Mächtige Portionen für die Seele
Die Südstaaten sind für ihr Soulfood berühmt. Die historischen Wurzeln reichen zurück bis in die Zeit der Sklaverei.
Nach dem ersten Bissen kann man nicht widerstehen. Die Grundsätze gesunder Ernährung? Die sind jetzt mal egal. Genauso wie das Sättigungsgefühl, das bei der riesigen Portion schnell einsetzt. Dafür ist das Fried Chicken, die Spezialität in »Paschal’s Restaurant« in Atlanta, einfach zu köstlich. Also: Weiter die Zähne in die saftigen, extrem knusprigen Hühnchenteile versenken, während Martin Luther King vom großen Porträt an der Wand zuschaut.
Das »Paschal’s« ist seit Jahrzehnten eine der Institutionen für Soulfood in den US-Südstaaten. Soulfood bedeutet wörtlich »Essen für die Seele«, und genau das ist es. Kalorienreich, mächtig und trostspendend. Es gehört zur Identität der Afroamerikaner und steht für ihren Zusammenhalt genauso wie die Gerichte, die seit Generationen von ihnen gekocht werden. Schließlich reichen die Ursprünge dieser Küche zurück in die Zeit der Sklaverei. Der Begriff Soulfood aber stammt aus der Bürgerrechtsbewegung, als die Schwarzen friedlich für ein Ende der Rassentrennung kämpften. Damals trafen sich ihre Anführer und Aktivisten in Restaurants wie »Paschal’s«. »Auch Dr. King liebte das Fried Chicken«, erinnert sich der 74-jährige Marshall Slack, der schon als Junge hier aushalf.
Das frittierte Hühnchen gehört wie Spareribs oder frittierter Catfish zu den unumstößlichen Säulen des Soulfood. Hinzu kommen Beilagen wie Maisbrot, glasierte Süßkartoffeln, grünkohlähnliche Collard Greens und Grits, eine Art Polenta. Auf den Tellern dominiert oft dabei die Farbe Beige, denn an der Fritteuse gibt es heute kaum ein Vorbei.
Die Restaurants, in denen Soulfood serviert wird, sind meist einfach, ehrlich und bodenständig. So wie »Senator’s Place« in Cleveland/Mississippi, das von Senator Willie Simmons eröffnet wurde. Mittlerweile kocht seine Tochter Sarita hier. »Mit viel Liebe«, wie sie betont. Am Büfett gibt es im schlichten Ambiente täglich wechselnde Klassiker – darunter auch Gewöhnungsbedürftigeres wie Halsknochen. »Zum Soulfood gehören bis heute die Schlachtreste, die früher den Sklaven überlassen wurden«, erklärt der Senator. Schweinefüße und Innereien sind auf Speisekarten daher keine Seltenheit.
Gemüse spielt heute hingegen meist nur eine Nebenrolle. »Früher wurde weniger Fleisch gegessen. Es war etwas Besonderes und viel teurer«, sagt Brandon Cain von »Saw’s Soul Kitchen«, das sich in Birmingham/Alabama zum Soulfood-Renner entwickelt hat. »Wir haben es mit der Zeit etwas aus dem Blick verloren.« Mit seinem winzigen, trendigen Restaurant will sich der Enddreißiger von anderen abheben. »Wir wollen das Essen anregend anrichten, es verfeinern und ihm einen modernen Twist verpassen.« Das »Sweet Tea Fried Chicken« wird daher nicht traditionell in Buttermilch, sondern in süßem Tee mariniert.
Vom Soulfood zum traditionellen Southern Cooking der Weißen ist die Grenze fließend – wie man in »Mrs. Wilkes Dining Room« in Savannah/Georgia merkt. Täglich stehen die Gäste dort an, oft bis um den Block herum. Wer schließlich drin ist im wohlig altmodischen Restaurant mit Wohnzimmeratmosphäre, wird mit bester Hausmannskost bekocht, die Soulfood sehr ähnlich ist. »An unseren Rezepten hat sich nichts verändert«, sagt Marsha Wilkes-Thompson, die Enkelin der ursprünglichen Besitzerin. »Und was die Gesundheit anbelangt: Meine Großmutter hat diese Gerichte dreimal am Tag gegessen und wurde 95 Jahre alt.«
Aus dem Falstaff Magazin Nr. 02/2017.