Saarland: Große Küche im kleinen Land

Das Saarland ist zwar das kleinste deutsche Bundesland, doch kulinarisch gesehen beileibe kein Zwerg.

Die traditionelle saarländische Küche ist deftig – eine Küche der Arbeiter in der Industrie, den Bergwerken und der Landwirtschaft eben. Kartoffeln, Zwiebeln, Lauch, Bohnen und Speck haben sie geprägt, wovon heute noch Gerichte 
wie Dibbelabbes, eine Art Topfkuchen aus geriebenen Kartoffeln und Zwiebeln, oder Krommbeerkerschdscher, roh gebratene Kartoffelwürfel, zeugen.

Steak vom Schwenkgrill
Die Saarländer sind aber auch keine Fleischverächter: Ohne Fleischwurst, Lyoner genannt, geht hier nichts, und genauso nicht ohne Steaks, die auf dem Schwenkgrill zubereitet werden – eine fast schon identitätsstiftenden saarländischen Eigenheit. Zwar lassen sich die heutigen saarländischen Köche ohne Zweifel auch von diesen Wurzeln beeinflussen, beziehen ihre hauptsächliche Inspiration aber aus der Nachbarschaft zu Frankreich und sicherlich auch aus der zu Luxemburg und der Pfalz. So mischen sich im Saarland die verschiedenen Stile und sorgen für eine spannende Küche, die sich national wie international nicht zu verstecken braucht.

Wir verlassen zunächst einmal die Saar, die mit einem Flusslauf von rund 68 Kilometern trotz des Namens nur der zweitlängste Fluss des Saarlandes ist, und fahren an dessen Nordgrenze nach Nonnweiler. Im Ortsteil Sitzerath ist der »Landgasthof Paulus« in einem restaurierten Bauernhaus unsere erste Station. Patron Thomas A. Nickels führt ihn zusammen mit seiner Frau Sigrun Essenpreis mittlerweile in siebter Generation. Nickels hat früher mal einen der vorderen Plätze bei der Trophée Ruinart belegt, entsprechend fällt die Weinkarte aus, die man auch in einem begehbaren Weinschrank live erleben kann.

Sigrun Essenpreis ist eigentlich Vegetarierin, doch zum Glück nicht so streng, dass sie kein Fleisch in ihrer Küche duldet. Sie kocht noch auf die sympathische alte Art: Es gibt eingemachtes Kalbfleisch, also eine Blanquette, mit Bouillongemüse und Nudeln, die traditionelle Rinderroulade oder mürben Sauerbraten, 14 Tage lang eingelegt und im Steinbackofen geschmort. Sie kocht aber auch modern, was vor allem für die fleischlosen Gerichte gilt, die hier nichts mit 
Gemüseplatte mit Sauce hollandaise zu tun haben. Nein, sie sind wirklich fantasievoll und lassen einen bei Roter Bete mit Ziegenfrischkäse und Rucola-Orangen-Salat oder Kartoffelgnocchi mit karamellisiertem Muskatkürbis, Spinat, Birne und Gorgonzolasauce das Fleisch kaum vermissen.

Gehobenes Bürgertum: Das »Kaminzimmer« des Restaurant »Kunz« / Foto: beigestellt

Der weitere Weg führt uns südwestlich nach Sankt Wendel in den Ortsteil Bliesen, in dem die mächtige neuromanische Pfarrkirche St. Remigius unübersehbar ist. Ziel ist das Restaurant »Kunz« gleich gegenüber der Kathedrale, die man vom verglasten Speisesaal aus gut im Blick hat. Der umtriebige Küchenchef Alexander Kunz gehört den Jeunes Restaurateurs an und bietet im eher rustikalen »Kaminzimmer« gehobene bürgerliche Küche, im lichten »Wintergarten« Grande Cuisine. Dort kocht er einen frischen, jungen Stil, der regionale mit mediterranen Elementen vereint, aber auch schon mal asiatisch angehaucht sein kann. So begleiten den gebratenen Zander Blutwurst, gestampfte Kartoffeln und schwarze Oliven, den pfeffrigen Thunfisch serviert Kunz 
mit einer Art Wokgemüse. Ein schöner Abschluss sind schlichte, aber sorgfältig zu-bereitete Desserts wie knusprige Zwetschgentarte mit Vanillesauce und Karamelleis.

