Spitze zu Spitze: Der Sternekoch in seinem Restaurant-»Pierre« im 25. Stock des »Mandarin Oriental Hotel« in Hongkong.

Spitze zu Spitze: Der Sternekoch in seinem Restaurant-»Pierre« im 25. Stock des »Mandarin Oriental Hotel« in Hongkong.
© GettyImages | South China Morning Post

Pierre Gagnaire: Herr der Sterne

Sein Flagship-Restaurant »Pierre Gagnaire« in Paris hält seit über 30 Jahren drei Michelin-Sterne. Auch die anderen zehn Betriebe des 69-Jährigen glänzen.

»Ich bin ein Überlebender«, sagt Pierre Gagnaire bescheiden. Dabei befiehlt der Starkoch über ein kulinarisches Imperium: Mit zwölf Restaurants weltweit und Beraterverträgen mit der Gourmet-Gruppe »Le Fouquet’s«, mit dem Milchproduktespezialisten Elle & Vire, mit dem renommierten elsässischen Haushaltsgerätefabrikanten De Dietrich und dem Kochutensil-Giganten Tefal – ein paar Kochbücher gibt es auch – beläuft sich der Jahresumsatz laut »Le Figaro« auf rund 20 Millionen Euro. 1800 Menschen verdienen heute dank ihm ihr Brot.

Kochen auf Spitzenniveau ist in Pierre Gagnaires DNA angelegt. Er wurde in Apinac an der Loire geboren. Sein Vater betrieb im nahen Saint-Étienne das Sterne-Restaurant »Le Clos Fleuri«, was den jungen Pierre zunächst nicht beeindruckte. »Ich wurde zwar in ein Restaurant hineingeboren, aber es gab keine Zeit für die Kinder, für das Essen.« Den Geschmack für feine Speisen entwickelte er schließlich mit 15. Es war eine Erweckung, von der es kein Zurück gab: Der Teenager jobbte einen Sommer lang im ikonischen Restaurant »L’Auberge du Pont de Collonges« des Jahrhundertkochs Paul Bocuse bei Lyon. Der Grundstein für seine lebenslange Leidenschaft für Küche auf allerhöchstem Niveau war gelegt.

Superstar der Foodies

Schulabschluss Erfahrungen in Restaurants in Lyon und Paris, heuerte als Admiral bei der französischen Marine an, trampte drei Monate lang durch Nordamerika und landete 1976 schließlich als Souschef im Restaurant seines Vaters. Sein eigener Weg an die Spitze allerdings begann mit einer Pleite: Pierres allererstes Restaurant, das 1981 eröffnete »Pierre Gagnaire« in Saint-Étienne, musste nach 14 Jahren 1995 Insolvenz anmelden. Obwohl der damals 45-Jährige zwei Jahre zuvor den dritten Michelin-Stern verliehen bekommen hatte, obwohl er der Liebling der Kritiker, der Superstar aller Foodies dieser Welt war. All das Lob auf seine experimentelle französische Küche verhalf nicht zu einem überlebensfähigen Umsatz.

Die Menschen im Departement Loire waren noch nicht bereit, sich mit Pierre Gagnaire auf eine phänomenale und exzessive kulinarische Reise zu begeben, sich auf das Abenteuer einer Fusionsküche einzulassen, die, auf vielen kleinen Tellern verteilt, wunderbar hemmungslos mit sich widersprechenden Geschmacksrichtungen, Texturen und Zutaten spielt, die einen »riesigen Rausch« auslöst, »glücklich machend, intellektuell fordernd und höchst genussvoll« ist, wie der bekannte Foodie Julien Walther einmal in seinem Blog »Trois Etoiles« schwärmte. Pierre erfuhr auf die harte Tour, dass man als Spitzenkoch auch Unternehmer sein muss, um zu überleben.

Haute Cuisine im Luxushotel

Zwei Jahre nach der Insolvenz (»Ich hatte nicht einmal mehr eine Kreditkarte«) eröffnete er 1997 im »Hôtel Balzac« in Paris das nächste »Pierre Gagnaire«. Er feilte 14 bis 16 Stunden täglich an Gerichten wie dem Côte de veau du Limousin mit Curry, Kümmel und Absinth und wurde dafür im selben Jahr noch mit zwei Sternen ausgezeichnet. Der dritte – den er bis heute hält – kam 1998 dazu. Seine Kreativität, seine Liebe zum Detail und die Kooperation mit einem Luxushotel wie dem »Hôtel Balzac« erwiesen sich als wegweisend: Pierre tat sich mit zehn weiteren namhaften Häusern in Frankreich und Städten wie Las Vegas, Tokio, Seoul, Dubai und Hongkong zusammen, in deren Restaurants er bis heute seine ikonische Küche zelebriert.

