Pur, zurückhaltend und doch verspielt: Der in zartem Rosa – andere würden sagen »mostfarben« – gehaltene Speiseraum des »Piazza Duomo« in Alba.

Pur, zurückhaltend und doch verspielt: Der in zartem Rosa – andere würden sagen »mostfarben« – gehaltene Speiseraum des »Piazza Duomo« in Alba.
© L. Cigliutti

Restaurant-Legenden: »Piazza Duomo« – Bunt wie die Natur

Das südliche Piemont ist bei Feinschmeckern berühmt für seine Weine Barolo und Barbaresco – und für den bereits legendären Drei-Sterne-Tempel »Piazza Duomo« in Alba. Enrico Crippa begeistert hier mit fein nuancierter Gemüse- und Kräuterküche, bei der lokale Spezialitäten wie Trüffeln die Akzente setzen.

Zehn Uhr morgens am südlichen Stadtrand von Alba, wo die Stadt ins Land übergeht. Auf der einen Seite erahnt man noch die fernen Bürohäuser und Einkaufszentren, auf der anderen beginnen bereits die Hügel des Barolo-Gebietes. Genau dazwischen: Enrico Crippas Garten. 400 Quadratmeter Gewächshaus, in dem eine Vielzahl bekannter und weniger bekannter Kräuter gezogen werden, dazu nochmals 3000 Quadratmeter Garten in Freilandkultur mit über 400 verschiedenen Gemüsearten. Der gesamte Anbau folgt biologischen und biodynamischen Richtlinien. Der Großteil des Gemüses und der Kräuter, die hier angebaut werden, sind für zwei Restaurants in der Innenstadt von Alba bestimmt: Die »Trattoria La Piola« und den Gourmettempel »Piazza Duomo«, in dem Enrico Crippa bereits seit dessen Eröffnung im Jahr 2005 den Löffel schwingt.

Am verhältnismäßig kleinen Hauptplatz von Alba zieht vor allem der mächtige Dom aus rotem Backstein die Besucher des idyllischen 30.000-Einwohner-Städtchens in seinen Bann. Doch Feinschmecker zieht es hier anderswo hin. Einerseits in die »Trattoria La Piola« im Erdgeschoß eines hübschen, rosafarbenen Bürgerhauses. Dort stehen die klassischen Gerichte der Langhe auf der Karte: Vitello Tonnato, Carne Cruda, Tajarin al Ragù oder Risotto. Man merkt den Gerichten an, dass sie tief in der Wirtshaustradition der Langhe verwurzelt sind, aber gleichzeitig leichter und feiner daherkommen – Einfluss und Werk von Enrico Crippa, der hier die Linie vorgibt. Doch seine eigentliche Wirkungsstätte liegt im ersten Stock: der Feinschmeckertempel »Piazza Duomo«. Seine Arbeit hier hat Crippa den Ruf eingetragen, einer der besten Köche Italiens zu sein.

Über Japan nach Alba

Enrico Crippa lernte sein Handwerk bei Gualtiero Marchesi in Mailand, arbeitete dann in Frankreich und bei Ferran Adrià, bevor er 1996 nach Kobe in Japan ging und dort das »Ristorante Gualtiero Marchesi« leitete. Im Jahr 2003 lernte er Bruno Ceretto kennen. Gemeinsam mit dessen Bruder Marcello ist Bruno der Doyen des Weingutes Ceretto, das zu den renommiertesten Häusern der Langhe zählt und großartige Lagenweine aus Barolo und Barbaresco erzeugt. Bruno Ceretto ist auch bekennender Feinschmecker und Kunstliebhaber. Seine Vision war es, das damals noch recht verschlafene Alba zu einem Treffpunkt für Feinschmecker aus aller Welt zu machen. Heute, 20 Jahre später, muss man sagen: Mission gelungen! Zufällig sind die Ceretto-Brüder auch Besitzer des Bürgerhauses unweit des Doms, das für das neue Gastro-Abenteuer adaptiert wurde. Die historische Fassade blieb erhalten, das Innere wurde von den New Yorker Stararchitekten Steven Shaller und Bill Katz neu gestaltet. 2005 wurde das »Piazza Duomo« eröffnet, bereits 2006 kam der erste, 2009 der zweite und 2012 der dritte Michelin-Stern. Der Eingang zum »Piazza Duomo« liegt etwas versteckt in einer engen Seitengasse. Nur ein Messingschild und eine in sattem Purpurrot gehaltene Eingangstür weisen hier auf den Gourmettempel hin – nobles Understatement. Das setzt sich auch in der oberen Etage fort. Der erste Saal ist ganz in Rosa gehalten – Bruno Ceretto würde wohl eher »mostfarben« dazu sagen –, der zweite in gedämpften Sandtönen. Auch Empfang und Service zeigen sich ruhig und klar, für italienische Verhältnisse vielleicht sogar etwas zurückhaltend. Aber wir sind eben im Piemont, nicht sonstwo in Italien.