Nicht nur bei Jakobsmuscheln lässt Cliff Hämmerle seine Kreativität aufblitzen / Foto: beigestellt

Einen ähnlichen Stil legt auch Cliff Hämmerle im rund 35 Kilometer südlich gelegenen Blieskastel an den Tag. Der Ort hat seinen Namen vom Flüsschen Blies, einem Nebenfluss der Saar, von dessen knapp 
100 Kilometern rund 93 im Saarland liegen, was ihn zum längsten Fluss dort macht. Hämmerles Landgasthof liegt zwar nicht gerade idyllisch an einer Ausfallsstraße, doch die Küche lässt einen das schnell vergessen. Im rustikalen Restaurant »Landgenuss« gibt es fantasievolle regionale Gerichte wie Tafelspitzcarpaccio mit Rote-Bete-Vinaigrette, 
pochiertem Ei, Löwenzahn und Speck oder kross gebratene Entenbrust mit Blaukraut und Topfenknödeln.

»Rostiger Ritter« ist Kult
Nebenan im edlen »Barrique« kann der Chef seine Kreativität voll und ganz ausleben. So kombiniert er, nachdem er eine ganze Batterie von Amuses-Gueules abgefeuert hat, Hummer mit mildem Ziegenfrischkäse, was erstaunlich gut passt, oder Zander mit Selleriepüree, Pfifferlingen und einer Nougatine. Erstklassig ist der Lammrücken, den Hämmerle beispielsweise mit Lauchzwiebeln, Zwetschgen und Walnüssen serviert, der »Rostige Ritter«, begleitet von pochierten Birnen, Salzkaramell und cremigem Eis, genießt als moderne Variante des »Armen Ritters« fast schon Kultstatus.

Klaus Erfort erkochte sich im Alter von 21 Jahren den ersten Michelin-Stern. Sein »Gästehaus Erfort« trägt heute drei davon. / Foto: beigestellt.

Unsere nächste Station ist Saarbrücken, 
die Landeshauptstadt. Neben zahlreichen 
Sehenswürdigkeiten wie dem Schloss, dem Rathaus St. Johann oder der Ludwigskirche hat sie natürlich auch kulinarisch einiges zu bieten. Unangefochtener Platzhirsch ist hier Klaus Erfort, der in seiner Geburtsstadt mittlerweile zwei Restaurants führt. In 
der fast schon pariserisch anmutenden -»Brasserie« im Schlachthofviertel, die er zusammen mit dem Saarbrücker Fleischkönig Schwamm betreibt, serviert er Bistroklassiker wie Austern, Steak Tartare mit Pommes frites oder Hummercocktail. Doch das Highlight sind die 42 Tage lang trocken gereiften Steaks, die während dieser Zeit etwa ein Fünftel ihres Gewichts einbüßen und dann hocharomatisch als Entrecôte oder Côte de Boeuf auf einem 800 Grad heißen Lavasteingrill zubereitet werden.

In »Erforts Gästehaus« dagegen kann man förmlich die Engel singen hören, denn hier bietet der Wohlfahrt-Schüler eine der besten Küchen der Republik. Wer nicht seine Gänsestopfleberterrine mit roh marinierten Eismeergarnelen, Limonenöl und Ingwergelee oder das gebackene Kalbsbries mit Kressepüree, Salzzitrone und Zwiebelcreme probiert hat, weiß nicht, was derzeit hierzulande State of the Art ist. Erfort 
demonstriert dies souverän mit fast schon beängstigender Perfektion, die aber nichts daran ändert, dass ein Mahl bei ihm stets purer Genuss und reinstes Vergnügen ist. Hier schmecken die Produkte noch nach sich selbst und kommen nicht in überladenen Kreationen auf den Teller, sondern 
als intelligente, schlicht wirkende Gerichte, die nicht nur national Maßstäbe setzen.