Reich werde man mit Spitzengastronomie nicht, bekennt er. Und es könne mitunter Jahre dauern, bis sein Konzept so funktioniere, dass es rentabel sei, darauf müssten sich die Partner einstellen. Das mittlerweile weltberühmte »sketch« in London beispielsweise, das er 2003 mit dem britischen Gastronomen Mourad Mazouz eröffnete, lief zunächst holprig an. Selbst für die an Exzentrik gewöhnten Briten war das als Gesamtkunstwerk inszenierte »sketch« mit zwei Restaurants und drei Bars zunächst verwirrend. Mittlerweile kommen Menschen aus aller Welt in das Haus aus dem 18. Jahrhundert im Stadtteil Mayfair. Besonders beliebt ist der High Tea mit feinster Patisserie in der von India Mahdavi süßlich-pink gestalteten Brasserie »The Gallery«, an deren Wänden unzählige satirische Zeichnungen des schottischen Künstlers David Shrigley hängen.

Im »Lecture  Room & Library«, der mit zwei Sternen ausgezeichnet ist, genießt man Pierres Var Salmon in Tchouki Tchouki oder Pink Burrata mit Stilton, Grapefruit und Datterini-Tomaten. Und auch das opulent und angemessen schillernd ausgestattete »Reflets par Pierre Gagnaire« im Hotel »InterContinental Dubai Festival City« in Dubai brauchte zwei Jahre, bis es die Aufmerksamkeit weltgereister Gourmets erregte. Mitten in der Krise 2008 eröffnet,  kam zunächst kaum ein Gast vorbei, jetzt wurde es zum besten Restaurant der größten Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate ernannt.

Zu verdanken ist der Durchbruch Pierre Gagnaires Credo: Keine Kompromisse in der Küche zugunsten eines wirtschaftlichen Erfolges. Und nicht vom Weg abschweifen: »Ich muss meine eigene Geschichte fortschreiben.« Im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen könne er gar nicht Hunderte Restaurants eröffnen, sagte der als Enfant terrible der französischen Küche Bezeichnete einmal in einem Interview. Es gebe nicht genügend Köche, die seine Art von Küche beherrschen: den abwechslungsreichen Umgang mit perfekten Rohstoffen und Küchenhandwerk in Perfektion. Diejenigen, die mit Gagnaire arbeiten – manche schon seit über 30 Jahren –, werden deshalb von ihm, dessen Stil man laut ihm nicht lehren könne, persönlich ausgebildet. Seine Schule ist hart. Was er von sich verlangt – Ruhe, Disziplin, Genauigkeit –, erwartet er auch von seinen Mitarbeitern. »Meine Leute lernen einen Kodex«, sagt er. »Man isst von einem Teller, der vorher so lange mit Essig poliert wurde, bis er glänzt. Das ist Präzisionsarbeit, das ist Exzellenz.« Kochen, das müssten sie dann selber.

Das «Fouquet’s» in Paris ist das einzige Bistro in Gagnaires Imperium.
© GettyImages | 2015 Bertraud Rindoff Petroff
Das «Fouquet’s» in Paris ist das einzige Bistro in Gagnaires Imperium.

Gagnaire weltweit

* steht für die Anzahl an Michelin-Sternen

  • »Piero TT«, Paris
  • »Gaya par Pierre Gagnaire«, Paris
  • »Pierre Gagnaire« im »Hôtel Balzac«, Paris ***
  • »Le Fouquet’s«, »Hôtel Barriere«, Paris
  • »Pèir« im »Hotel Bastide de Gordes«, Gordes 
  • »Twist«, »Waldorf Astoria«, Las Vegas
  • »Pierre« im »Mandarin Oriental Hotel«, Hongkong
  • »Pierre Gagnaire à Seoul«, »Lotte Hotel«, Seoul
  • »Pierre Gagnaire«, »La Grande Maison de Bernard Magrez«, Bordeaux **
  • »Gaya Cuisine De Bords de Mer«, »La Grande Terrasse Hôtel & Spa« (Sofitel), Châtelaillon
  • »Pierre Gagnaire«, »Hotel ANA InterContinental«, Tokio **
  • »La Maison 1888«, »Hotel InterContinental Danang Sun Peninsula Resort«, Vietnam
  • »sketch«, London **
  • »Le Comptoir de Pierre Gagnaire«, Schanghai *
  • »Choix Pâtisserie Restaurant par Pierre«, Dubai
  • »Pierre’s Bistrot & Bar«, Dubai
Foto beigestellt

Gagnaire's Kochbuch:

»Reinventing French Cuisine« mit 40 seiner Lieblingsrezepte (2007, Englisch) um 28 Euro.
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Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2019

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Corinna von Bassewitz
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