Seit dem Mittelalter ist Solingen als »Klingenstadt« bekannt. Nach schwierigen Zeiten sind einige der traditionsreichen Betriebe heute wieder im Aufwind.

Seit dem Mittelalter ist Solingen als »Klingenstadt« bekannt. Nach schwierigen Zeiten sind einige der traditionsreichen Betriebe heute wieder im Aufwind.
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Meisterstücke: Messer made in Solingen

Wer ein gutes Messer kaufen möchte, achtet noch heute auf ein Wort: Solingen. Die Stadt im Bergischen Land bürgt für höchste Klingenqualität.

Kürzlich landete eine Mail aus den USA im Postfach von Güde-Chef Karl Peter Born. Eine Kalifornierin wollte ein Messer bei ihm kaufen. Ob das gehe? Sie habe an das Brotmesser aus Damaszenerstahl gedacht, es sei ein Geschenk für einen guten Freund. Normalerweise verkauft Born, 65, seine Produkte nur über Händler, freundliche Anfragen macht er aber zur Chefsache. Zehn Minuten nach seiner Zusage schickte die Kundin per Paypal das Geld, 5000 Euro. Und weil ihr Name Born bekannt vorkam, schaute er genauer hin: Es war die Hollywood-Schauspielerin Jamie Lee Curtis (»True Lies«). 

Güde-Chef Karl Peter Born
© Saskia Clemens
Güde-Chef Karl Peter Born

Die prominente Bestellung des teuersten Messers aus dem Güde-Sortiment steht für den Aufschwung, den ein traditionsreiches deutsches Werkzeug gerade erfährt. Messer »Made in Germany«, genauer gesagt aus Solingen, dem Synonym für erstklassige Schneidwaren, erleben seit kurzem ein »Swing Back«, wie Born es nennt, ein Comeback im großen Stil. Kunden aus aller Welt wollen sich wieder ein Stück deutsche Handwerkskunst in die Küche holen, Borns Mannschaft kommt nach eigener Aussage kaum mit der Produktion hinterher. Wer ein Güde-Messer kaufen möchte, muss sich je nach Modell auf eine Wartezeit von mehreren Monaten einstellen. Die Lager sind leer und werden nur langsam wieder aufgefüllt – die außer Tritt geratenen globalen Lieferketten und knappe Materialverfügbarkeiten verschärfen die Lage zusätzlich. 

Der kurze Griff der Güde-Serie »The Knive« macht die Messer insbesondere bei Profis beliebt. Firmenchef Karl Peter Born (Kreis) wacht über die Qualität.
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Der kurze Griff der Güde-Serie »The Knive« macht die Messer insbesondere bei Profis beliebt. Firmenchef Karl Peter Born (Kreis) wacht über die Qualität.

Woran die neu entdeckte Begeisterung für deutsche Messer liegt, weiß der hochgewachsene Born auch nicht so genau, er vermutet einen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und dem Trend zum heimischen Kochen. Fest steht, dass der 1910 von seinem Urgroßvater gegründete Familienbetrieb lange keine so gute Zeit mehr hatte wie im 111. Jahr seines Bestehens

Manchmal scheint es, als würden die Solinger dem Aufschwung selbst noch nicht recht trauen. Die Rede, die Hartmut Gehring in diesem Sommer hielt, klang eher vorsichtig. Gehring ist Vorsitzender des Industrieverbands Schneid- und Haushaltswaren und zusammen mit seinem Bruder Volker selbst Besitzer eines Messerunternehmens in Solingen. Er blickte während der Jahrespressekonferenz des Verbands im Juni auf den Beginn der Pandemie zurück. 

Lockdown »Wie ein Schock«

Der erste Lockdown habe alle Mitglieder »wie ein Schock« getroffen, etliche Betriebe mussten Kurzarbeit anmelden und kämpften mit Absatzschwierigkeiten. Dann, so Gehring, folgte aber eine »unerwartete Erholung«. Der Online-Umsatz der Mitgliedsfirmen wuchs 2020 im Durchschnitt um 42 Prozent, und auch die Zahlen für das erste Halbjahr 2021 zeigten starke Zuwächse im Umsatz, Im- und Export. Es gebe dennoch »eine ganze Reihe von Problemen, Risiken und Unsicherheiten«. 

Im Besitz des Deutschen Klingenmuseums in Solingen ist auch die größte Bestecksammlung der Welt. 
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Im Besitz des Deutschen Klingenmuseums in Solingen ist auch die größte Bestecksammlung der Welt. 

