Wein ist – vergleichbar mit luxuriösen Autos, Schmuck, Mode oder (Adels-)Titeln – inzwischen in der Lage, das soziale Ansehen zu steigern. Dabei muss es keineswegs nur um Luxus-Cuvées mit überzogenen Preisen gehen, wie sie chinesische Spekulanten auszugeben bereit sind, um ihre Geschäftspartner zu beeindrucken. Auch in Deutschland hat sich die Kultivierung des Weintrinkens zu einem gesellschaftlichen Phänomen entwickelt. Wein hat innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit eine bemerkenswerte soziale Karriere gemacht, die dem Produkt, aber auch den Produzenten und Verbrauchern einen immer höheren Stellenwert zuordnet. Der legendäre Spruch von Wein-Koryphäe Hugh Johnson – »Weintrinker sehen gut aus, sind intelligent, sexy und gesund« – ist aktueller denn je.
Jung und modern
Eine neue Generation von Weinproduzenten in Deutschland bildet die Grundlage solcher Entwicklungen. Aus ländlichen Weinbauern wurden weltgewandte Winemaker und Marketingspezialisten, die ihre Erzeugnisse kosmopolitisch und zeitgemäß präsentieren. Manche sind regelrechte Popstars der Szene, die ihren Kunden deren geheime Wünsche und Begierden erst so richtig bewusst machen. Besonders auffallend dabei: Die Weininteressierten werden immer jünger. Die Zahl der 20- bis 30-Jährigen, die zu Weinpräsentationen kommen und sich auf den Weg machen, um Winzer und Weingüter persönlich kennenzulernen, nimmt merklich zu. Das Klischee des Winzers als tumber Traktorbesitzer ist längst passé. Viele fahren im Porsche, Jaguar oder in großen SUVs vor, bieten ihre Weine in extravaganten Vinotheken mit enormen Glas- oder puristischen Stahlflächen an – wie etwa bei Kühling-Gillot oder Max Müller I, im großen Stil auf dem Weingut am Stein oder im Steinbergkeller der Hessischen Staatsweingüter. Die Botschaft ist klar: Seht her, wir verkaufen nicht mehr Traubensaft, sondern Lifestyle – entweder begleitet von einem Rockkonzert wie bei Dr. Martin Tesch oder in den Gemäldegalerien der Hauptstadt wie gerade erst beim Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) zur Präsentation der Grossen Gewächse.
Weinwissen ist gefragt
Astrid Zieglmeier, Leiterin der Niederlassung der Deutschen Wein- und Sommelierschule in München, bestätigt den Trend: »Das Prestige und der finanzielle Einsatz gehen permanent nach oben. Die Weinseminare sind voll, sie werden verstärkt von Firmen als Incentive für die Mitarbeiter genutzt.« Heute sind die Teilnehmer bereit, für Vertikalproben mit Premiers Crus oder gereiften Weinen bis zu 200 oder 250 Euro zu zahlen. »Eine klare Tendenz«, sagt Zieglmeier, »das wäre vor zehn Jahren so nicht denkbar gewesen.« Besonders die Grossen Gewächse aus Deutschland sind gefragt. »Die Leute erkennen, dass es großartige deutsche Weine gibt, das ist ein richtiger Hype.«
Prestige-Trinker
Die aktuelle Elite-Diskussion des VDP passt exakt in diese Tendenz. Denn der Verband erwägt, noch über den Grossen Gewächsen eine Art Grand Cru aus kleinen Lagen zu etablieren – mehr Prestige in Sachen Wein ginge in Deutschland nicht.Selbst auf dem Münchner Oktoberfest werden mittlerweile anspruchsvolle Weine von Knipser, Kesselstatt oder Schloss Johannisberg in großen Mengen geordert. Und beim Discounter Aldi sind Tropfen aus VDP-Gütern zu gehobenen Preisen gelistet. Dabei sind die »Status-Punkte« von Parker nicht mehr die einzig gültige Währung, echte Prestige-Trinker haben sich längst von ihm emanzipiert – statt 100 Punkten zählt das soziale Engagement auf hochrangigen Kultur- und Charity-Veranstaltungen. Champagne Roederer beispielsweise präsentiert sich als Mäzen für junge Kunst, Ornellaia mit der Künstlerin Rebecca Horn auf dem Etikett und einem Galadiner in der Berliner Nationalgalerie. Das Bordelais promotet die Konzertreihe Young Euro Classics. Und auf der Chinesischen Mauer drängeln sich Hersteller wie Moët & Chandon, um ihre Marken zu präsentieren – mit jeder Flasche wird ein guter Zweck gefördert. Die Botschaft cleverer Marketingstrategen für den Konsumenten: Trink unsere Produkte und erkauf dir damit das richtige Image – erfolgreich, niveauvoll und sozial kompetent.
Eine Image-Frage
Jörg Rössel, Professor für Soziologie an der Universität Zürich, erklärt den Wert eines Weins kultursoziologisch mit einem Prozess gesellschaftlicher Zuschreibung: »Bestimmte Weine mit bestimmten Etiketten und einem bestimmten Status transportieren ein gehobenes Image.« Teurer Wein als Eintrittskarte in die gesellschaftliche Oberschicht, kurzzeitiges Glücksgefühl inklusive. Dabei steht nicht der rational preisabwägende Konsument im Vordergrund, sondern der durch spezifische Lebensstile und »kultivierte« Kriterien geleitete Käufer. Wem der Name eines Weins nichts sagt, kann aus dem Konsum keinen höheren Nutzen oder ästhetisches Erlebnis ziehen, so Professor Rössel. Bekannte Namen dagegen lösen Assoziationen aus, so ruft der Begriff Chianti etwa beim Verbraucher Vorstellungen von den Hügeln der Toskana und mediterraner Lebensweise hervor – und die gilt als besonders erstrebenswert.
»Der Wein lebt« – Christian Thielemann im Falstaff-Interview
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Text von Nikolas Rechenberg