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Renaissance: Kult-Drinks für die Seele

Von Sour über Collins und Fizz bis hin zu Mint Julep und Cobbler: Diesen Sommer erleben viele Cocktail-Klassiker ein Revival.

Die moderne Barkultur hat zwei Wurzeln im ausgehenden 19. Jahrhundert: Die eine ist die amerikanische Ostküste mit ihren großen Hotelpalästen, die zweite der Süden, das Dixieland, mit seinen musikgeschwängerten Kneipen in New Orleans und den Festen in den Parks der Villen mit den antiken Säulen davor. Dieser Süden hat aufgrund seines immer warmen, oft heißen Klimas vorwiegend den Teil zur internationalen Barkarte beigesteuert, der den Durst löscht: die Klassiker der fruchtigen, erfrischenden Sommerdrinks.

Von Sour, Collins und Fizz

Der wohl berühmteste Stern am südlichen Barhimmel ist der Sour. Er besteht aus drei Teilen: Zitronensaft, Zucker und einer Spirituose, manchmal auch noch ein bisschen Orangensaft. Diese Zutaten werden kräftig geschüttelt, ins Glas gefüllt und mit einem ganz kleinen Schuss Soda verfeinert. Früher wurde der Sour ohne Eis getrunken, entsprechend ist das Sourglas ähnlich wie ein Champagnerglas geformt: mittlerer Stiel mit schlankem Glas mit einer Füllmenge von drei, vier Shortdrinks. Wenn heutzutage der Sour zunehmend mit Eis serviert wird, greift man meistens auf einen Tumbler zurück. In jedem Fall kommt eine frische Kirsche – mit dem Stängel dran – in den Drink. Man kann einen Sour mit jeder Spirituose zubereiten, das Urgestein ist aber die Version mit Bourbon.

Brütet die Hitze, ist es ratsam, einen eher minderkonzentrierten Drink zu genießen. Man entwickelte deshalb eine ganze Menge Ideen, einen Sour zu »verlängern«. Etwa durch das Aufspritzen mit Soda – und fertig ist der Collins, der in England entstanden ist und von dort seinen Weg in die Staaten und die ganze Welt fand. Die brutalere Variante ist der eiskalte Fizz, der geschüttelt wird, und zwar so lange, bis dem Schüttler fast die Finger am Shaker anfrieren. Eine Weiterentwicklung des Collins in Richtung etwas würzigerem Limogeschmack sind die Cooler (früher wurden sie im Shaker »cool« geschüttelt), bei denen statt des Sodas Ginger Ale oder Bitter Lemon zum Auffüllen verwendet werden.
An den Bau der großen Eisenbahnstrecken quer durch den Kontinent erinnern die von St. Louis ausgegangenen Highballs. Damals hat man einen Ball auf einer hohen Stange als Signal für den Lokführer zum Dampfgeben aufgezogen. Dieses Zeichen wurde bald zum Synonym für alles, was Speed haben musste. Die Eisenbahner riefen also nach einem Highball, wenn sie zwischen zwei Zügen schnell einen Durstlöscher haben wollten. Und einfach zuzubereiten sind sie noch dazu: Einfach eine Spirituose in einem großen Glas mit Eiswürfeln mit einem kohlesäurehaltigen Getränk auffüllen. Der ursprünglichste Highball ist Scotch and Soda, gefolgt von Gin Tonic und Moscow Mule (Vodka und Ginger-Bier).

