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Sautters sonderliche Schoppen: Pheasant's Tears Winery

Falstaff Deutschland Wein-Chefredakteur Ulrich Sautter stellt in unregelmäßigen Abständen besondere Weine vor – den Anfang macht der Chinuri 2013.

Georgien gehört noch immer zu den geheimnisvollsten Wein-Herkünften unseres Planeten. Das hochbegabte Land – ausgezeichnet durch Historie, Geologie und Klima – hatte während der Sowjetzeit sein Talent fast völlig verschludern lassen. In den siebziger und achtziger Jahren wurden Jahr für Jahr größere Mengen »georgischen« Weins nach Moskau verkauft, als das Land am Südrand des Kaukasus überhaupt hätte produzieren können. In Georgiens östlichem Landesteil Kacheti sieht man heute noch die Installationen der großen Kombinate, die typischerweise eher an eine Raffinerie als an ein Weingut erinnen.

Doch inzwischen beginnt eine Gruppe von ehrgeizigen Familienbetrieben ein neues Zeitalter einzuläuten – und nach und nach sickern deren Weine auch in den Westen, wenn auch nur in kleinsten Mengen. Dabei sind es naturgemäß vor allem die nach alter kaukasischer Tradition im Kvevri, einem in der Erde vergrabenen Tongefäß, vergorenen und ausgebauten Weine, die das Interesse der Kenner auf sich ziehen.

Erste Notizen

Einen dieser Weine hatte ich neulich im Glas. Dem Auge zeigte sich dieser aus der zentralgeorgischen Region Kartli und der Rebsorte Chinuri stammende Weißwein leicht trüb, mit kupferfarbenen Reflexen in seiner hellgoldenen Farbe. Beim ersten Hineinriechen ins Glas notierte ich: etwas Tannenhonig, roter Kampot-Pfeffer, eine Spur gehackte Schalotte, insgesamt sehr verschlossen. Der Gaumen weich und seidig, dezent in der Säure und eigentlich ein wenig blass im Ausdruck.

Leicht enttäuscht stellte ich die Flasche zurück in den Klimaschrank.

Tagelanger Luftkontakt

Doch bei solchen Weinen ist es immer eine gute Idee, Geduld aufzubringen – und abzuwarten, was sich mit Luftkontakt verändert. Denn im Kvevri werden ja auch Weißweine wie Rote an den Schalen vergoren – im Fall des Chinuri betrug die Kontaktzeit 30 Tage. Die Weine haben Extrakt – und eine natürliche Fähigkeit, mit Sauerstoff umzugehen. Daher heißt Luftkontakt in diesem Fall auch nicht: ein, zwei Stunden. Man muss schon in Tagen rechnen.

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Der Durchbruch

So probierte ich den Chinuri jeden Abend von neuem: Am zweiten Tag roch er nach Orangenkonfitüre und Kräuterbitter, die reduktiven, zwiebelartigen Aromen hatten sich verloren. Am dritten Tag schrieb ich auf: Blütenhonig, beurre noisette, saftig-schlank im Auftakt, dann mit einer Spur mehligem Tannin, in der Frucht etwas dünn, aber dennoch strukturell anhaltend, fein. Am fünften Tag schließlich kam der Durchbruch: Duft von frisch geschälter Clementine, Blütenhonig, früh präsente Gaumenfrucht, Trockenfrüchte, Cassata. Das größte Wunder aber war die Verwandlung der Gaumenstruktur: Sie war jetzt seidig-dicht und hatte ein Volumen, das ich diesem Wein nach den Tagen eins bis drei niemals zugetraut hätte. Den fünften Tag hat der Inhalt der Flasche dann nicht überlebt.

Dass es mit John Wurdeman ausgerechnet ein gebürtiger Amerikaner ist, der diese georgische Trouvaille gekeltert hat, ist nur eine Randnotiz. Schon vor über zehn Jahren war der studierte Musikwissenschaftler in Kachetien hängengeblieben, eigentlich war er auf der Suche nach authentischer Volkmusik in den Osten Georgiens gereist. Doch dann packte ihn das Weinvirus und ließ ihn nicht mehr los. Es ist eben immer das Leben, das die besten Geschichten schreibt.

2013 Chinuri in der Falstaff Datenbank

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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