Die defensive Haltung lässt sich auch damit erklären, dass Gründe zum Jubeln selten geworden sind in Solingen. Zwar ist die Stadt noch immer das deutsche Zentrum für Schneidwarenherstellung, rund ein Viertel der lokalen Wirtschaftsleistung geht auf die Produzenten von Rasierklingen, Scheren und Messern zurück. Der Zusatz »Klingenstadt« steht stolz auf den Ortsschildern, ein schmuckes Gebäude beherbergt Deutschlands einziges Klingenmuseum

Der Familienbetrieb Gehring wird heute von zwei Brüdern geführt und bietet Haushaltsmesser aller Art an. 
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Der Familienbetrieb Gehring wird heute von zwei Brüdern geführt und bietet Haushaltsmesser aller Art an. 

Doch gemessen an einstigen Hochzeiten ist der Glanz ein wenig verblasst. Gut acht Jahrhunderte reichen die Wurzeln zurück, schon im ausgehenden Mittelalter entwickelte sich Solingen zu einem Zentrum für Klingen. Die Stadt bot günstige Bedingungen, weil es in der Region einerseits natürliche Ressourcen wie Wald und Erzvorkommen gab und mit Köln eine große Handelsstadt in der Nähe war. Zum anderen war für die Schleifer der früheren Jahrhunderte Wasserkraft wichtig: Ihre Schleifwerkstätten, sogenannte Kotten, befanden sich direkt an fließenden Gewässern, von denen es in Solingen mit der Wupper und diversen Bächen einige gibt. Neben den Schleifern siedelten sich weitere metallverarbeitende Gewerke an, darunter Schmiede und Härter. Erstmals erwähnt ist eine Messerzunft im Jahr 1571, Zwilling J.A. Henckels, der gigantische Küchenzubehörhersteller, meldete 1731 sein Handwerkszeichen in Solingen an – eine der ältesten Markeneintragungen der Welt. Noch heute unterhält er ein Werk in der Stadt, zugleich stehen große Produktionsstätten auch im Ausland. Die Einführung immer komplexerer Maschinen sowie die Produktion in Billiglohnländern veränderte vieles. In den 1960er-Jahren gingen in Solingen noch 60 Messerhersteller ihrer Arbeit nach, geblieben ist davon weniger als die Hälfte.

Für lange Messer wurden bis zu 1,90 Meter große Schleifsteine genutzt. Hier wird ein neuer Stein gesetzt, Aufnahme von ca. 1930.
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Für lange Messer wurden bis zu 1,90 Meter große Schleifsteine genutzt. Hier wird ein neuer Stein gesetzt, Aufnahme von ca. 1930.

Geschützte Herkunft

Seit dem Jahr 1938 ist Solingen als Herkunftsangabe geschützt. Noch heute darf auf einer Klinge nur dann »Solingen« stehen, wenn bestimmte Qualitätsstandards erfüllt sind und wesentliche Arbeitsschritte im Industriegebiet Solingen erledigt wurden. So wie im Betrieb Gehring, über dem der Duft einer benachbarten Süßwarenfabrik liegt. Hugo Gehring gründete das Unternehmen im Jahr 1956, 2007 übernahmen die Söhne Hartmut und Volker. 

Respekteinflößende Maschinen stehen in den Produktionsräumen, jede hochspezialisiert. Hier entstehen Messer aller Art, vom Ausbein- bis zum Steakmesser, auch Bestecke werden produziert. Wie aus den unförmigen stumpfen Vorprodukten mit hässlichen Schweißnähten in bis zu 48 Arbeitsschritten glänzende, blankpolierte Messer entstehen, ist faszinierend anzusehen. Ein Hingucker sind auch die teils handgefertigten Damastmesser, für die Gehring bekannt ist. Hierfür wird von der zuliefernden Schmiede auf die Außenseiten der Schneide sehr harter, rostfreier Damaststahl mit jeweils 32 Lagen aufgetragen, was zu den markanten Mustern führt. 

Einen anderen Weg wählt die Windmühlenmesser-Manufaktur Robert Herder, ein stolzer, individueller Handwerksbetrieb, der im nächsten Jahr 150-jähriges Bestehen feiert. »Schauen Sie mal«, sagt Firmenchefin Giselheid Herder-Scholz und legt zwei betagte Messer auf den Tisch. Die Klingen sind schmal wie Kinderfinger geworden. 