Brandy Cooler
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Brandy Cooler

Von Mint Julep und Cobbler

Das Paradegetränk in »Vom Winde verweht« ist er: der Mint Julep, ein Drink aus Bourbon, Zuckersirup und Crushed Ice. Traditionell wird er in einem Silberpokal serviert und mit einem Minzestängel garniert. Getrunken wird er durch einen kurzen (!) Strohhalm, wegen der Eiswüste im Glas. Auch anderswo ist dieser Drink Standard, etwa in F. Scott Fitzgeralds berühmtem gesellschaftskritischem Roman »Der große Gatsby«. In Billy Wilders Filmkomödie »Eins, zwei, drei« sagt James Cagney über Atlanta, Georgia: »Das ist Sibirien mit Mint Juleps.« Und im Film »Thank You for Smoking« wird er dem Captain sogar noch zur letzten Ruhe gereicht. Der Mint Julep ist seit 1938 das offizielle Getränk des Galopp-Klassikers »Kentucky Derby«, dort rinnen an jedem Tag mehr als 80.000 Juleps die Kehlen hinab.
Heute ist er fast in Vergessenheit geraten, aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschte er die Theken der Welt: der Cobbler. Er besteht aus einem modifizierten Wein (Sherry, Portwein, Vermouth), Zucker und viel Eis. Der Clou sind frische Früchte, die dazukommen. Nun kennt man so etwas Ähnliches auch in good old Europe als Bowle. Der Vorteil gegenüber dieser ist klar: Ein Cobbler wird Glas für Glas frisch zubereitet und hält so die Früchte in bester Kondition, während sie in der Bowle verwässern und sich mit Alkohol vollsaugen – abgesehen davon, dass dafür nur simpler Rotwein mit viel zu viel Zucker verwendet wird.
Wie viele Bereiche ist auch die Barszene Trends unterworfen. Da gab es die Tiki-Welle aus der Südsee, die Karibik-Welle mit ihren Rumkreationen, die Brasilien-Welle mit den Caipirinhas. Die Dixie-Drinks dagegen waren schon immer da. Kult. Mode ist das, was wechselt. Kult ist das, was bleibt.

Mint Julep
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Mint Julep

Eis ist nicht gleich Eis

Heinz Kaiser, Österreichs Star-Mixologe und studierter Pharmakologe klärt auf: Eiswürfel sind bei Longdrinks für ein längeres Trinkvergnügen anzuraten, da sie langsamer schmelzen und daher den Drink nicht so schnell verwässern. Juleps, Smashes, Coolers, Cobblers und Daisys sind stärker und intensiver und werden deshalb auf Crushed Ice serviert, was sie frischer, kälter und sommerlicher macht.
Wieder stark im Kommen ist die Verwendung von kristallklarem Eis, das vom Barkeeper von Hand in Brocken vom Block geschlagen und dann in eine glasgerechte Form gebracht wird. Sehr kunstvolle Varianten sind da zylindrische Eisstücke für Longdrink-Gläser oder klare Eiskugeln für Old-Fashioned-Gläser. Ein Gin Tonic mit zwei, drei großen klaren Eisbrocken in einem großen Rotweintulpenglas ist ein gar sommerliches Vergnügen und nicht zu vergleichen mit der herkömmlichen Präsentation im Longdrinkglas mit kleinen Eiswürfeln. Leider ist das »Shaved Ice« ziemlich in Vergessenheit geraten – Schneeeis, das mit speziellen ­Schabern von Blöcken gekratzt wird und vor allem aus dem Cobbler ein unübertreffliches Sommervergnügen macht.

Der goldene Schnitt

Die Klassiker sind nicht umsonst zu solchen geworden, sie haben fast alle eines gemeinsam, nämlich das ewig gültige Verhältnis von süßen, sauren und hochprozentigen Ingredienzen, weiters optional einen nicht alkoholischen Filler sowie einen Hauptaromageber. Bereits vor 400 Jahren wurde diese Formel für den Punch festgelegt: One of sour, two of sweet, three of strong, four of weak, five of spice to make it nice. Mischt man also saure oder süße, hochprozentige oder nullprozentige, fruchtige oder spritzige Bestandteile im Verhältnis 1:2:3:4, so wird das vom Großteil unserer Gaumen als wohlschmeckend empfunden, vor allem bei Sommerhitze.
Rezepte für Kult-Drinks:

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Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2014

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Angelo Peer
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