Newcomer des Jahres: Maximilian Kusterer im Porträt
Mit seinen 28 Jahren ist Maximilian Kusterer im besten Newcomer-Alter. Für seine Zukunft und diejenige des elterlichen Weinguts hat er spannende Pläne.
Esslingen. Industriestadt. Daimler ist hier, aber auch ein halbes Dutzend Zulieferbetriebe für die Automobilindustrie. Bremsscheiben und Getriebeteile sowie Fahrzeugheizungen und Thermostate für Verbrennungsmotoren werden hier gefertigt. Doch die Stadt besitzt auch einen ausgeprägten Kontrapunkt zum geschäftstüchtigen Ingenieursgeist: Ihr mittelalterlicher Ortskern mit engen Gässchen und Fachwerkhäusern lädt zum gemütlichen Bummeln ein. Und unterhalb der aufs 13. Jahrhundert zurückgehenden Burg sowie im Rücken des Stadtzentrums und entlang des Neckars erstrecken sich weitere Vermögenswerte, die eine Brücke aus der vorindustriellen Zeit ins Hier und Jetzt schlagen: die Weinberge Esslingens mit ihren steil aufragenden Terrassen.
Winzer aus Begeisterung
Für den Weinbau ist eine starke Industrie vor Ort indes stets ein zweischneidiges Schwert: Einerseits sichert sie zahlungskräftige Kunden, andererseits kann der Weinbau mit seiner Risiko- und Kostenstruktur nicht mit den Löhnen konkurrieren, die Daimler & Co. bezahlen. Im Umkehrschluss bleiben in einem solchen Umfeld nur diejenigen dem Weinbau treu, die sich den Reben wirklich mit Haut und Haaren verschrieben haben. So machte in Esslingen schon in den Neunzigerjahren ein kleiner Familienbetrieb von sich reden: Der junge Winzer Hans Kusterer erwarb ein verfallenes Keltergebäude im alten Weingärtnerquartier Beutau, restaurierte das Bauwerk und begann es nicht nur für Weinproben, sondern auch für Kleinkunst-Veranstaltungen und Konzerte zu nützen. Gleichzeitig machte Kusterer mit Rotweinen auf sich aufmerksam, die mit ihrer ungewöhnlichen Stoffigkeit veranschaulichten, wie gut die Bedingungen auf den Sandstein- und Keuperböden Esslingens sind.
Die nächste Generation
Nahezu 30 Jahre später ist mit Maximilian Kusterer bereits die nächste Generation im Weingut aktiv. Breitbeinig balanciert Kusterer junior auf zwei Barriques und taucht den Probenheber in das Spundfass eines in zweiter Lage gestapelten Fässchens. Hans Kusterer streckt seinem Sohn ein Glas entgegen, und dieser lässt eine purpurne Flüssigkeit behutsam ins Glas gleiten. Hans Kusterer schwenkt das Glas, riecht, nimmt einen Schluck und beginnt zu strahlen. Er strahlt gleich doppelt – zum einen über den Spätburgunder, den sein Sohn gekeltert hat, zum anderen, weil die Fortsetzung der Familientradition lange Zeit alles andere als wahrscheinlich war. Als Jugendlicher nämlich lernte Maximilian Kusterer vor allem die Schattenseiten des Steillagenweinbaus kennen: schweißtreibende Laubarbeiten, während die Schulfreunde im Freibad die Sonne genossen. Eine Zukunft als Winzer konnte er sich eher nicht vorstellen. Irgendwas mit Sport schwebte ihm vor, immerhin spielte er Handball in der Landesliga.
Es macht Klick
Dem Vater zuliebe willigte Kusterer dann aber ein, ein Praktikum im Weingut Karl Haidle zu machen, etwa zehn Kilometer von Esslingen entfernt. Und hier – wohlgemerkt im Heimatbetrieb des Falstaff-Newcomers 2019 – stellte Kusterer fest, dass Weinbau alles andere ist als langweilig und antiquiert. Er merkte, wie spannend es sein kann, selbst Weine gestalten zu können. Damit waren die Weichen gestellt, Kusterer ging zum Studium nach Geisenheim – und fand sich rasch in einer Clique wieder, deren andere Mitglieder während der vergangenen Jahre ebenfalls schon viel von sich reden machten: so etwa Friedrich Keller aus Oberbergen und Julian Huber aus Malterdingen oder Tobias Knewitz aus Appenheim in Rheinhessen. Das berühmte und berüchtigte Geisenheimer Abendstudium – sprich: den einen oder anderen Umtrunk – widmete diese Gruppe vor allem den Weinen Burgunds. Mehr und mehr kristallisierte sich dadurch auch für Maximilian Kusterer heraus: Chardonnay und Pinot noir – das ist sein Ding. Doch während beispielsweise Julian Huber und Friedrich Keller aus Weingütern stammen, in denen die Burgundersorten seit eh und je im Zentrum standen, spielten diese bei Maximilian Kusterer zu Hause in Esslingen eine bislang eher untergeordnete Rolle.
Die große Freiheit
Was in vielen anderen Weingütern zu Familienzoff hätte führen können, wurde in Esslingen ohne viel Federlesens und pragmatisch gelöst: »Ich habe das große Glück«, so hat Maximilian Kusterer erkannt, »dass mein Vater die Verrücktheiten mitträgt, die mir so einfallen«. In der Esslinger »Neckarhalde«, einer nur 90 Ar großen Einzellage auf einem windoffenen Plateau, einem Alleinbesitz der Kusterers, standen Spätburgunder-Klone, die Maximilian Kusterer nicht gefielen. »2017 haben wir die das letzte Mal gelesen und dann gerodet. Neu gesetzt haben wir Pinot-Klone aus Burgund mit einer Pflanzdichte von 10.000 Stöcken pro Hektar. Der Vater hat schon etwas geflucht, weil die Setzmaschine eine so hohe Pflanzdichte nicht bewältigen konnte und wir alle Reben von Hand setzen mussten. Aber er gehört nicht zu denjenigen, die sagen: »Das geht nicht, wir haben das schon immer so oder so gemacht!‹ Das gibt mir eine große Freiheit beim Arbeiten.« Seine Freiheiten zahlt Maximilian Kusterer in Form von Engagement, Talent und Leistung zurück.
Mit seinen Weinen überzeugt er nicht nur den Vater – auch die Falstaff-Jury war beeindruckt, welche stilistische Reife aus Kusterers Burgundern und welche Geschlossenheit aus der Kollektion insgesamt spricht. Dabei werden sich in den nächsten Jahren die Schwerpunkte im Esslinger Weingut sicher weiter verschieben: »Den Trollinger werden wir zwar wohl kaum aufgeben«, umreißt Kusterer seine Pläne, »und auch eine klassische Cuvée wie den Mélac, der meinen Vater bekannt gemacht hat, wird es sicher weiter geben«. Aber von Sorten wie Dornfelder und Portugieser hat sich Maximilian Kusterer bereits getrennt. Die Vision von Klein-Burgund am Neckar nimmt Gestalt an. Da kann auch Falstaff nicht anders, als herzlich zu gratulieren.