Sascha Nehb ist in der Pfalz als Schwarzriesling-Experte ein Exot – und denkt sogar daran, die Fläche auszudehnen.

Sascha Nehb ist in der Pfalz als Schwarzriesling-Experte ein Exot – und denkt sogar daran, die Fläche auszudehnen.
© AV Media Werbeargentur

Schwarzriesling: Stille Wasser sind tief

Der Schwarzriesling ist weder ein Riesling noch besonders dunkel. Doch die Burgunder-Gene der auch als Pinot Meunier bekannten Traube ermöglichen Rotwein voller Grazie.

A ls Michael Schiefer auf den Punkt kommt, klingt es wie ein Nachruf: »Schade«, sagt der Winzer aus Lauffen am Neckar, »ich fand ja eigentlich, dass die ganz lecker waren«. Mit »die« meint Schiefer die trockenen, an der Maische vergorenen Roten aus der Sorte Schwarzriesling. Noch als Schiefer 2001 sein Weingut gründete, waren das die Brot- und Butterweine, nicht nur bei ihm, sondern auch andernorts in Württemberg, besonders in Schiefers Heimatort Lauffen, wo der Schwarzriesling-Anbau schon seit dem 19. Jahrhundert verbürgt ist. »Doch die Nachfrage ließ nach. Ein paar Jahre lang habe ich ihn noch als Literwein angeboten. Und dann hab’ ihn rausgeworfen.«
So wie Schiefer handelten in den letzten Jahren viele Winzer. Andere haben den Schwarzriesling behalten und keltern ihn jetzt als Blanc-de-Noir-Weißwein oder sogar als pappsüßen Rosé, weil sie befürchten, dass er nur so Kunden findet.

Ein echter Burgunder

Ebenfalls in Lauffen ist Familie Hirschmüller zu Hause. Tobias Hirschmüller, 32, hat einen ähnlichen Werdegang wie Schiefer: Die Eltern waren Genossenschaftswinzer. Nach dem Weinbaustudium folgte die Betriebsgründung. Bei den Hirschmüllers war das 2013. Die erste Besonderheit bei ihnen ist, dass auch Ehefrau Wiebke, gebürtig aus Hannover, ein Geisenheimer Önologiediplom in der Tasche hat. Die zweite Besonderheit: Das Ehepaar hält dem Schwarzriesling als Rotwein die Treue. »Wir haben einen Weinberg, der 1968 gepflanzt wurde«, schwärmt Tobias Hirschmüller. »Da hängen ganz kleine Trauben drin, mit einem Ertrag von vielleicht 500 Gramm pro Quadratmeter. Den Wein machen wir in einer offenen Maischegärung mit mehrmaligem Unterstoßen, alles klassisch wie bei einem Spätburgunder. Dann wird er schonend gepresst, sedimentiert und kommt ins Tonneau.«
Alles klassisch wie beim Spätburgunder – das ist der Punkt bei den Hirschmüllers und bei allen anderen, die Erfolg haben mit dem in Misskredit geratenen Abkömmling der Burgunderfamilie. »Wenn man Rotwein nur über Farbe und Körper definiert, hat der Schwarzriesling natürlich das Nachsehen«, so Hirschmüller. »Aber ich finde ihn eine tolle Sorte, die ich mittlerweile sogar immer als Erste vorstelle, wenn ich einen Neukunden gewinnen will.«

Neue Heimat Taubertal

Die aktuelle Schwarzriesling-Krone gebührt den Ergebnissen des Falstaff-Tests zufolge indes Konrad Schlör aus Reicholzheim im Taubertal. Platz eins und Platz zwei gingen an den akribischen Winzer aus der Cool-Climate-Region im Grenzgebiet zwischen Franken, Württemberg und Baden. Dorthin kam die Sorte relativ spät, meist erst Ende der 1970er-Jahre. »Als wir uns 1984 selbstständig gemacht haben«, erinnert sich Konrad Schlör, »brauchten wir den Schwarzriesling als Ausschankwein für die Besenwirtschaft. Erst nach 1990 haben wir uns der Sorte stärker verschrieben. Zwar betrachten wir uns immer noch vor allem als Spätburgunder-Spezialisten. Aber warum soll der Schwarzriesling denn nicht ebenso wertig sein wie ein Pinot Noir? Die Verwandtschaft ist in der Qualität spürbar. Und die feine Würze kommt beim Schwarzriesling sogar noch stärker raus.«
Innerhalb des VDP steht Schlör mit dieser Einschätzung eher allein da, der Schwarzriesling zählt nicht zu den Sorten, aus denen der Verband die Erzeugung von Großen Gewächsen gestattet. Um die Herkunft seines Top-Schwarzrieslings aus der Reicholzheimer Lage First trotzdem dokumentieren zu können, ließ sich Schlör die historische Schreibweise »Fyerst 1476« schützen. In den Verkauf kommt das verhinderte GG im übrigen später als die meisten »echten« Großen Gewächse, nämlich erst drei Jahre nach der Lese.
Wie gut der Pinot Meunier ins Taubertal passt, unterstreicht auch Michael Braun, Vorstand der Becksteiner Winzer, die sich im Falstaff-Test ebenfalls weit vorn platzieren konnten. »Der Schwarzriesling und unser Muschelkalkboden hier im Taubertal – da haben sich zwei gefunden! Bei den Becksteiner Winzern ist der Schwarzriesling nach Fläche inzwischen die zweitwichtigste Sorte. Wir tun alles für seinen guten Ruf. Und die Mitglieder, die unsere Selektionsflächen bearbeiten, legen die Messlatte ex­trem hoch.«