Jacopo Dosio ist seit Kurzem Chef-Sommelier des Hauses und Herr über viele tausend Weinflaschen. Davide Franco ist zuständig dafür, dass der Service so präzise dahinschnurrt wie ein Schweizer Uhrwerk. Service und Ambiente bieten den idealen Rahmen für Enrico Crippas Küche. Auch die zeigt sich zurückhaltend, dezent, aber sehr präzise und ohne große Knall­effekte – so etwas braucht Crippa nicht. Wichtig ist ihm hingegen eine chromatische Abstimmung der Gerichte, auch das Auge kommt immer auf seine Kosten. Crippas Küche überzeugt durch hochwertige Ausgangsprodukte, zumeist aus der Region – dass im Herbst Trüffel ein fixer Bestandteil seiner Kreationen sind, versteht sich von selbst –, meisterliches Handwerk und fein abgestimmte Aromen. Und: Der Maestro liebt Gemüse und frisches Kräuterwerk. »Gemüse und Kräuter sind ein zentrales Element meiner Küche. Je nach saisonaler Verfügbarkeit ändern sich die Nuancen meiner Gerichte auch laufend. Kräuter und Blüten zaubern immer einen Tupfen Farbe auf die Teller. Ohne meinen Garten könnte ich das in dieser Form gar nicht umsetzen.«

Expansion nach Katar

Zur Fußball-WM in Katar im November eröffnet das »Alba by Enrico Crippa« in der Hauptstadt Doha. Das Restaurant, das im »Raffles Hotel« in den Katara Towers untergebracht ist, bleibt in den ersten beiden Monaten zunächst der Familie des Scheichs und Offiziellen des Fußballverbandes FIFA vorbehalten. Ab Beginn des nächsten Jahres wird es dann allgemein zugänglich sein. Neben piemontesischen Gerichten aus dem »Piazza Duomo« werden hier auch Klassiker aus anderen italienischen Regionen auf der Karte stehen, immer natürlich in der Interpretation von Crippa. Und es wird auch hier ein Schwerpunkt auf Gemüse und Kräutern liegen. Auch wenn die »Squadra Azzurra«, die Fußballnationalmannschaft des viermaligen Weltmeisters Italien also heuer nicht an der WM-Endrunde teilnimmt, Italien ist am Persischen Golf standesgemäß vertreten.


Zu Gast im »Piazza duomo«

Kleines Städtchen, große Küche

Piazza duomo
Piazza Risorgimento, 4, 12051 Alba
T: +39 173 366167; piazzaduomoalba.it

Enrico Crippa bietet Küche auf höchstem Niveau, kreativ und doch von der Landschaft, den Langhe, geprägt. Man wählt aus mehreren Degustationsmenüs. Auch bei der Weinbegleitung stehen mehrere Niveaus zur Verfügung – von »Wine Season« (190 Euro) bis »Oltre« (640 Euro).

Trattoria La Piola

Als Alternative bietet sich im Erdgeschoß des gleichen Hauses die »Trattoria La Piola« an, die typische Gerichte der Langhe serviert.
Das Angebot wechselt fast täglich.


Erschienen in
Falstaff Nr. 09/2022

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Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien
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