Der Spätburgunder bringt Weine mit ­starkem Lokalcharakter hervor – hier wächst er mit Blick auf den Ort Oberbergen im Kaiserstuhl, Baden-Württemberg.

Der Spätburgunder bringt Weine mit ­starkem Lokalcharakter hervor – hier wächst er mit Blick auf den Ort Oberbergen im Kaiserstuhl, Baden-Württemberg.
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Spätburgunder: Destination Weltmarkt

Deutschlands Spätburgunder waren nie zuvor stilistisch so vielseitig. Und sie hatten noch nie eine so große Chance auf internationale Beachtung.

Fährt man durch die Weinberge Schweigens in der Südpfalz, die deutsche Weinstraße im Rücken, dann gelangt man am Fuß der Reben zu Straßenschildern wie »Impasse Mozart« oder »Boulevard d’Europe«. Unbemerkt hat man das Land gewechselt und ist im französischen Wissembourg gelandet.
Mit den Weinbergen direkt auf der Landesgrenze hat es eine besondere Bewandtnis, denn zum einen liegt hier ein Epizen­trum des deutschen Spätburgunder-Schaffens – mit den Kelterungen der Weingüter Becker, Jülg, Bernhart und Nauerth-Gnägy hat Schweigen auch bei der Falstaff Spätburgundertrophy ein halbes Dutzend an markanten Burgundern weit nach vorn in die Wertung gebracht. Zum anderen sind die Schweigener Lagen Zeugen der Geschichte, denn im Lauf der Jahrhunderte lag die Landesgrenze immer mal wieder erst auf der einen, dann auf der anderen Seite. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es bis zum Jahr 1984, bis der Status des Grenzgebiets geklärt war – und Schweigens Winzer ihre zwischenzeitlich vom französischen Staat verwalteten Weinberge wieder als Eigentum zurückerhielten.
Wie aber kommt es, dass der Ort gerade beim Pinot Noir so eine Macht ist? »Wenn man in Schweigen den Berg runterguckt«, sagt Werner Jülg, dessen Pinot Noir den dritten Platz der aktuellen Falstaff Trophy errungen hat, »dann dreht der nach Westen ins Lautertal, dadurch haben die Weinberge eine Südostexposition fast wie an der Côte d’Or, und das auf Kalk. Dazu kommt, dass wir Winzer hier an der Grenze eine große Affinität zum Burgundergeschmackstyp haben. Mein Vater hat es schon in den 60er-Jahren abgelehnt, süßen Wein für die Touristen zu machen. Das war einer der wesentlichen Gründe dafür, dass der Betrieb überhaupt so auf die Beine kam.«

Auslandserfahrung

In dieser Situation liegt es nahe, dass auch Werner Jülgs Sohn Johannes den Gang über die Grenze antrat. Während seiner Wanderjahre arbeitete der heute 32-Jährige in Burgund bei der Domaine des Lambrays in Morey-Saint-Denis – kurz bevor das 20-Hektar-Weingut für kolportierte 100 Millionen Euro den Besitzer wechselte.
Von solchen Deals und solchen Summen ist der deutsche Spätburgunder noch weit entfernt. Doch zumindest in puncto Flaschenpreis stellen dreistellige Zahlen kein unüberwindbares Hindernis mehr dar. So hat etwa Friedrich Becker die 100-Euro-Marke geknackt – mit seinem »Heydenreich«, der in der Höhe am Waldrand in einem Steilhang auf purem Kalk wächst. Sebastian Fürst gelang dasselbe mit dem »Hundsrück« aus der besten Parzelle des Bürgstadter Centgrafenbergs, und auch im Rheingau scheint beim Weingut Chat Sauvage für die Top-Cuvée »Le Schulz« ein dreistelliger Preis auf. Blickt man auf die Preisentwicklung der Burgunder aus Burgund, sind diese Preise nur allzu verständlich. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch der Weltmarkt bemerkt, dass die besten deutschen Burgunder in derselben Liga spielen wie die Originale.

Auch in Sachsen wächst beachtlicher Spätburgunder, so etwa bei Schloss Wackerbarth.
Foto beigestellt
Auch in Sachsen wächst beachtlicher Spätburgunder, so etwa bei Schloss Wackerbarth.

Die Früchte von Jahrzehnten

Wahrscheinlich hat dieser Erkenntnis­prozess sogar schon begonnen. Denn die Alternativen zu Burgund lassen sich an ­den Fingern einer Hand abzählen: Oregon, 3000 Hektar; Neuseeland, 5000 Hektar; Südtirol, 400 Hektar; Schweiz, 4000 Hek­tar. Wenn man überschlägt, dass selbst in Burgund die Hochkaräter von höchstens ein, zwei Prozent der Rebfläche kommen, sieht man schnell, wie spitz der Markt für beste Pinot-Qualitäten ist. Mit seinen 11.700 Hektar verfügt Deutschland da über ein geradezu gigantisches Potenzial.
Zumal die neuen, frischeren Typen Spätburgunder bei der internationalen Klientel ins Schwarze treffen dürften. Das beste Beispiel sind die Weine, die aus dem Weingut des gerade zum 50. Mal in Folge Michelin-besternten »Schwarzen Adler« in Oberbergen kommen. Der Gründer von Restaurant und Weingut, Franz Keller, war einer der ersten, die nach dem Zweiten Weltkrieg Burgunderweine nach Deutschland importierten. Sein Sohn Fritz hatte dann Ende der 80er-Jahre die Idee, in einer gerade erworbenen Parzelle des Oberrotweiler Eichbergs Klonenmaterial aus Burgund zu pflanzen. Generation drei, Friedrich Keller, nützte diese Steilvorlage im Jahrgang 2016 zu einem GG, das für seine unwiderstehliche Eleganz mit Platz eins der Falstaff-Trophy ausgezeichnet wurde. Breit-behäbige Spät­lesetypen waren die Keller-Pinots noch nie – aber es ist doch neu, dass sie so bedingungslos auf Reifevermögen gekeltert sind. Etwa in drei Jahren können man anfangen, diesen Wein anzutrinken, sagt Friedrich Keller auf Nachfrage, »wenn man einen Sechserkarton hat«. Da ist man versucht anzufügen: um dann jeweils im Dreijahresturnus die nächste Flasche zu probieren.
Auf der Arbeit einer früheren Generation baut auch Peter Perabo auf, der Kopf des Bischöflichen Weinguts Rüdesheim, dessen »Rüdesheimer Pinot Noir S« die Falstaff Spätburgundertrophy ex aequo gewonnen hat. Bei diesen alten Reben, so Perabo, handle es sich um einen Geisenheimer Klon, gepflanzt von einem Priester, der in den 60er-Jahren das Weingut verwaltete und der »mehr Winzer als Priester« war. Wo der Keller-Pinot Burgund an den Kaiserstuhl verlegt, verkörpert der bischöfliche Wein die Perfektion des alten Rheingauer Stils – und wirkt darin dann auch schon wieder irgendwie burgundisch.

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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