»Top Value« in Saarbrücken
Wesentlich gediegener als bei Erfort – und natürlich auf ganz anderem Niveau – geht es im Restaurant »Schlossgarten« gleich beim Saarbrücker Schloss zu, wo Patron Ernst Halbritter die traditionelle Klassik aufleben lässt. Da gibt es Hummer in Gelee, Rehrücken mit Kirschen und Rahmwirsing oder Windbeutel mit Zwetschgenragout und Sauerrahm-eis – eine Art Vintage-Stil der Küche.
Völlig anders ist das im »Le Noir«, das wie »Erforts Gästehaus« in der Mainzer Straße liegt und derzeit sicherlich eines der besten Preis-Leistungs-Verhältnisse in Saarbrücken bietet. Das Restaurant, das eher einem Bistro als einem Gourmettempel gleicht, hat so überhaupt nichts Steifes an sich, und man fühlt sich hier sofort wohl, wozu auch die extrem freundliche und lockere Servicemannschaft beiträgt. Mittags werden Bistrogerichte serviert, abends wird groß aufgekocht. Da gibt es dann beispielsweise dünne, bissfeste Ravioli, die mit flüssigem Eigelb gefüllt sind und mit Cremespinat und Trüffeln serviert werden, oder eine asiatisch angehauchte Ente, die als Zweierlei in Form einer zarten Brust mit knuspriger Haut und eines frittierten Wantan von Keulenragout kommt, begleitet von Pak Choi – das ist moderne Frischeküche, die wirklich Spaß macht.

Nach der Stadt wollen wir noch einmal aufs Land: zu Christian Bau, einem ehemaligen Souschef Harald Wohlfahrts in dessen Baiersbronner »Schwarzwaldstube«. Er betreibt nun in Schloss Berg bei Perl sein eigenes Gourmetrestaurant und ist mittlerweile ebenfalls einer der besten deutschen Köche. Der Weg dorthin führt uns zunächst über Wallerfangen, wo Oskar Lafontaine noch bis vor Kurzem wohnte. In der »Villa Fayence«, die einst ein Porzellanmagnat aus der Gegend errichten ließ, kocht heute Bernhard Michael Bettler französische Klassik, die nicht verstaubt wirkt, weil er sie behutsam aufpeppt. So bekommen die saftigen, mit Kartoffeln überkrusteten Wachtelbrüstchen mit Erbsen und Pfifferlingen durch 
gebratenen Pfirsich einen geschmacklichen Kick, der Hirschrücken durch eine Holunder-Pfeffer-Sauce. Es gibt hier aber auch die klassische Hummersuppe oder geschmorte Kalbsbäckchen mit Steinpilzravioli – man fühlt sich auf angenehme Weise in die gute alte Zeit zurückversetzt.

Christian Bau hat seinen eigenen »Baustil« mit japanischen Anklängen entwickelt / Foto: beigestellt

Das genaue Gegenteil ist Christian Bau, der die Moderne verkörpert wie nur wenige andere in Deutschland. Bau hat die klassische Karte abgeschafft und durch die »Carte blanche« ersetzt, auf der er zwar in Grundzügen verrät, was die Küche vorhat, der Gast jedoch nur die Anzahl der Gänge wählt und ansonsten überrascht wird. Wenn unter den deutschen Köchen Wohlfahrt das Genie mit dem absoluten Geschmackssinn und Wissler der experimentierfreudige Avantgardist ist, dann ist Bau der Perfektionist. Seine Gerichte wirken bis ins letzte Detail durchdacht und strukturiert – zweifelsfrei verdiente er den Konstrukteurspreis in der deutschen Küche, wenn es diesen denn gäbe. Den bekäme er dann sicherlich für die knackigen Langustinen, die er roh, gebacken und gegrillt zusammen mit grünem Spargel, Mikan – einer aus Südjapan stammenden Zitrusfrucht – und einer asiatisch anmutenden, mit Sojasauce gewürzten Hollandaise serviert. Oder er bekäme den Preis für pochierten und gegrillten Steinbutt, den es mit rohen Garnelen, angebratenen und pürierten Sojabohnen sowie Jasminreisbrühe mit Kokos und Madrascurry gibt.

Alles, was Kulinarik ausmacht
Der starke Kontrast zwischen Baus präzise inszenierten Gerichten, dem modern gestylten Restaurant und dem Renaissanceschloss, in dem es untergebracht ist, passt gut zur Situation der Küche im kleinsten deutschen Bundesland: Von regionaler Tradition über die Klassik bis hin zur Moderne mit internationalen Einflüssen gibt es im Saarland tatsächlich alles, was echte Kulinarik ausmacht.

>>> Auf einen Blick: Best of Saarland

Text von Johannes Weiss

Aus: Falstaff Deutschland 2/13

Johannes Weiss
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