktet.
Auch Tim Lyne vom Spring Vale Vineyard an der malerischen Ostküste, dessen Eltern auf der Familienfarm 1986 die ersten Reben pflanzten, sagt, dass sich alles erst in den letzten fünf Jahren wirklich verändert hat. »Heute geht es um Lifestyle, in jeder Kochsendung im Fernsehen wird Wein getrunken. Heute könnte ich das Dreifache unserer Produktion verkaufen, alle wollen ›Tassie‹ trinken.« meint er. Deshalb hat er in den letzten Jahren noch weitere acht Hektar Pinot Noir angepflanzt. Er hat aber auch Gewürztraminer, Chardonnay, Sauvignon Blanc und Pinot Gris im Angebot. Seine Farm, auf der auch Angusrinder gezüchtet werden, ist mehr als zwei Stunden von Hobart, dem Hauptort der Insel, entfernt. Sie liegt aber am Tasman Highway, der Küstenroute, und profitiert von den Touristen, die die traumhaften Strände von Freycinet Bay und den Nationalpark von Coles Bay ansteuern.

»Frühjahrsfrost bleibt einfach eine Tatsache hier.«
Tim Lyne, Spring Vale Vineyard

Im Sommer betreibt Lyne nun auch ein beliebtes Restaurant. Weinproben und Verkauf  sind in einem ehemaligen Stall untergebracht, der in den 1840ern noch von Sträflingen gemauert wurde. Tims Vorfahren kauften 1875 das Gut, er ist Farmer in der fünften Generation und weiß, dass jedes Jahr Risiken birgt. Immerhin geht der 42. Breitengrad genau durch seinen Keller. »Frühjahrsfrost bleibt einfach eine Tatsache hier. Um dem entgegenzuwirken, haben wir Frost-Sprinkleranlagen installiert. Dafür ist es aber ansonsten trocken, so bleiben die Reben meist gesund.« Was unterscheidet Tasmanien von den Weinen des Festlands? »Die Säure«, sagt er klipp und klar. »Bei den Pinots ist es eine Eleganz, ein fester Druck mit Samthandschuhen.« Vom Flugzeug aus kann man sehen, wie dünn besiedelt die Insel ist: weite Wälder und karges, felsiges Weideland, nur ganz selten von einer einsamen Farm oder kleinen Siedlungen unterbrochen. Knapp über eine halbe Million Einwohner leben auf der Insel, fast die Hälfte von ihnen in der netten Hafenhauptstadt Hobart. Der Fläche nach lässt sich Tasmanien mit Irland vergleichen, das allerdings rund ein Fünftel größer ist.
Auf der Fahrt nach Norden wird es merklich grüner und fruchtbarer. Bei Josef Chromy Wines, wenige Meter außerhalb von Launceston, macht der in Riesling vernarrte Kellermeister Jeremy Dineen sogar einen spritzigen Rieslingsekt namens »Pepik« und einen Kabinett-Stil namens »Delikat« – mit nur sieben Prozent Alkohol und einem stattlichen Restzuckergehalt von sechzig Gramm pro Liter, der aber bei einem pH-Wert von 2,78 im fertigen Wein kaum zu schmecken ist. »Ich glaube fest daran, dass Tasmanien eines Tages für den besten Riesling Australiens bekannt sein wird«, sagt er überzeugt. »Jetzt sind wir bereits für unsere Schaumweine und für Pinot bekannt. Aber wir machen auch einige der besten Rieslinge – Weine mit einer natürlichen Balance, von einer Klarheit und Säure, die man in wärmeren Klimaten einfach nicht erreicht.« Er hat gelernt, mit der tasmanischen Säure und den unvermeidlichen Jahrgangsschwankungen umzugehen. Für Dineen ist die Sache klar: »Schwierige Jahrgänge zeigen zwei Dinge auf: Zum einen heben sie die wirklich guten Lagen hervor, zum anderen unterscheiden sie die Winzer, die ihre Weinberge kennen, von denen, die es nicht tun.«

Wie gemalt: Richmond im Süden Tasmaniens
Foto beigestellt
Wie gemalt: Richmond im Süden Tasmaniens

Von klarer Frische

Ganz an der Nordküste, mit wunderbarem Panorama auf die Bass Strait, liegen die Weinberge von Jansz und Dalrymple. Jansz wurde 1975 als Schaumweingut gegründet, ging 1986 eine Partnerschaft mit dem Champa­gnerhaus Roederer ein, gehört aber seit 1997 der Hill-Smith-Familie. Die klassische Flaschengärung wird dort einfach als »Méthode Tasmanoise« bezeichnet und bringt wunderbar cremige, elegante und fein perlende Weine hervor. Vor allem die Jahrgangsschaumweine sind beeindruckend. Sogar die bodenständige Önologin Louisa Rose, sonst durch und durch weinbeflissene Wissenschaftlerin, kommt beim Jansz 2011 Brut Rosé ins Schwärmen: »Da ist Trüffel in den Pinots, etwas Erdiges, das wir auf dem Festland nie haben. Wenn’s ans Ernten geht, weiß man genau, wann es soweit ist, denn dann schmecken die Trauben genauso wie der Wein: nach Rosenblüten und türkischem Honig. Dieser Wein schmeckt uns in ›Tassie‹ besonders zu Lachs-Sashimi«, sagt Rose. Die Kollegen bei Dalrymple konzentrieren sich ebenfalls auf Chardonnay und Pinot Noir, machen daraus aber stille Weine. Auch ihnen ist dieselbe klare Frische zu eigen. »Da ist Spannung«, sagt Winzer Peter Caldwell und beruft sich auf die lange Vegetationsperiode in den Weinbergen dieser verrückten Insel, irgendwo am Ende der Welt.

  • Moorilla Estate
    Weingut im Süden Tasmaniens, das auch Führungen und Verkostungen anbietet.
    651-655 Main Road
    Berriedale TAS 7011 
    T: +61 3 6277 9900                      
    www.moorilla.com.au
  • Spring Vale Wines
    Wunderschönes Weingut und Seafood-Restaurant mit frischem Fisch.
    130 Springvale Road
    Cranbrook TAS 7190
    T: +61 3 6257 8208           
    www.springvalewines.com
  • Freycinet Vineyards
    Nicht nur aufgrund des Weins ist der Vineyard einen Besuch wert. Hier wird auch Olivenöl produziert.
    15919 Tasman Highway
    Bicheno TAS 7215
    T: +61 3 6257 8574 
    www.freycinetvineyard.com.au
  • Josef Chromy Wines
    Modernes Weingut mit preisgekrönten Weinen und schickem Fine-Dining-Restaurant.
    370 Relbia Road, Relbia TAS 7258
    T: +61 3 6335 8700
    www.josefchromy.com.au
  • Tamar Ridge Cellar Door
    Weingut mit großartiger Aussicht auf den Tamar River und guter Küche. Auch ein Picknick ist möglich.
    1A Waldhorn Drive
    Rosevears TAS 7277
    T: +61 3 6330 1800
    www.brownbrothers.com.au
  • Jansz Wines
    Im Nordosten gelegen, befindet sich das Weingut in der schönen Pipers-River-Region. 
    1216 Pipers Brook Road
    Pipers Brook TAS 7254
    T: +61 3 6382 7066                 
    www.jansz.com.au
  • Flüge
    Flüge nach Tasmanien gibt es ausschließlich vom australischen Festland aus, angeflogen werden Hobart und Launceston.

Aus dem Falstaff Magazin 04/2016.

Anne Krebiehl MW
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