Ein bisschen L.A.: Die »Pure Living Bakery« verströmt Küsten-Flair in »Downtown«-Wien.

Ein bisschen L.A.: Die »Pure Living Bakery« verströmt Küsten-Flair in »Downtown«-Wien.
© Ulrike Schacht

Leistbares Design: DIY ist das Gebot der Zeit

Stil kann man nicht kaufen, den zimmert man sich selbst. Tipps für alle, die mehr wollen als »ein paar Tische, Stühle und eine Theke«.

Sie strahlt übers ganze Gesicht und sie hat jeglichen Grund dazu. Kirsten Pevny von der Wiener »Pure Living Bakery« steht an der Türschwelle ihres zweiten Cafés. Drinnen erwartet den Besucher Kirstens Panoptikum, ein Sammelsurium schöner Dinge mit Shabby Chic-Touch. Ein Trend, der vor Jahren gekommen ist, um offensichtlich zu bleiben. Pevny arbeitete lang als Flugbegleiterin, ihre große Liebe gilt Städten wie Los Angeles und Kapstadt. Und Wien. Also tat sie das einzig Richtige: Sie brachte den Küstenflair in die Hauptstadt des Binnenlandes. »Ja, ich war handwerklich schon immer sehr begabt, habe schon als Kind lieber gehandwerkt, als gestrickt«, lacht die Unternehmerin. Von den zu Regalen umfunktionierten Weinkisten an der Wand bis hin zu den Menükarten aus Spanplatten: das viel zitierte »Die Liebe steckt im Detail« trifft hier zu.

Vielleicht noch wichtiger als das handwerkliche Geschick, für das man notfalls andere hinzuziehen kann: Pevny hatte eine Idee, eine Geschichte, die nicht konstruiert war. Nachzulesen ist das Ganze im 2016 erschienenen Buch »Sugar Girls«, das Frauen in Österreich, Deutschland und der Schweiz in ihren Cafés porträtiert. Darin empfiehlt die Wienerin auch, kein anderes Lokal zu kopieren. »Stil kann man nicht suchen, dann kupfert man nur ab. Du brauchst ein Erlebnis, eine Überzeugung, eine Geschichte, die zu einer einzigartigen Idee führt. Nur dann steckt dein Herz drin!« Aber führt genau diese Erkenntnis solch ein Buch – und auch einen Magazinbeitrag – ad absurdum? Co-Autorin Meike Werkmeister sieht hier kein Problem. »Ich wette, wenn man Fotos von nachgebastelten Ideen aus unserem Buch hätte, würde kein Ergebnis aussehen wie das andere. Jeder bringt sein eigenes Stück Kreativität mit rein.«

»Du brauchst ein Erlebnis, eine Überzeugung, eine Geschichte, die zu einer einzigartigen Idee führt. Nur dann steckt dein Herz drin!«
Kirsten Pevny, Lokal-Besitzerin

Auffällig, wie die deutsche Autorin bestätigt, sei aber, dass alle porträtierten »Sugar Girls« eine gewisse handwerkliche Begabung hatten. DIY (Do it yourself), wie es in der Sprache von Instagram und Pinterest so schön heißt, ist das Gebot der Zeit. »Die meisten haben ihren Laden mit eigenen Händen kernsaniert, gestrichen, gezimmert und designt.« Wer das Buch durchblättert und sich darauf einlässt, profitiert von einer wahren Inspirations-Infusion. Die Protagonistinnen verraten ihre Bezugsquellen, lassen sich beim Hämmern und Betongießen über die Schulter schauen und geben Tipps, die den Praxistest bestehen. »Schauen, welche Wirtshäuser schließen und dort fragen, ob man Sachen günstig abkaufen kann«, ist solch ein Ratschlag. Oder der, mit einem Altmöbelhändler eine Kooperation einzugehen. Er stellt die Stücke gratis zur Verfügung, im Café wird kommuniziert, wo es sie zu kaufen gibt. Es geht ums Weiterdenken!

