Melanie Wagner, Sommelière im »Schwarzen Adler« Oberbergen, kann aus dem Vollen schöpfen: Die Weinkarte listet 4000 Positionen – nur das Feinste vom Feinen.

Melanie Wagner, Sommelière im »Schwarzen Adler« Oberbergen, kann aus dem Vollen schöpfen: Die Weinkarte listet 4000 Positionen – nur das Feinste vom Feinen.
© Peter Bender

Restaurant-Legenden: »Schwarzer Adler«

Ein Stück Frankreich in Südbaden: Der »Schwarze Adler« in Oberbergen im Kaiserstuhl ist legendär für seine französische Hochküche, für seine eigenen Weine – und für eine Weinkarte, die sich liest wie ein Who’s who der Grande Nation.

Im Kaiserstuhl, der sich vor etwa 20 Millionen Jahren als Vulkan aus der Rheinebene erhob, gibt es viele Weinberge, die Straßen winden sich kurvenreich von Winzerdorf zu Winzerdorf, mal geht es hoch, mal runter, hinter jeden zweiten Kurve tut sich ein Funkloch auf. Und mittendrin, ziemlich genau dort, wo früher das Magma zum Vulkankrater aufstieg, liegt der Ort Oberbergen, der ein ikonisches Restaurant beherbergt: den »Schwarzen Adler«.

»Wer zu uns ans Ende der Welt kommt«, sagt Fritz Keller, Adlerwirt, Winzer und Fußball-Funktionär a.D., »der stolpert nicht zufällig rein, sondern der kommt absichtlich hierher und weiß, was ihn erwartet.« Keller selbst spricht vom »Schwarzen Adler-Geist«, der auf seinen Großvater Franz Anton zurückgehe. »Er hatte Koch und Weinküfer gelernt und in Reims, Paris und London gearbeitet, bevor er nach Oberbergen zurückkehrte und 1893 den »Schwarzen Adler« eröffnete. Dieser europäische Geist hat meinen Vater inspiriert, hat mich inspiriert. Dieser Geist hat das ganze Haus erfasst.«

Zwei Weltkriege konnten diesem Geist nichts anhaben, die freundschaftlichen Bande nach Frankreich blieben stark, und der als Ausflugslokal gestartete Gasthof gewann im Lauf der Jahrzehnte immer mehr Profil: »Mein Vater konnte schon 1947 die ersten Weine mit Armand Rousseau tauschen, auch jüdische Weinhändler in Bordeaux haben ihn als Kunden akzeptiert, und Paul Haeberlin aus der Auberge de l’Ill überließ meinen Eltern in der Nachkriegszeit regelmäßig Hummerkarkassen, manchmal noch mitsamt der ungeöffneten Scheren, so konnten sie ihren Lachs mit Hummercoulis servieren.«

Fritz Keller und Sohn Friedrich, der inzwischen das Weingut leitet.
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Fritz Keller und Sohn Friedrich, der inzwischen das Weingut leitet.

Feinschmeckerküche und Barriqueweine

Kellers Mutter Irma erkochte 1969 den ersten Michelin-Stern. Offiziell wurde zwar ein Mann aus der Brigade als Küchenchef geführt – »man hätte es damals einer Frau nicht zugetraut«, sagt Keller. Doch Irma Keller wurde zu einer badischen Mère Brazier: Das auf die Lyoner Drei-Sterne-Köchin zurückgehende Rezept der getrüffelten und in der Schweineblase gegarten Poularde stand schon zu Irma Kellers Zeit auf der Karte und dort steht es auch heute noch. Auch in den übrigen Gerichten aus dem Kanon der Adler-Küche spiegelt sich das an der französischen Klassik geschulte Verständnis von Kulinarik. Damals wie heute gehören Steinbutt an Beurre blanc und Froschschenkel in Knoblauchbutter zu den Konstanten, Motive der badischen Küche kommen ebenfalls vor, wenngleich eher im Sinne von Akzenten.

