Nach dem Motto: »Eat local – drink local« sollen im Frühjahr die ersten Flaschen auf den Markt kommen für 1000 Dollar pro Stück.

Nach dem Motto: »Eat local – drink local« sollen im Frühjahr die ersten
 Flaschen auf den Markt kommen für 1000 Dollar pro Stück.
© Helga Traxler

Rooftop Reds: Weine vom Dach in Brooklyn

Auf dem Dach eines Industriegebäudes in Brooklyn bauen junge Winzer Rotwein an. New Yorker Sommeliers sind skeptisch. Aber ist nicht gerade der Big Apple verrückt genug dafür?

»Oh Mann!« Heather und Chiara sind gerade etwas außer Atem. Wer zu Rooftop Reds will, der muss gut schon zu Fuß sein. Das Weingut auf dem Gebäude mit der Nummer 275 auf New Yorks Brooklyn Navy Yard, einer ehemaligen Schiffswerft in Brooklyn, hat keinen Lift. Wer die fünf Stockwerke erklimmt, wird mit entspannter Musik und einem Blick auf das Empire State Building belohnt und kann Wein zwischen Reben und Trauben verkosten. Hängematten und Loungeecken laden zum Chillen ein. Willkommen auf New Yorks erstem Wein­­-gut und dem weltweit ersten kommerziellen Rooftop-Weingarten! Der Barkeeper im Mickey-Mouse-T-Shirt grinst den Neuankömmlingen entgegen. »Wir haben von diesem Weingarten auf Instagram erfahren und sind deswegen vom East Village nach Brooklyn gefahren«, erklärt Heather lachend.

»Aber Wegweiser auf dem alten Fabriksgelände wären nicht schlecht. Das ist wirklich nicht einfach zu finden hier.« Das Weingut erstreckt sich auf fast 1400 Quadratmeter. Die jungen Winzer von Rooftop Reds bauen auf dem Dach mitten in New York klassische Rotweinsorten wie Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc an, genauso Petit Verdot und Malbec, die sonst eher Gegenden wie Kalifornien oder Frankreich und Argentinien bevorzugen. Die vielen Sonnentage in New York seien prädestiniert dafür, so die junge Crew. Der Beton der umliegenden Hoch­häuser und die Glitzerfassaden heizen die Luft zusätzlich auf. Knapp 170 Weinreben wurden in langen Reihen in mehr als 40 Trögen in etwa einem Meter Erde angepflanzt. Sie wachsen auf einer Mischung aus verschiedenen Bodenarten und künstlichem Sand aus gemahlenem Altglas, dadurch soll der Boden locker bleiben – ein spezielles Pflanzsystem, das mit Experten der Cornell University entwickelt worden ist.
Anschauungsunterricht für Großstädter wie Heather und Chiara. Millennials, die etwas Neues ausprobieren wollen. Junge Leute, die in einer Art Rückbesinnung und dem Drang nach gesundheitsbewusster Er­­nährung zu regionalen Produkten greifen. Gut für die Weinbauern, die mit Feuereifer dabei sind: Die Generation der Millennials ist in den USA mittlerweile die größte Konsumentengruppe.

»Millennials sind die größten Weinkonsumenten.«
Clara Kann

Doch lange haben Heather und Chiara mit der Aussicht auf die Skyline Manhattans heute kein Glück. Wie so oft in diesem Sommer gehen auch an diesem Freitagnachmittag immer wieder kurze sintflutartige Regenfälle über New York nieder. Auch über Brooklyn. Die Gäste flüchten unter ­ein Zeltdach, das zwischen den Weinreben über den Biertischen aufgespannt ist. Dort haben es sich schon ein paar andere 20- ­bis 35-Jährige aus den umliegenden Büros gemütlich gemacht. Auf dem alten Werftgelände entsteht gerade ein moderner Produktions- und Bürokomplex. Darunter auch viele Technologiefirmen.
»Millennials sind die größten Weinkonsumenten. Der grüne Veltliner und der Gewürztraminer sind bei uns absolute Bestseller«, erzählt Clara Kann, die Managerin von Rooftop Reds. »Ich glaube, sie wollen auch die Landwirtschaft in der Stadt unterstützen und ihren CO2-Fußabdruck so klein wie möglich halten. Nach dem Motto: »Iss lokal, trink lokal.« Urbane Landwirtschaft boomt seit geraumer Zeit in New York, wie auch in anderen Megastädten.

Ausbildung in Österreich

Clara Kann hat bei alteingesessenen Weinmachern wie Netzl (Carnuntum) in Österreich und den Finger Lakes (fünf Stunden nördlich von New York) mitgearbeitet und war Sommelière in New York, bevor sie Devin Shoemaker, den Gründer von Roof­top Reds, getroffen hat. Der 34-Jährige hat Weinbau am Finger Lakes Community ­College studiert. Die Region ist eines ­der größten Weinanbaugebiete im Staat New York. Für Rooftop Reds hat der ehemalige Vertriebschef und Eventmanager Sponsoren-Geld aufgetrieben. Darunter auch eine größere Summe von John Rodenhouse, dem Eigentümer des preisgekrönten Weinguts Point of the Bluff.

Im gekühlten Wagen zur Weiterverarbeitung

Die Trauben, die auf dem Dach-Weingarten in Brooklyn wachsen, werden »vorsichtig ins Auto gelegt«, sagt Clara. »Dann Klimaanlage an, und auf geht’s nach Upstate New York. Auf dem Weingut Point of the Bluff werden die Trauben gepresst, dort wird auch der Wein gemacht und gelagert.«
Der erste Wein der Rooftop-Reben soll den New Yorkern 1000 Dollar pro Flasche wert sein. Vintage ist das Zauberwort. »Es soll ein Sammlerstück sein«, erklärt Clara. Kritiker sind skeptisch. Kann man Wein wirklich im Topf pflanzen? Und welcher Sammler kauft überhaupt einen Wein für 1000 Dollar pro Flasche, der noch keine Geschichte hat? Von dem man noch nicht weiß, wie er schmeckt, auch nicht, wie lagerfähig er ist? Vor allem, wenn viele Brooklyner gerade vor den horrenden Mieten in Manhattan hierher geflüchtet sind?

Der erste Kult-Wein von der Ostküste

Clara zuckt selbstbewusst mit den Schultern. »Das wird der erste Kult-Wein von der Ostküste sein.« Brooklyn sei eben an­­ders. »Wenn du über die Brooklyn Bridge kommst, sieht du ein Schild mit der Aufschrift: Hier beginnt das wahre New York.«  
Geerntet haben die jungen Winzer zwar schon 2017. Ob man das wahre New York sowie das Zusammenspiel von üppiger Sonne, drückend feuchtheißen Sommern, stetem Wind, der vom Meer über die Dächer weht, bis zu beißender, klirrender Kälte im Winter auch im Glas schmecken wird, das wird sich erst im Frühjahr 2019 zeigen. Dann soll der erste Vintage auf den Markt gebracht werden. Rund 200 Flaschen sollen es sein. Bis dahin können die Gäste Wein von ihrem Weingut in Upstate New York oder von anderen kleineren Weinmachern verkosten. Und in der Zwischenzeit versuchen die Winzer, mit Events, Hochzeiten, Sunset-Yoga oder Kino, Pizza und Wein unter ­Sternen Geld zu verdienen.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2018

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Angelika Ahrens
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