Material aus dem Müll

Ein schönes Beispiel fürs Weiterdenken und Geschichtenerzählen ist auch das Lokal »VinziRast mittendrin«. Die Ausgangsbasis: ein weltweit einmaliges soziales Projekt, bei dem Wohnungslose und Studierende gemeinsam unter einem Dach leben. Das Café-Restaurant wirkt auf den ersten Blick gemütlich, hell, freundlich, wie von einem Architekten entworfen. Und das ist es auch. Das Projekt des Büros gaupenraub+/- passt trotzdem ganz wunderbar in diese Geschichte, da mit einfachsten Mitteln, aber enormen persönlichem Einsatz gearbeitet wurde.

Die Idee kam Alexander Hagner quasi im Vorbeigehen – an vollen Abfallcontainern. »Obst- und Gemüsekisten dürfen aufgrund der Lebensmittelverordnung kein zweites Mal für Nahrung verwendet werden. Sie werden somit direkt zu Müll.« Sechs Monate lang wurden auf Wiens Märkten Kisten eingesammelt, danach in einer Werkstatt zerlegt und die Brettchen feinsäuberlich nach Breite geschlichtet. Über 50 Menschen – von künftigen Bewohnern, über Studierende, Nachbarn und anderen Freiwilligen – waren ins Projekt involviert. Die Mission des »Tackerteams« (O-Ton Hagner): Die Wände und Decke des Lokals mit den Brettchen von Kisten aus aller Welt zu verkleiden. Dunkle Bretter, helle Blätter, mit spanischer, arabischer oder englischer Aufschrift – die Idee ist so einfach und stimmig, dass sie sich quasi von selbst erklärt. Die Arbeit hatte ein gewisses »Suchtpotenzial«, erinnert sich der Architekt. »Es war für die Helfer schwierig, ein Ende zu finden, man hat sich immer gedacht: ›Eines geht noch.‹« Geworden sind es übrigens stolze 10.000 Bretter. Der zu Beginn errechnete Bedarf lag bei 6.000. Netter Nebeneffekt des Baustoffs vom Müll: gute Akustik und eine warme Ausstrahlung.

Entsorgte Obst- und Gemüsekisten wurden gesammelt, zerlegt und die Holzbretter nach Breite geschlichtet. Mit 10.000 Stück wurde das »VinziRast mittendrin« ausgekleidet.

An dieser Stelle könnte ein harter Bruch entstehen, denn das Restaurant »Salon-plafond« von Tim Mälzer im Museum für Angewandte Kunst (MAK) in Wien ist auf den ersten Blick meilenweit entfernt vom »VinziRast mittendrin«. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, wenn man den Blick für das Ambiente schärft. Auch das »Salonplafond« wird gerne als gemütlich beschrieben, mit Wohnzimmeratmosphäre assoziiert. Architekt Michael Embacher lehnt »Design Mission Statements« ab. »Es geht mir in meiner Arbeit um Atmosphären. Design ist subjektiv – es kann gefallen, oder auch nicht. Das Design ist der Atmosphäre untergeordnet. Bei »Salonplafond« ging es mir um die Schaffung von Intimität.«

Die historische Kulisse des Mälzer-Lokals ist unbezahlbar, die Sessel-Bezugsstoffe von Svensk Tenn sind im gehobenen Preissegment angesiedelt. Nichtsdestotrotz gibt es auch hier Leistbares. Bezugsstoffe der Firma Kvadrat und Oswald Haerdtl Stühle, die vintage gekauft wurden – um zwei Beispiele zu nennen. Embacher ist überzeugt davon, dass die Zeit, in dem in einem Lokal alles »überdrüber, neu und teuer« sein muss, vorbei ist. »Das ist schon aus wirtschaftlichen Aspekten nicht mehr möglich. Ich finde, diese Tatsache schafft Raum für viel Schönes, es ist die Zeit der Individualität. Auch Schräges und Gebrauchtes kann funktionieren, erfolgsentscheidend ist ein stimmiges Gesamtkonzept.« Der Preis eines Artikels sage, so Embacher, »nichts über die Qualität des Designs aus. Dieser demokratische Zugang zu Design ist mir sehr sympathisch.«

