Trockenmauern, schmale Terrassen und flachgründig verwitterter Schieferboden: Hier wächst der Kräuterberg Spätburgunder.

Trockenmauern, schmale Terrassen und flachgründig verwitterter Schieferboden: Hier wächst der Kräuterberg Spätburgunder.
© David Weimann

Logenblick ins Ahrtal

Auf Dutzenden Steilterrassen wächst im Ahrtal das Pinot-Original vom Walporzheimer Kräuterberg. Der Spätburgunder hat einen stolzen Preis – auch für die Winzer.

Es ist eine Art Tapeziertisch, der hier hoch über dem Ahrtal aufgebaut ist, auf einem schmalen Weinbergsweg. Doch hier werden keine Tapeten mit Leim bestrichen, hier haut sich ein Arbeiter mit kräftigen Schlägen Gesteinsbrocken zurecht. Denn an diesem Ort mit dem Postkartenausblick über die Reben runter ins Tal und auf den Ort Walporzheim werden die Weinbergsmauern erneuert.

Kostspielige Angelegenheit

»Es gibt in diesem Hang 64.000 Quadratmeter sichtbare Mauern«, erläutert Willi Beu, der Vorsitzende der Flurbereinigungsgemeinschaft Walporzheim. »Die Hälfte der Mauern ist sanierungsbedürftig, und wenn ich Ihnen sage, dass die Erneuerung eines Quadratmeters zwischen 1000 und 1100 Euro kostet, können Sie hochrechnen, was wir insgesamt an Geld brauchen!«

Mehr als 30 Millionen Euro wird es kosten, den ganzen Walporzheimer Kräuterberg sowie die benachbarten Teile der Lagen Alte Lay, Pfaffenberg und Domlay wieder fit für die nächsten hundert Jahre zu machen. Geld, das selbst mit den vergleichsweise hochpreisigen Spätburgundern des Ahrtals nicht aus dem laufenden Betrieb verdient werden kann. »Zum Glück gibt es öffentliche Gelder, doch auch der Eigenanteil der Winzer ist beträchtlich. Ich zum Beispiel hab schon 50.000 Euro in ein paar kleinen Terrassen verbaut, auf denen jeweils zwanzig, dreißig Reben stehen«, rechnet Werner Näkel vor, der insgesamt gute anderthalb Hektar im knapp fünf Hektar großen Kräuterberg besitzt.

Öffentlich gefördert werden kann maximal das Neunfache dessen, was die Winzer selbst ausgeben. Dafür konnte Beu, der den aufreibenden Job des Trommlers für die Mauersanierung als Rentner im Ehrenamt versieht, schon sieben Millionen Euro vom Land und von der EU einwerben, teils auch von privaten Gönnern. »Aber von 30 Millionen sind wir noch weit entfernt.«

In Walporzheim stehen 64.000 Quadratmeter Weinbergsmauern. Die Sanierung eines einzigen von ihnen kostet über 1000 €.

Ein Grand Cru wie im Bilderbuch

Dabei ist vor allem der Kräuterberg ein Grand Cru, wie er im Buche steht: Die Terrassen blicken wie ein Amphitheater nach Süden und Südosten, der Boden besteht aus Schiefergestein mit einer flachgründigen Bodenauflage aus Sand und verwittertem Schiefer. Hier können die Reben gar nicht anders, als ihre Wurzeln tief in den Boden zu treiben, um sich ihre Nährstoffe aus dem Kluftwasser in den Ritzen des Gesteins zu holen. Und auch den Winzern schenkt der Hang nichts: Selbst wenn sich fürs Spritzen gegen Mehltau und Botrytis der Hubschrauber einsetzen lässt, bleiben jährlich noch 1300 Arbeitsstunden Handarbeit pro Hektar. Im Flachen käme man mit 300 aus. 

Insel im Kräuterberg

Marc Adeneuer steht am Fuß des Kräuterbergs und deutet auf einen Teil des Steilhangs: »Sehen Sie diese natürlichen Begrenzungen im Hang? Oben eine Abbruchkante und links und rechts Böschungen? Das war einmal ein Steinbruch – und ist heute die Lage Gärkammer im Alleinbesitz meiner Familie.« Eine Insel also im Kräuterberg, mit etwas anderem Mikroklima, aber mit derselben Geologie. Und denselben Unterhaltskosten: Adeneuer rechnet für die Sanierung der Mauern mit einer Million Euro und einem Eigenanteil von 100.000 bis 150.000 Euro. »Bepflanzt ist die Gärkammer übrigens mit dem alten Kastenholz-Klon des Spätburgunders, einem Verwandten des Ur-Pinot. Die Traubenform hat wirklich Ähnlichkeit mit einem Pinienzapfen, wie es der Name Pinot nahelegt.«

Nomen est Omen

»Uralte Rebanlagen, altes Holz, kleine Erträge«, charakterisiert Hans-Joachim Brogsitter, dessen Familie schon seit dem 15. Jahrhundert im Weinbau des Ahrtals aktiv ist, auch den Kräuterberg. »Die Weine sind einzigartig, man hat früher schon gewusst, wo der Wein hingehört.«  

»Ob der Kräuterberg seinen Namen hat, weil die Römer, wie man sagt, hier einen Kräutergarten angelegt hatten, das kann ich nicht beurteilen«, äußert sich Paul-Josef Schäfer vom Weingut Burggarten, »aber in diesem Hang wachsen wirklich Pflanzen, die man woanders nicht findet.« 

Beste Lage des Ahrtals?

