Störfall Kaviar - All about Beluga, Sevruga & Co.

Das Know-how der Störzucht hat sich derart weiterentwickelt, dass Zuchtware in der Qualität von Wildkaviar kaum zu unterscheiden ist.

Seit 2011 gilt ein weltweites Fang­verbot für sämtliche Störarten – was bedeutet, dass es legal keinen Wild­­kaviar mehr gibt. Außer, er wurde noch 2010 in Dosen abgefüllt oder tiefgefroren. Dass das aber kein wirklicher Genuss ist, bestätigt Jörg-Michael Zamek, Geschäftsführer des deutschen Unternehmens Desietra in Fulda: »Kaviar hält sich mit Konservierungsstoffen höchstens zwölf Monate. Und nach neun Monaten nimmt er den Blechgeschmack der Dosen an.« Desietra, 2002 gegründet, zählt mit einer Jahresproduktion von 7,5 Tonnen (2012) zu den größten Produzenten von Zuchtkaviar in Europa. In erster Linie wird mit Sibirischem (Baeri-Kaviar) und ­Russischem Stör (Ossietra) gearbeitet.

Vom Sternhausen oder Scherg stammt die Kaviarsorte Sevruga / Foto: beigestelltGroße Nachfrage
Die Störzucht gilt als Geschäft mit Zukunft. Die weltweite Nachfrage liegt bei 3000 Tonnen pro Jahr, produziert werden derzeit aber lediglich etwa 150 Tonnen. Kaviar kommt inzwischen aus China, den USA, Italien, Griechenland, Spanien, der Schweiz, Frankreich, Deutschland sowie Österreich. Und aus Uruguay. Dort arbeitet das Schweizer Unternehmen Zwyer mit der Störfarm Esturiones del Rio Negro zusammen, die Tiere werden nach ökologischen Kriterien artgerecht aufgezogen. Störe vermehren sich in Gefangenschaft. Ganz unterschiedliche Gattungen werden von den Störfarmen zur Zucht verwendet: In den USA wird Acipenser transmontanus (Weißer Stör oder Sacramento-Stör) gezüchtet; diese Art gilt als sehr ergiebig. Die Franzosen setzen ebenso auf die sibirische Spezies Baeri wie Walter Grüll aus Grödig bei Salzburg, der einzige Produzent in Österreich. In Italien verkauft der Hersteller Agroit­tica seine Ware als »venezianischen Kaviar« – laut Unternehmensangaben stammen die teuren Fischeier von einer Kreuzung aus Baeri und Adria-Stör. Aus China kommt Zuchtkaviar von Schrencki-Stören. Diese lebten einst im Amur, im Grenzfluss zu Russland, und werden heute angeblich in Gebirgsseen gezüchtet. Genaues weiß man nicht, denn die Importeure sind mit Angaben jeglicher Art sehr sparsam. Fest steht, dass der chinesische Kaviar nur für den Export produziert wird, in der traditionellen Küche des Landes haben die Fischeier keinen Platz.

Der Sibirische Stör ist eine der in Zuchten am ­häufigsten ein­­gesetzten ­Arten / Foto: beigestelltNicht jeder Zuchtkaviar ist qualitativ einwandfrei
Qualitativ fällt die Zuchtware unterschiedlich aus: Es gibt Kaviar, den auch ­Experten mit Wildkaviar verwechseln könnten. Und es gibt jenen mit dem Hautgout von Brackwasser und einer schleimigen Konsistenz. Die Zuchtbedingungen sind entscheidend. Faktoren wie Wasserqualität, Ernährung, Reifegrad des Rogens bei der Entnahme, Verarbeitung und Kühlung sowie der Salzgehalt für die Konservierung spielen eine weitaus wichtigere Rolle für den Geschmack als etwa Größe und Farbe der Fischeier. Bei einem Blindtest hat Antoine Boucomont, ­Eigentümer des Pariser Großhandels Le ­Delas mit 60 Millionen Euro Jahresumsatz, mit Kaviar von Stören aus Gebirgsseen gute Erfahrungen gemacht: »Das Siegertrio bestand aus zwei chinesischen Schrencki-Ka­viaren und einem spanischen Baeri aus den Pyrenäen.« Eine Regel will er daraus aber nicht ableiten: Die Eier der Störsorte Baeri, gezüchtet im französischen Südwesten, ­rochen muffig. »Es gibt guten Kaviar vom Zuchtstör«, sagt Boucomont, »doch nicht ­jeder Zuchtkaviar schmeckt wie Kaviar.«

Raritäten haben ihren Preis
Billig ist Zuchtkaviar nicht, die Kilopreise liegen bei 1300 bis 1800 Euro. Und nach wie vor halten sich Mythen vom Goldenen ­Zaren-Kaviar, angeblich das teuerste Luxusprodukt der Welt, für den im Handel Kilopreise bis zu 17.000 Euro aufgerufen werden und der in Moskauer Spitzenrestaurants mit Oligarchen-Klientel bis zu 40.000 Euro kos­tet. »Albino-Kaviar vom Belugastör gibt es längst nicht mehr«, sagt Jörg-Michael Zamek. Jener so gerühmte teure Kaviar stammt inzwischen vom Sterlet, der einzigen Störart, die als Albino gezüchtet werden kann und weißen Kaviar liefert. Dafür solche Preise aufzurufen, ist für Zamek nicht nachvollziehbar. »Der Sterlet ist der billigste Stör«, sagt er. »Wir ­verkaufen seinen Kaviar an Großhändler zum Kilopreis von 450 Euro.«