Franz Keller, Fritz Kellers Vater, stieg in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zu einem Weinhändler mit besten Verbindungen auf. Wenn heute 33 Jahrgänge Mouton-Rothschild auf der Weinkarte stehen, 30 Jahrgänge Lafite oder ein Dutzend Jahrgänge von Armand Rousseaus »Clos St. Jacques«, dann gehen die ältesten Flaschen noch auf seine Einkäufe zurück. »95 Prozent der Weine in unserem Bestand kommen in den ersten zwei Jahren nach der Abfüllung hierher, direkt ab Weingut oder direkt vom Négoce«, betont Fritz Keller. »Flaschen, die um die halbe Welt gereist sind, gibt es bei uns nicht.«

Franz Keller entwickelte aber auch im Weinbau Ambition. Legendär ist, wie er sich mit Genossenschaftern und Verbandsfunktionären anlegte. Die Gigantomanie der Flurbereinigungen war ihm ebenso ein Dorn im Auge wie das Hantieren mit Süßreserve. »Schenk noch emol i - s’isch Adlerwirts Wii« stand noch in den 1980er-Jahren trotzig auf die Etiketten der Adlerweine gedruckt. Will heißen: Diese Weine sind durchgegoren und damit trinkfreudiger und bekömmlicher als die von Süßreserve entstellten Kreszenzen der Genossenschafter. Keller war Anfang der 1980er-Jahre auch der Erste, der den Begriff »Grauer Burgunder« auf ein Etikett druckte, um sich vom weit verbreiteten Botrytis-beeinflussten und leicht süßen Ruländer abzuheben. 1985 schlug Sohn Fritz dann ein neues Kapitel auf, indem er erst Weiß-, Grau- und Spätburgunder in Barriques ausbaute, später auch Chardonnay. Viele dieser »S« (wie Spätlese) oder »A« (wie Auslese) getauften Selektionen sind heute noch in blendender Verfassung und stellen auf der Adler-Weinkarte echte Alternativen zum überregionalen und internationalen Sortiment dar.

Das Gros der Weine lagert unter idealen Bedingungen in einem Bergstollen.
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Das Gros der Weine lagert unter idealen Bedingungen in einem Bergstollen.

Ein Dorado für Vinophile

Die Weinkarte war schon seit jeher ein ebenso gutes Argument, um nach Oberbergen zu fahren wie die Küche. Heute listet sie 4000 Positionen, überwiegend aus Deutschland und Frankreich, quer durch alle Preisklassen. Ende der Sechzigerjahre, etwa zur Zeit des ersten Michelin-Sterns, umfasste sie auch schon rund 80 erstklassige Referenzen: So stand beispielsweise ein 1959er Clos de la Roche von Armand Rousseau für 20 D-Mark die Flasche auf der Karte, knapp mehr als doppelt so teuer wie eine Flasche 1964er Oberbergener Rotebühl Spätburgunder Eigenkelterung für 9,50 D-Mark. Eine Flasche La Tâche 1955 kostete 50 D-Mark, etwa gleich viel wie ein Fünf-Gänge-Menü: Auch damals schon wurden die Weine fair kalkuliert, und erst mit gewisser Trinkreife angeboten. Das ist auch heute Doktrin geblieben im Adler. Aktuell sind die jüngsten einfacheren Bordeaux auf der Karte etwa zehn Jahre alt, bei den klassifizierten Châteaux findet man 2004 oder 2005 als jüngste Jahre. Etwas jünger werden die Burgunder angeboten, hier gibt es auch schon 2017er.

Wäre es gerade bei den Burgundern angesichts der durch die Decke gegangenen Preise nicht lukrativ, Bestände auf einer Auktion zu Geld zu machen? Fritz Keller muss keine Sekunde nachdenken: »Verkauft und getrunken werden diese Weine nur an einem einzigen Ort: in unserem Restaurant«. Da ist er wieder, der »Schwarze-Adler-Geist«, dem die gastronomische DNA über alles geht. Solche Kontinuität lebt natürlich auch von Menschen: Anibal Strubinger, der Vorgänger des heutigen Küchenchefs Christian Baur, arbeitete von 1984 bis 2018 im »Adler«, davon 24 Jahre als Küchenchef. Maître Hubert Pfingstag ist seit 1976 im Haus. »Das ist eben der ›Adler‹, das Familiäre«, sagt Sommelière Melanie Wagner, die selbst auch schon seit 19 Jahren ein Teil der »Adler«-Familie ist, »und da gehören auch die Gäste dazu«. »Meine Frau ist natürlich auch sehr wichtig im operativen Geschäft«, fügt Keller an. Nicht wenige, die den »Adler« kennen, sehen in Bettina Keller einen ganz zentralen Ruhepol im Familiengeschäft: meist eher im Hintergrund, aber von großer integrativer Kraft und mit organisatorischem Überblick.