Der Prophet im eigenen Land

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in Württemberg, dem eigentlichen Schwarzriesling-Stammland, viele Winzer der Sorte den Rücken kehren und noch eher dem Samtrot eine Nische einräumen, der zwar aus dem Schwarzriesling selektiert wurde, aber genetisch eher ein Spätburgunder ist. Und dies, während der Schwarzriesling an ganz und gar untypischen Orten Triumphe feiert: Beachtlich etwa, was das Weingut Louis Klein an der Mosel aus der Sorte macht, oder das Weingut Helmut Weber aus Ingelheimer Trauben. In Baden besitzen Thomas Seeger und Bernd Hummel einen exzellenten Ruf – und eine treue Kundschaft: Bei Thomas Seeger aus Leimen bei Heidelberg ist der Schwarzriesling so rar, dass er per Allokation zugeteilt werden muss. Ein weiterer Schwarzriesling-Hotspot ist das Weingut Nehb aus Asselheim an der nördlichen Pfälzer Weinstraße. Sascha Nehb, der in unserer Blindprobe gleich zwei Weine in die Best-of-Auswahl brachte, beobachtet, dass die Kunden, die des Schwarzrieslings wegen zu ihm kommen, »eher weininteressiert und Kenner sind. Die wissen genau, was sie wollen.«
Nun plant er sogar, seine Fläche auszuweiten, auch wenn die Sorte, wie er sagt, »im Weinberg weniger Spaß macht«: Der senkrechte Wuchs und die dünnen Beerenschalen zwingen zu Mehrarbeit beim Heften und Entlauben, natürlich per Hand. Auch Bernd Hummel aus Malsch im Kraichgau betont Mühe und Risiko: »Wir haben zwei Weinberge Schwarzriesling, in einem davon peilen wir jedes Jahr Top-Rotweinqualität an. Aber der ist so was von empfindlich! Wenn es ein nicht so gutes Jahr ist, lesen wir früher und machen Sekt aus den Trauben, dafür ist die Sorte ja auch prädestiniert. Aber wenn’s passt, dann gelingen uns die schönsten Rotweine.«


Ein verästelter Stammbaum

© GettyImages

Kein Riesling, sondern Burgunder
Der Name Schwarzriesling ist eine fehlerhafte Zuschreibung aus dem Sprachgebrauch der Winzer früherer Tage: Weil die Traubenform des Schwarzriesling eine gewisse Ähnlichkeit mit jener des Riesling aufweist, nannten die Winzer die dunkle Sorte, die ihnen ähnlich vorkam, einfach Schwarzriesling. In Wirklichkeit hat der Schwarzriesling  genetisch keinerlei Verwandtschaft zum Riesling. Er ist vielmehr ein Abkömmling der Burgunder-Familie, entstanden als Mutation des Spätburgunders, also des Pinot Noirs.

Pinot Meunier gleich Müllerrebe
Außerhalb Deutschlands wird praktisch nirgends ein Rotwein aus Schwarzriesling gekeltert. In Frankreich heißt die Sorte Pinot Meunier und hat ihre Hochburg in der Champagne, wo sie Teil der klassischen Schaumwein-Assemblage ist. Dort wird sie aber natürlich, ebenso wie der Pinot Noir, zu einem weißen Grundwein gekeltert. Der französische Name Pinot Meunier (meunier = Müller) wird zuweilen mit »Müllerrebe« übersetzt. Der Name spielt auf die weiße Behaarung der Blattunterseiten an – alle anderen Burgunderspielarten haben hingegen glatte, grüne Blattunterseiten. Läuft man im Frühjahr durch einen Schwarzriesling-Weinberg, sehen Laub und Triebspitzen wie mit Mehl bestäubt aus.
Samtrot
Im Jahr 1928 entdeckte Hermann Schneider aus Heilbronn einen Trieb an einem Schwarzriesling-Stock, dem die typische Behaarung fehlte. August Herold, der Weinsberger Rebenzüchter, vermehrte diesen Trieb und schuf eine Versuchsanlage. In dieser zeigte sich, dass die Trauben auch bei Überreife ihre rote Farbe behielten und die Weine weniger zur Bräunung neigten als Schwarzriesling oder Spätburgunder. Da sich die Weine auch sensorisch von beiden Verwandten unterschieden, bekam die Sorte einen eigenen Namen. Da der Samtrot heute als Rück-Mutation hin zu Eigenschaften des Pinot Noirs angesehen wird, gilt er als Klon des Spätburgunders. Im Falstaff-Test schnitten die beiden Samtrot-Piraten aus dem Weingut Drautz-Able sehr gut ab, waren aber als andersartig erkennbar.

Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2019

Zum Magazin

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
Mehr entdecken
92
Wein-Tasting
Schwarzriesling
Der Schwarzriesling scheint in seiner früheren Hochburg Württemberg aufs Abstellgleis zu...
Ulrich Sautter, 19.02.2019
Weingut
Weingut Drautz-Able
Auf dem alteingesessenen Heilbronner Weingut scheint eine neue Zeit anzubrechen: Der jahrgangslose...
Faisststraße 23, 74076 Heilbronn
Mehr zum Thema
Advertorial
Der Charakter von Toro
Roberto San Ildefonso gründete Ende der 90er-Jahre die Finca Sobreno in Toro. Er erkannte das...
Advertorial
Die Essenz Australiens
Die eindrucksvolle Lagerfähigkeit und die vielfältige Herkunft der Trauben aus renommierten...
Advertorial
Farbenfroh wie das Leben
Die Familie Lergenmüller kombiniert auf einzigartige Weise das Pfälzer Terroir mit zeitgemäßen...