Junge Exemplare des Russischen Störs. Nach etwa sieben Jahren liefern die Weibchen zum ersten Mal Kaviar der Sorte Ossietra / Foto: beigestellt
Junge Exemplare des Russischen Störs. Nach etwa sieben Jahren liefern die Weibchen zum ersten Mal Kaviar der Sorte Ossietra

Industrie- vs. Farmkaviar
Auch Roland Schröder, Präsident der International Caviar Corporation (ICC) mit Sitz in Plößberg in der Oberpfalz, muss bei dem Thema schmunzeln. »Der letzte 100-jährige Stör aus dem Kaspischen Meer, der Goldenen ­Zaren-Kaviar geliefert hat, dürfte gefangen worden sein, als der russische Zar noch lebte.« Er hält beim Zaren-Kaviar Preise von bis zu 5000 Euro pro Kilo für realistisch. ICC produziert derzeit lediglich 250 Kilo Kaviar pro Jahr, ist aber auf dem besten Weg, ein Big Player zu werden. Seit einem Jahr besitzt das börsennotierte Unternehmen einen Standort in Alt Ruppin nahe Berlin. »In drei bis vier Jahren werden wir dort etwa zehn Tonnen Kaviar pro Jahr herstellen«, so Schröder. Bei der Qualität von Zuchtkaviar müsse man seiner Meinung nach unterscheiden zwischen ­Industriekaviar, der von Stören aus sogenannten Warmwasserkreislaufanlagen stammt, und Farmkaviar von Stören, die in Teichen, Flüssen oder Seen gehalten werden. »Störe aus Industriezucht leben quasi in einer Kloake und verfetten, das wirkt sich negativ auf den ­Geschmack aus.« Zwar könne der Fettgeschmack der Fischeier durch mehrmaliges Spülen beseitigt werden, »aber dann schmeckt der Kaviar nach nichts mehr«.

Aus Uruguay stammt der Kaviar der Schweizer Firma Zwyer, die vor Ort mit der ­Störfarm Esturiones del Rio Negro zusammenarbeitet / Foto: beigestellt
Aus Uruguay stammt der Kaviar der Schweizer Firma Zwyer, die vor Ort mit der ­Störfarm Esturiones del Rio Negro zusammenarbeitet

Ossietra-Kaviar besitzt eine milde und zugleich nussige Note / Foto: beigestelltNeue Zuchtmethoden
Die Störzucht ist kostenintensiv: Weibliche Störe brauchen vier bis sieben Jahre bis zur ­ersten »Kaviarernte«. Während dieser Zeit müssen sie gepflegt und gefüttert werden. ­Andererseits können Zuchten inzwischen ­Kaviar in fast beliebiger Menge produzieren. Nach wie vor müssen die Störe, sollen sie hochwertigen Kaviar liefern, für die Entnahme der Eier geschlachtet werden. Dies ist auch bei Walter Grüll in Österreich der Fall. »Lebendentnahme machen wir nur bei Muttertieren zu Zuchtzwecken«, sagt Sohn Patrick. Dies könnte sich in Zukunft ändern. Im Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung wurde ein Verfahren erfolgreich getestet: Den Stören wird eine Befruchtung vorgetäuscht, sodass die reifen Eier entnommen werden können, ohne das Tier zu schlachten. Zehn Kaviarentnahmen pro Stör sind angeblich möglich, weibliche Störe würden mit 20 Jahren etwa dreimal so alt wie bisher.

Kundeninformation als A und O
Das Risiko, beim Kauf geneppt zu werden, ist eher klein. Jede Dose Kaviar verfügt über eine Identifikationsnummer, dort stehen auch Störsorte und Herkunftsland. Außerdem muss jede legal gehandelte Dose mit einer Banderole versehen sein, die beim Öffnen der Dose zerreißt.

Baeri-Kaviar vom Sibirischen Stör ist vergleichsweise erschwinglich / Foto: beigestelltKaviar, der keiner ist
Ein Thema hingegen bleibt das systematische Aushöhlen altbekannter Bezeichnungen. Das Wort Kaviar (es stammt mit großer Wahrscheinlichkeit von dem persischen Begriff »chav-jar«, was man mit »Kuchen der Freude« übersetzen kann; die Fischeier galten als Medizin) war ursprünglich eine Bezeichnung für Eier vom Stör, andere Fischarten lieferten Rogen. Inzwischen steht Kaviar auch für aromatisierte Kugeln, sei es Zitronenkaviar, Trüffelkaviar oder den in der Gastronomie beliebten Heringskaviar aus der Fabrik – der enthält keine Herings­eier, sondern Wasser, Sepiatinte, Xanthan und Hering. Derartige Ersatzprodukte sollten dann allerdings auch als solche auf der ­Speisekarte ausgewiesen sein.


Kaviar – Hintergrundinfos: Sorten und Preise, Einkaufstipps, Kaviar aus Österreich und Bezugsquellen

Kaviar aus der Schweiz

Text von Jörg Zipprick, Michael Tempel
Aus Falstaff Nr. 08/2012 bzw. Falstaff Deutschland Nr. 06/2012