© Peter Bender

Der Stern

Zur Kontinuität gehörte ebenfalls, dass der »Schwarze Adler« 50 Jahre in ununterbrochener Folge mindestens einen Michelin-Stern besaß. Als dieser dem Restaurant im 51. Jahr und mitten im chaotischen Coronajahr 2020 aberkannt wurde, war das ein Schock für die gesamte Branche. Denn da der »Adler« unverändert die vertraute stilistische Handschrift erkennen ließ, kam in der Szene die Befürchtung auf, dass die französische Klassik ausgerechnet bei den Testern des französischen Gourmetführers in Ungnade fallen könnte. Doch Keller wiegelt im Rückblick ab: »Die haben uns schon plausibel ein paar Sachen erklärt, die beim Testbesuch nicht gestimmt haben. Es ist so wie beim Fußball: Wenn du das wichtigste Spiel verlierst, ist das auch gut, weil es einem die Chance gibt, besser zu werden.« »Aber es war schon sehr emotional«, nimmt Melanie Wagner den Faden auf, »man stellt sich selbst komplett infrage. Aber die meiste Motivation kam von den Stammgästen, die gesagt haben: Bitte bleibt so, wie ihr seid. Das hat uns viel Kraft gegeben.« Fritz Keller erinnert sich an den Abend, als die Nachricht bekannt wurde: »Hubert, unser jahrzehntelanger Maître, hat sich an diesem Abend vor die Mannschaft gestellt und gesagt: Ich gehe erst in den Ruhestand, wenn der Stern wieder da ist.« Und tatsächlich kam der Stern schon ein Jahr später wieder: »Völlig überraschend«, sagt Melanie Wagner. »Mein Gefühl ist, dass die Küche jetzt besser ist als davor«, summiert Fritz Keller.

Dabei ist der Stern sicher nicht zentral für das Funktionieren des Gesamtkunstwerks »Schwarzer Adler«. Die Tatsache, dass etwa jeder vierte Gast aus Frankreich nach Oberbergen kommt, spricht für sich. »Das klassische französische Sonntagmittag-Essen, bei dem die ganze Familie um zwölf Uhr ins Restaurant kommt und sich manchmal erst kurz vor dem Abendservice wieder vom Tisch erhebt, das haben wir noch«, berichtet Keller. »Aber es kommen auch erfreulich viele jüngere Gäste zu uns – auch solche, die sich bei uns zum ersten Mal an einen reiferen Wein trauen, weil sie wissen, dass sie gut beraten werden.«

Für eine Institution wie den »Schwarzen Adler« erschöpft sich die Dienstleistung indes nicht im Zubereiten und Servieren von Speisen und Getränken, und noch nicht einmal in der hohen Qualität von Produkten und Service. Es geht vielmehr auch um ein Gefühl. Das Erlebnis kulinarischer Kultur sei, betont Fritz Keller, stets auch ein Erlebnis von Gemeinschaft. »Der Tisch bringt Menschen zusammen. Wer zusammen isst und trinkt, macht keinen Krieg.« Der »Schwarzer-Adler-Geist« – er feiert den Genuss, und ist im tiefsten Innern zugleich auch ein Geist der Verständigung.


Zu Gast im »Schwarzen Adler«

Legendär familiär

Schwarzer Adler
Badbergstr. 23, D-79235 Oberbergen
T: +49 7662 933010, franz-keller.de

Der Küchenstil des »Schwarzen Adlers« ist sich seit über 50 Jahren treu geblieben: Er ist der klassischen französischen Hochküche verpflichtet und hat dabei stets auch die Verbindung von Wein und Speisen im Blick. Das umfangreiche Weinangebot setzt ganz auf die Schwerpunkte Frankreich und Deutschland – hier liest sich die Karte wie ein Who’s Who, und die Jahrgangstiefe ist unvergleichlich.

Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2022

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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