© Michael Wilfling 2017

Silvaner – der Frankenwein schlechthin

Noch in den 1960er-Jahren war der Silvaner in ganz Deutschland die wichtigste Rebsorte. Dann wurde es still um ihn, einzig Franken trug das Feuer der Tradition weiter. Und heute?

Es steckt eine extreme Energie in dem Berg«, sagt Horst Sauer aus Escherndorf und meint damit die Weinberglage mit dem schönen Namen »Lump«. »Lump« nicht wie »Schurke«, sondern wie »Lumpen« – weil durch jahrhundertelange Erbteilungen Kleinstparzellen entstanden sind, dem Volksmund zufolge schmal wie ein Fetzen Stoff. Sauer besitzt gleich ein paar Hektar in diesem Steilhang, der sich wie ein Parabolspiegel an den Main schmiegt – und holt Silvaner vom Feinsten aus der Lage. »Der Lump ist ein Silvaner-Paradies, aber er fordert uns körperlich. Wenn du raufgehst, machst du drei Schritte nach oben und rutschst zwei zurück, und wenn du runterläufst, geht’s so schnell, dass dir der Wind entgegenkommt.« Die Mühen lohnen sich jedoch für Sauer und seine Escherndorfer Kollegen, deren Weine die vielen Facetten des Silvaners zeigen, ohne ein unveränderliches Merkmal des Lump zu überdecken: seine rauchige Mineralität, die aus dem Muschelkalk im Boden kommt.

Im Tongefäß ruht der Wein

Für den Biowinzer Manfred Rothe aus Nordheim am Main spielt der Muschelkalk sogar im Keller eine Rolle, man könnte sagen: eine gewichtige. Denn Rothe nützt die Steine aus seinem Sommeracher Weinberg, um die Deckel seiner Tongefäße zu beschweren. Eine Gummidichtung sitzt auf der tönernen Öffnung der in der Erde versenkten Qvevris, auf der Dichtung ruht eine passgenaue Scheibe aus Edelstahl – und auf dieser Scheibe liegen vier, fünf größere Brocken Kalk. Im Tongefäß darunter wiederum ruht der Wein – auch nach der Gärung noch monatelang mitsamt den Beerenschalen. Und das nicht nur bei roten Trauben, sondern auch bei Frankens weißer Leib-und-Magen-Sorte, dem Silvaner.

In den Steilhängen von Randersacker vor den Toren Würzburgs gelangen die Silvanertrauben für Experimente wie »Pure Grapes« bis zur perfekten Reife.
© Michael Wilfling 2017
In den Steilhängen von Randersacker vor den Toren Würzburgs gelangen die Silvanertrauben für Experimente wie »Pure Grapes« bis zur perfekten Reife.

Neue Silvaner-Stile

Ausgelöst wurde Rothes Experimentierfreude durch die Suche nach einem Silvaner mit besonders langem Reifepotenzial. Zunächst begann er, mit Maischegärungen im Holzfass zu experimentieren. Auf einer Tagung über die historische Weinbereitung im Kaukasus knüpfte Rothe schließlich einen Kontakt nach Georgien – und konnte bald darauf zwei 1200-Liter-Gefäße erwerben. Im Herbst 2012 versenkte er erstmals einen Silvaner-Ertrag in einer seiner beiden Qvevris. Im Frühjahr 2013 kam dann der große Moment: »Beim Öffnen habe ich Blut und Wasser geschwitzt«, lacht Rothe. Doch der Wein war noch drin in den Qvevris – die Versiegelung der Poren mit Bienenwachs hatte gehalten. Und der Wein? Schmeckte so gut, dass Rothe diese Art der Silvaner-Kelterung seither in jedem Herbst wiederholt hat.
Rothes Pioniertat ist beispielhaft für die unbändige Lust an der Erkundung neuer Silvaner-Stile, die Frankens Winzer erfasst hat.

Konventionelles Handwerk trifft experimentelle Neugier

Dabei führen viele Wege zum anders schmeckenden Silvaner, auch solche, die das Beste des konventionellen Handwerks mit experimenteller Neugier verbinden. So könnte man etwa den Silvaner »Pure Grapes« des Weinguts Störrlein Krenig aus Randersacker als eine Art Nachahmung der Qvevri-Weinbereitung mit moderneren technischen Mitteln bezeichnen. »Gemeinsam mit meiner Tochter und meinem Schwiegersohn haben wir uns Folgendes ausgedacht«, beginnt Armin Störrlein zu erzählen: »Wir lassen die Silvaner-Maische wie beim Rotwein gären, Richtung Orange Wine. Aber mir gefällt die oxidative Sherry-Note nicht, daher wollten wir einen leichten Oxidationsschutz.«

Es wird bei der Planung kräftig gearbeitet haben in Störrlein, der von jeher für Weine bekannt ist, die handwerklich intelligent gemacht sind, ohne darüber im Stil technisch zu werden. Bislang standen sie für eine abgeklärte fränkische Klassik: trocken, ungekünstelt, langlebig. Jetzt haben Störrlein und sein Schwiegersohn Martin Krenig diesen Stil ins Experimentelle übertragen. Störrlein berichtet weiter: »Aus dem Ertrag alter Reben haben wir das Beste ausgesucht, absolut gesunde Trauben. Dann haben wir auf das übliche Mahlen verzichtet – wir haben ein neues Gerät, das die Beeren beim Entrappen intakt lässt.