»Wenn man abends reingeht in den Kräuterberg, dann spürt man, wie die Mauern Wärme abstrahlen«, kennzeichnet Paul Schumacher vom gleichnamigen Marien­thaler Weingut die Lage. Ob der Kräuterberg die beste Lage des Ahrtals ist, darüber könne man durchaus geteilter Meinung sein, so Schumacher weiter. Er selbst sei beispielsweise auch froh über die spätere Reife, die andere Lagen wie etwa sein Hausberg Trotzenberg böten. Aber wiedererkennbar seien die Kräuterberg-Weine immer. »Und der Kräuterberg ist ein Garant für super Burgunder auch in schwierigeren Jahren wie 2010 oder 2017.« Auch Schumacher bestätigt, dass der »Bewuchs im Kräuterberg anders ist als in anderen Lagen, in unserer Parzelle wächst zum Beispiel wilder Schnittlauch«.

Auch Werner Näkel hat ungewöhnliche Pflanzen in seinen Parzellen: »Da wächst sogar wilder Wermut. Dass die Römer hier mediterrane Kräuter angebaut haben, das ist schon die plausibelste Erklärung für den Namen. Die Nachbarlage Silberberg hat ja auch nichts mit dem Edelmetall zu tun, sondern heißt eigentlich Salbeiberg.«

Cremigkeit und Charme

Kräuter spielen sicher auch eine Rolle bei der Beschreibung des typischen Geruchs und Geschmacks der Spätburgunder vom Kräuterberg. Doch das prägendste Merkmal dieser Weine ist ohne jede Frage ihre mollige Gaumenstruktur: Die Gerbstoffe sind fast immer ausgesprochen fein und seidig, ultrareif. Und hinter ihnen schlummert in aller Regel eine Cremigkeit, die den Kräuterberg-Burgundern ungeachtet ihres mineralischen Tiefgangs einen einzigartigen Charme verleiht.

Gute Weine brauchen Geduld

Durch Global Warming jedoch wird es inzwischen mit der Reife manchmal fast schon zu viel. »2011 habe ich in der Lese einen Freund und Kollegen in Burgund besucht«, erzählt Paul Schumacher, »um mir mal anzuschauen: Was machen die anders? Als ich zurückkam, habe ich zu meiner Frau gesagt: ›Wir warten keinen Tag länger, morgen lesen wir den Kräuterberg.‹ Bei 94, 96 Oechsle, obwohl wir sonst immer bei 100 Oechsle waren oder drüber. Ich war mir lange unsicher, ob das die richtige Entscheidung war, aber etwa nach zwölf Monaten war ich dann überzeugt, dass es gut war, früher gelesen zu haben. Man braucht einfach etwas mehr Geduld mit diesen Weinen.«

Ein Generationenvertrag

Willi Beu und Werner Näkel beschließen die Besichtigung des Weinbergs mit einem Umtrunk im Gartenrestaurant des Klosters Marienthal. Beu fährt mit dem Schmalspurschlepper voran, Näkel folgt mit der Limousine. Im Klostergarten stehen schließlich Näkels Kräuterberge aus den Jahrgängen 2012 und 2013 auf dem Tisch, und Beu erzählt von seiner Arbeit. 20 bis 25 Stunden wöchentlich steckt der 72-Jährige, den man locker 15 Jahre jünger schätzen könnte, in das Projekt Flurbereinigung, das hier nicht als Um- und Zusammenlegung geplant ist – jeder Winzer bekommt am Ende seine eigenen Parzellen saniert zurück.

Was motiviert Beu zu diesem Einsatz? »Mein Vater war Winzer, wie alle im
Ort hatten wir Pferd, Schwein, Hühner, Maus.« Während sein Vater Felder pflügen war, besuchte Beu acht Jahre die Volksschule Walporzheim, dann fand er eine Lehrstelle beim Landratsamt. Dort arbeitete er sich kontinuierlich nach oben, »ich war Beamter«, sagt er mit fast entschuldigendem Unterton, in Rente ging er als Abteilungsleiter für Strukturentwicklung und Umwelt.

In den Weinbergsmauern steckt ein ungeschriebener Generationenvertrag: Bedroht zwar, aber gültig.

Ubier legten den Grundstein

Näkel und Beu diskutieren die beiden Jahrgänge und gleiten unter der Wirkung dieser Elixiere immer mehr in den Dialekt. Schon spannt der frühere Deutschlehrer Näkel den Bogen vom Ahrtaler Dialekt zur Geschichte. »Die Römer haben die Ubier am ganzen linksrheinischen Gebiet bis hoch nach Köln angesiedelt. Darum sprechen die Kölner auch praktisch denselben Dialekt wie wir. An der Ahr hatten die Ubier ganz explizit den Auftrag, Wein anzupflanzen.« 

Hier sitzen nun sichtlich (und hörbar) zwei Nachfahren dieses Volksstamms und freuen sich des Lebens. Beu nimmt einen genüsslichen Schluck vom 13er Kräuterberg und erzählt von den Stunden im Weinberg, von den Details der Mauersanierung und von den Aha-Erlebnissen, die er hat, wenn eine alte Mauer bei der Erneuerung quasi seziert wird: »Es ist sehr spannend zu sehen, mit welch handwerklichem Geschick die Leute vor hundert Jahren Mauern gesetzt haben. Da könnte ich drin uffjehn.« Der Generationenvertrag, der ungeschrieben in den Mauern steckt, mag zwar bedroht sein. Doch dank Menschen wie Willi Beu hat er noch immer Gültigkeit.

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2020

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Ulrich Sautter
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