»Die Klinge verzehrt sich«, sagt Herder-Scholz dazu. Windmühlen verwendet für viele Messer Kohlenstoffstahl, auch bekannt unter dem Namen Carbonstahl. Er ist nicht rostfrei und verfärbt sich bei Kontakt mit Lebensmitteln, bleibt aber länger scharf als sein verchromter Gegenpart. Die Klingen können härter gehärtet werden – kein Widerspruch, sondern Grundlage für den lange eigenständigen Beruf des »Härters« – und bekommen den aufwändigen »Solinger Dünnschliff«, mit dem sie lange schnitthaltig bleiben. Es sind Meisterstücke, die umfangreiche Fachkenntnis und lange Erfahrung voraussetzen. Bei Windmühlen sind sie sich dessen bewusst, verdiente Schleifermeister werden hier teils mit eigenen Editionen geehrt, wie etwa im Falle des ikonischen »Buckels«. 

Die Rationalisierung traf traditionelle Schneidwarenfirmen hart. Wer es geschafft hat, kann heute gute Geschäfte machen.
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Die Rationalisierung traf traditionelle Schneidwarenfirmen hart. Wer es geschafft hat, kann heute gute Geschäfte machen.

Es lohnt sich nicht nur für Gourmets, Messermanufakturen selbst anzuschauen. Im Betrieb von Karl Peter Born kann man sich sogar einmal im Jahr, am Solinger Schneidwarensamstag, ein eigenes Messer bauen. Betritt man die Güde-Werkstatt, die – wie früher üblich – mitten in einem Wohnviertel liegt, gewinnt man den Eindruck einer Zeitreise. Es zischt und rattert, metallischer Geruch liegt in der Luft, feiner Staub bedeckt den Boden. Wer einmal gesehen hat, mit wieviel Aufwand die feinen Griffe poliert und genietet werden, wie die Klingen handgeschliffen, gepließt und abgezogen werden, was für eine Arbeit in einem solchen Unikat steckt, wird nie wieder ein anderes Messer kaufen wollen. 

Schleifer nutzten lange die Kraft des Wassers für ihren Beruf. Die Lage an der Wupper begünstigte Solingen, noch heute existieren zwei Schleifkotten.
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Schleifer nutzten lange die Kraft des Wassers für ihren Beruf. Die Lage an der Wupper begünstigte Solingen, noch heute existieren zwei Schleifkotten.

Hall of Fame

Eine Auswahl an Herstellern, die ihre Schneidwaren noch in Solingen herstellen:

  • Franz Güde
    Kleiner Familienbetrieb, der 1910 gegründet wurde und für aufwändig gefertigte Küchenmesser steht. Von Profi- und Hobbyköchen gleichermaßen geschätzt. guede-solingen.de
     
  • Kretzer
    Scheren für alle Zwecke bietet das traditionsreiche Unternehmen an, das im übernächsten Jahr 100-jähriges Bestehen feiert. Filigrane Nagelscheren bekommt man hier genauso wie solche für den Garten.
    kretzer.de
     
  • Robert Herder
    Windmühlen Messer
    Diese stilbewusste Manufaktur mit langer Historie verdankt ihren guten Ruf insbesondere den nicht-rostfreien Messern aus Kohlenstoffstahl, die dünn geschliffen sind. Markenzeichen ist die Windmühle auf den Klingen. windmuehlenmesser.de
     
  • Gehring Messer
    Exzellente Qualität und großes Know-how bieten die Brüder Volker und Hartmut Gehring ihren Kunden im Familienbetrieb, den sie von ihrem Vater übernommen haben. Vor allem im Segment der Damaststahlmesser bekommt man wohl selten mehr für sein Geld.
    gehring-katalog.com
     
  • PUMA Messer
    Unter Jägern beliebte Marke, die sich auf Jagd-, Sport- und Anglermesser spezialisiert hat. Nicht alle Messer werden in Solingen produziert, auf den Schriftzug in der Klinge achten.
    pumaknives.de
     
  • Felix Solingen
    Traditionsreiche Manufaktur, die 1790 gegründet wurde und Küchenmesser in Premiumqualität fertigt. Auch in der Gastronomie beliebt.
    felix-solingen.de
     
  • Boeker
    Hersteller mit breitem Sortiment: von Jagdmessern über Koch- und Taschenmesser bis hin zu Rasiermessern bekommt man hier fast alles. Tipp: auf Fertigungsort achten, da auch in anderen Ländern produziert wird.
    boker.de
     
  • Dovo
    Spezialisiert auf Rasierhobel und elegante Rasiermesser der alten Schule, die teilweise in Handarbeit gefertigt werden.
    dovo.com
     
  • Zwilling
    Gigant unter den Herstellern für Küchenzubehör, auch die Messersektion ist riesig. Da nicht alle Produkte in Solingen produziert werden, ist eine Beratung zu empfehlen.
    zwilling.com 

Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2021

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Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
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