Die ganzen Beeren haben wir dann randvoll in einen kreisrunden Stahltank gefüllt. Dann haben wir den Deckel mit Gärspund aufgesetzt. Schließlich beginnt im unteren Bereich des Gefäßes langsam die Gärung, weil dort von selbst etwas Saft austritt. Und dann breitet sich die Gärung langsam aus, wobei …« – und hier lässt Störrleins Stimmfärbung mehr und mehr Begeisterung durchklingen – »noch ein zweiter Vorgang abläuft: Die Beeren gären nämlich auch innerlich, bevor sie aufplatzen und Saft freigeben. Ich hab’ nach dem Ende der Gärung Dutzende einzelne Beeren probiert, die schmecken alle anders, denn jede Beere ist ihr eigener Gärbehälter!« Die Gärung dauerte bis Weihnachten, stets luftdicht abgeschlossen. Dann wurde die Maische schonend gepresst und der Jungwein trüb in Barriques abgezogen. Der Erstling aus dem Jahrgang 2015 war der Falstaff-Jury fulminante 96 Punkte wert.

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Neugierige Winzer

Natürlich stehen aber nicht ausschließlich Maischegärungen für die Dynamik der neuen Silvaner-Landschaft Frankens: Manche Betriebe versuchen den Ausbau in einem Behälter aus Granit, etwa Uli Kremer aus Großheubach, Christian Reiss aus Würzburg oder die Genossenschaft Divino aus Nordheim, andere wie Daniel und Rainer Sauer aus Escherndorf oder Ludwig Knoll vom Weingut am Stein in Würzburg nützen Beton-Eier, um der Dynamik der Gärung eine andere Richtung zu geben. Neugierig sind in Franken zudem auch die staatlichen Stellen: Die Versuchsanstalt in Veitshöchheim hat schon vor über zehn Jahren begonnen, die Eignung des Silvaners für Orange-Kelterungen zu erkunden. Und der Weinbauberater des Bezirks Unterfranken, Hermann Mengler, ist ein nimmer ruhender Innovator, der im persönlichen Ortstermin bei den Winzern weinbauliche und/oder kellertechnische Lösungen entwickelt, die dem Silvaner immer neue Facetten seines Geschmackspotenzials entlocken.

»Das Salz in der Suppe«

Über dieser Experimentierfreude gerät allerdings auch die Klassik nicht in Vergessenheit. Die beiden Würzburger Spitäler, die seit Jahrhunderten für eine klare stilistische Ausrichtung stehen – das Juliusspital für Intensität und geschliffenen aromatischen Ausdruck, das Bürgerspital für puristisch-trockene Verdichtung – haben ihr Profil in den letzten Jahren nochmals geschärft und präzisiert. Robert Haller vom Bürger­spital beispielsweise hat die traditionelle Kelterung mit Spontangärung im großen Holzfass perfektioniert. »Dass dabei Weine entstehen, die polarisieren«, sagt er, »ist doch gerade das Salz in der Suppe«. Mit seinem Großen Gewächs aus dem Alleinbesitz Stein-Harfe – dem Filetstück des Würzburger Steins – hat das Bürgerspital einen echten Vin de Garde im Sortiment, mit einem mineralisch fundierten Extrakt auf dem Niveau großer weißer Burgunder und gekeltert für ein langes Leben.

Frankens Markenkern

Der Experimentierfreude (und ihrem Erfolg) hilft überdies, dass der Silvaner von sich aus eine so ungemein vielseitige Sorte ist: An der qualitativen Basis bringt er gutmütige Schoppen, aber er ermöglicht auch schlanke Weine der trockenen Kabinett-Klasse oder gehaltvolle Spätlesen. Beim Aufnehmen von Bodentönen erweist er sich als sensibel und setzt den Dreiklang der fränkischen Trias in geschmackliche Nuancen um: mit einer zarten Gaumenstruktur bei den Weinen vom Buntsandstein, mit rauchigen und gelbfruchtigen Noten und seidiger Textur bei jenem vom Muschelkalk und mit Kräuterwürze und gebündelter Kraft in den Keuper-Lagen. Dass der Silvaner auch edelsüße Weine von großer Grazie ermöglicht, zeigen mit schöner Regelmäßigkeit etwa das Juliusspital und das Weingut des Fürsten Castell, am eindrücklichsten aber wohl Horst Sauer: Im Sortiment dieses Süßwein-Experten lassen sich Jahr für Jahr Beeren- und Trockenbeerenauslesen des Silvaners direkt mit den Pendants vom Riesling vergleichen – und dabei tritt der Silvaner mitnichten ins zweite Glied zurück.

Internationale Strahlkraft braucht Vielfalt

Es ist sicher kein Zufall, dass Franken nach nahezu vier Jahrhunderten Silvaneranbau als einzige Herkunft übrig geblieben ist, die sich fast ausnahmslos dieser Sorte verschrieben hat. Der Silvaner passt einfach hierher. Dabei wäre es für den Franken-Silvaner vielleicht gar kein Nachteil, wenn sich auch andere ehemalige Silvaner-Hochburgen – so etwa Rheinhessen, das Elsass und der Kaiserstuhl – wieder stärker mit der Sorte befassen würden. Denn internationale Strahlkraft hängt auch davon ab, ob es eine kritische Masse an hochkarätigen Weinen gibt.

Das Zeug dazu, im Export erfolgreich zu sein, hätte der Charakterwein Silvaner auf alle Fälle: Denn erstens hält weltweit der Trend zu lokalen Rebsorten an. Zweitens ist der Silvaner kulinarisch vielseitig wie wenige andere Sorten. Drittens hätte er es einfach verdient – und die Franken mit ihm.


Erschienen in
Falstaff Spezial »Bayern« 2019

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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