Köche und Gastronomen freuen sich auf den Restart.

Köche und Gastronomen freuen sich auf den Restart.
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Sterneköche: Optimismus trotz Millionenverlusten

Deutschlands Top-Gastronomen ziehen für Falstaff Bilanz nach einem halben Jahr Lockdown. Die Hoffnung steigt, das Kapitel Corona bald zu beenden. Mehrheit rechnet mit baldiger Öffnung.

Als Kanzlerin Angela Merkel in den Abendstunden des 28. Oktobers 2020 zusammen mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Berlins Regierendem Bürgermeister Müller vor die Presse trat, da ahnte Christian Bau schon, dass die Sache nicht gut ausgehen würde. Bau, der seit 2005 drei Sterne für sein Restaurant »Victor’s Fine Dining« im Saarland hält, machte sich über die Zukunft seiner Branche keine Illusionen: »Wenn wir jetzt noch mal in den Lockdown gehen, dann sperren wir so schnell nicht mehr auf.« Wie richtig er damit liegen sollte, wusste er damals noch nicht.  

Ein halbes Jahr dauert der einst »Lockdown light« getaufte Zustand nun schon an. Am 2. November vergangenen Jahres traten die Beschränkungen in Kraft, die Beschäftigten in der Gastronomie und vielen weiteren Branchen verbot, ihren Beruf auszuüben. Und das, nachdem der erste Lockdown zwischen März und Mai sie ohnehin schon geschwächt hatte.

Einblicke in den Corona-Alltag

Falstaff hat sich umgehört und mit Top-Gastronomen, Spitzenköchinnen und Spitzenköchen gesprochen. Was sie erzählen, gibt anschauliche Einblicke in den Arbeitsalltag von Top-Gastronomen, die seit sechs Monaten nicht mehr machen dürfen, was sie machen möchten. Die häufig nicht nur die besten Köche ihres Fachs sind, sondern zugleich Unternehmer, die Verantwortung für Dutzende Mitarbeiter tragen. In der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg haben sie Durchhaltevermögen bewiesen, Mut zu Veränderung gezeigt und manchmal für sie selbst überraschende Kreativität an den Tag gelegt.

Dieser Artikel liefert einen Überblick, in den nächsten Tagen erscheinen weitere Einzeltexte, in denen Gastronomen, Köchinnen und Köche ihren Corona-Alltag schildern.

Fast alle Mitarbeiter sind noch an Bord

Für Außenstehende wirkt es erstaunlich, wie positiv die Protagonisten mit der Situation umgehen. Schließlich sind sie nicht nur an der Ausübung ihres Handwerks gehindert, sondern müssen häufig auch auf eine Menge Geld verzichten.

»Insgesamt habe ich weit über eine Million Euro Umsatz verloren«, sagt etwa Kevin Fehling, der sein 3-Sterne-Restaurant »The Table« in Hamburg ohne externe Geldgeber betreibt. Tim Raue, geschäftiger Gründer und Betreiber mehrerer Restaurants, beziffert den Umsatzverlust allein für sein Zwei-Sterne-Flagschiff am Checkpoint Charlie in Berlin auf »über eine Million Euro«. Ähnlich hohe Verluste melden Clemens Rambichler, Drei-Sternekoch aus der Eifel, und die Kölner Gastronomin Julia Komp, die ihre entgangenen Umsätze auf einen hohen sechsstelligen Betrag schätzen.

Trotzdem hat die überwiegende Mehrheit keinem Mitarbeiter gekündigt. Im Gegenteil, einige haben sogar noch eingestellt. Kurzarbeit spielt häufig eine Rolle, fast alle Chefs stocken ihrem Team aus eigener Tasche das Gehalt auf. Viele Befragte rechnen mit einem Boom, sobald die Politik den Startschuss für Öffnungen gibt. »Exorbitant« werde die Nachfrage sein, schätzt Christian Bau, »unsere Bücher sind voll« schreibt Clemens Rambichler. Dann muss die Maschine laufen, und das funktioniert nur mit einem eingespielten Team.

60 Liter Hummersuppe im Drei-Sterne-Restaurant

Eine wichtige Rolle, um Mitarbeiter weiter bei Laune zu halten, spielt in einigen Betrieben das To-Go und Liefergeschäft. Wirtschaftlich bringt es kaum etwas, doch zumindest ist die Belegschaft nicht zum Nichtstun verurteilt. Zugleich haben die Boxen die Kreativität angeregt. Mancher springt über seinen Schatten. So sagt Christian Bau, der mit der »Bau in the Box« Essen per Post versendet: »Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob ich mal in meinem Restaurant stehe und 60 Liter Hummersuppe koche, hätte ich gelacht. Jetzt kochen wir wie in einer Kantine.«

Billy Wagner vom Nobelhart & Schmutzig in Berlin hebt hervor, dass man die Grundwerte des Restaurants durch den eigenen Shop niedrigschwelliger anbieten könne. Und Oliver Bischoff vom Dessert-Restaurant »Coda« in Berlin glaubt, dass die neu entwickelte Tafelschokolade zum Mitnehmen auch nach dem Lockdown bleibt.

Etliche Köche betonen, wie sehr sie die Zeit mit der Familie schätzen gelernt haben. Die mit zwei Sternen ausgezeichnete Gastronomin Douce Steiner kocht nun jeden Abend für ihre Familie am eigenen Herd – fährt zum Einkauf aber noch immer über die Grenze ins Elsass. Kevin Fehling hat ebenso wie sein Drei-Sterne-Kollege Christian Jürgens vom Tegernsee Zeit für Sport und die Familie.

»Keine Alternative zur Hoffnung«

Doch wenn es eine Sache gibt, die sich alle Gastronomen und Köche wünschen, dann ist es eine Rückkehr zur Normalität. »Klarheit« fordert Oliver Bischoff aus dem »Coda« von der Politik. »Alle freuen sich, wenn es wieder losgeht«, meint Clemens Rambichler. »Wir freuen uns darauf, endlich wieder drei Sterne auf den Teller zu bringen«, sagt Kevin Fehling.

Wann es soweit ist? Fast alle Befragten rechnen mit einem Restart im Juni, stellen sich aber auch auf spätere Öffnungen ein. Dank der Impfungen sei endlich Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Niemand tendiert zu Pessimismus. »Es gibt keine Alternative zur Hoffnung«, sagt Tim Raue. »Jammern und Zaudern hat noch nie geholfen.«

Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
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