Gedichtband als Designkonzept

Ein fast schon beängstigend stimmiges Gesamtkonzept hat das neue »25hours Hotel« in der Hamburger HafenCity. Aus der fiktiven Figur des Seemanns Kuttel Daddeldu aus den Erzählungen von Joachim Ringelnatz wurde nicht weniger als ein Designkonzept. Auf diese Idee muss man mal kommen, so naheliegend sie auf der anderen Seite auch wieder ist. Jede Region, jede Stadt, jedes Dorf hat Sagen, Legenden, Mythen, auf denen man aufbauen kann. Oder eben einen Gedichtband mit knurrigem Seemann. Egal, wohin man im Hotel blickt – überall wird die Geschichte weitererzählt.

Interessanterweise fällt auch im »25hours HafenCity« – ohne dass explizit danach gefragt worden wäre – sofort das Wort »Atmosphäre«. »Ganz wichtig: Bei all dem Design darf man die Atmosphäre nicht vergessen«, so das Kommunikationsteam der in Deutschland, Österreich und der Schweiz agierenden Hotelkette. Die Designerin sekundiert: »Trotz des industriellen Grundthemas war es wichtig, dass am Ende eine glaubwürdige Wohnlichkeit entsteht.« Geschaffen wurde diese durch Eigenanfertigungen, Sammlerstücke und Funde vom Flohmarkt. Ein Highlight der Highlights: die vom Berliner Illustrator Jindrich Novotny gestaltete Tapete. Viele der vermeintlichen Petitessen gehen als »Kost’ fast nix« durch. Etwa die Daddeldu-Geschichte in Logbuchform in den Zimmern, Kojen genannt. Oder der Joggingcorner.

So lockerflockig sich das Ganze auch anhört: Man muss es zuerst einmal machen. Und: In Hochglanz-Magazinen oder auf Pinterest sieht die Welt immer ein bisschen perfekter aus. So möchte Kerstin Pevny von der »Pure Living Bakery« ihren alten Fliesenboden heute nicht missen, »aber nochmal würde ich dieses Projekt nicht angehen.« Zwölf Stunden lang bei Minusgraden mit Schlamm bedeckte Jugendstil-Fliesen aus einem Kellerloch ohne Licht abzutransportieren: das ist wahre Liebe zum eigenen Laden. »Zwei Wochen lang musste ein Fliesenleger die Fliesen vom mehr als 100 Jahre alten Schlamm befreien, um sie überhaupt verlegen zu können.« Klingt anstrengend und nervenaufreibend und war es sicher auch. Aber was wäre eine gute Lokaleröffnung auch ohne solch eine Geschichte?

www.purelivingbakery.com
www.salonplafond.wien
www.vinzirast.at
www.25hours-hotels.com

Corporate Design

Erst Visiten- und Speisekarten – sowie alle anderen Papiersorten – machen den Gesamtauftritt eines Lokals oder Hotels perfekt. Wer auf der Suche nach dem guten Grafiker verzweifelt, kann das Angebot von »99 Designs« studieren. Ab 279 Euro kann man auf einen ganzen Pool an Designern zugreifen. Die Premium-Variante liegt bei knapp 1.200 Euro. »99 Designs« greift weltweit auf 1.200.000 Designer zurück. Seit Geschäftsstart im Jahr 2008 wurden 125 Millionen Euro an die Kreativen aus-bezahlt. Umsatz 2015: 50 Millionen Euro.

www.99designs.at
Artikel aus Falstaff Karriere Special 2016.

Nicola Afchar-Negad
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