Magie des Geschmacks: Die Farben und Gerüche der Gewürzbasare sind bis heute eine Reminiszenz an die Raffinesse, die der Orient in die Küche des Westens eingebracht hat.

Magie des Geschmacks: Die Farben und Gerüche der Gewürzbasare sind bis heute eine Reminiszenz an die Raffinesse, die der Orient in die Küche des Westens eingebracht hat.
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Kardamom, Safran & Co: Gierig nach Gewürzen

Ob auf Karawanenstraßen oder im lukrativen Schiffshandel importiert: Arabien war jahrhundertlang die Drehscheibe des – anfangs reichlich schmalen – Gewürzangebotes der europäischen Nationalküchen.

Eineinhalb Tonnen Pfeffer sind eine äußerst ungewöhnliche Lösegeld-Forderung. Doch die Geisel, die Alarich im Jahre 410 n. Chr. verwahrte, war schließlich auch keine alltägliche. Und so ist dem Bericht über den Goten-Sturm auf die antike Weltmetropole auch die Information zu verdanken, dass Germanen wie Römer offenbar den Pfeffer sehr liebten. Erst wenige Jahrzehnte – die Forschung nennt das erste Jahrhundert – kannte man allerdings im Westen die von der indischen Malabarküste stammende Pflanze. Von dort übernahm man auch das Hindi-Wort »pippali« als Namenswurzel des römischen »piper«. Auch der byzantinische Herrscher Konstantin VII. Porphyrogennetos (913-959) soll eine Schwäche für Oliven, blanchierte Lorbeerblätter und – nicht weiter spezifizierte – indische Kräuter gehabt haben. Der Handel mit Gewürzen ist aber weit älter als der germanische Hunger nach Pfeffer oder die kaiserliche Koriander-Liebe.

Seine Geschichte erzählt etwa ein spektakulärer Fund der Unterwasser-Archäologie, der heute als »Uluburun-Wrack« bekannt ist. Vor rund 3300 Jahren sank das vermutlich aus dem Libanon kommende Schiff auf seiner Fahrt nach Norden. An Bord wurde neben wertvollen Kupferplatten auch Schwarzkümmel, Sumach und Koriander gefunden – allesamt bis heute wichtige Gewürzpflanzen der orientalischen Küche. Und auch die Kombination dieser Zutaten mit Früchten – im Falle der in Bodrum analysierten Funde waren es Granatäpfel – lässt sich früh nachweisen. Sie stammt aus Persien, das auch Trockenfrüchte wie Berberitzen oder Marillen in seinen Fleischgerichten favorisierte. 

Baharat für die Quitten

Von hier aus kam diese Kombination in die osmanische Hofküche. Lammragout mit Quitten (»ayvalı kuzu yahni«) ist ein Beispiel dafür, dass neben Thymian mit Baharat gewürzt wurde. Das erdig-vollmundige Kardamom-Aroma prägt Baharat, das im Arabischen nichts anderes als »Gewürz« bedeutet. Epizentrum dieser gehobenen Gewürzküche war für lange Zeit Persien, dessen Kochstil weithin ausstrahlte. Das Reisgericht »Pilaw« erwies sich etwa als wunderbarer Träger von Farbe und Geschmack des Safrans. Die arabische Expansion brachte diese Kombination im Mittelalter nach Spanien, wo daraus die Paella entstand, während am anderen Ende der Welt die Mogul-Küche das »Biryani« als indische Variante feierte. 

Vom iranischen Hochland in die Küchen dieser Welt: Anhand des Safrans lassen sich die »würzigen« Handelsbeziehungen wunderbar nachzeichnen.
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Vom iranischen Hochland in die Küchen dieser Welt: Anhand des Safrans lassen sich die »würzigen« Handelsbeziehungen wunderbar nachzeichnen.

Die Safran-Mengen der osmanischen Palastküche waren in der Nachfolge der Perser ebenfalls gewaltig – und sie haben sich in einem Verzeichnis erhalten: stolze 23 Kilogramm wurden in einem einzigen Monat des Jahres 1473 angekauft. An speziellen Tagen waren aber auch 10.000 Kavalleriesoldaten zu verpflegen, denen man das süße Safran-Reisgericht »Zerde« als Dessert servierte.

Gewürz-Trio im Mittelalter

Der Zugang zu den Basaren des Ostens – oder seine Unterbrechung durch Glaubenskriege mit den islamischen Kalifen – bestimmte aber auch den europäischen Speiseplan. So beruhte der Reichtum Venedigs im Jahre 1400 im Wesentlichen auf drei Gewürzen: Ingwer, Zimt und Pfeffer machten 93 Prozent des Cargo-Aufkommens von den Gewürzmärkten der Levante aus. Praktisch die gleiche Mischung findet sich in einem Klosterrezept aus Sankt Gallen bereits aus dem 9. Jahrhundert; Pfeffer, Costus (= Spiralingwer), Gewürznelken und Zimt dienten als Würze für Fischspeisen. Umso dramatischer war der Fall Konstantinopels für die mittelalterlichen Köche: Praktisch sofort explodierten die Gewürzpreise. Und Expeditionen mit Ziel Westindien wurden zu einem riskanten, aber auch einträglichen Projekt der Europäer: Der Hunger nach Pfeffer & Co. wurde mit zu einem Wendepunkt der Weltgeschichte

Unverzichtbar vom Kaffeegewürz bis zur Lamm-Tajine: Kardamom-Kapseln gehören zu  den typischen und traditionellsten Gewürzen der arabischen Welt.
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Unverzichtbar vom Kaffeegewürz bis zur Lamm-Tajine: Kardamom-Kapseln gehören zu  den typischen und traditionellsten Gewürzen der arabischen Welt.

Doch selbst mit der Entdeckung des Seeweges zu den Gewürzinseln konnte noch viel schief gehen. Rund zwei Jahre waren die Schiffe in der frühen Kolonialphase von Südostasien unterwegs nach Portugal, England, Frankreich oder in die Niederlande. Feucht gewordene Gewürz-Ladungen waren in Zeiten von Piraterie, Monsun-Stürmen und Schiffbrüchen noch die geringste Sorge. 

Ausgeladen wird in Aden

Die Risiken des Gewürzhandels unterschieden sich damit nicht wesentlich vom Schicksal David Maimonides, dessen Schiff am Weg von Aden nach Indien im Mai 1167 mit der gesamten Besatzung unterging. »Am Tag, als ich die traurige Nachricht erhielt, wurde ich krank und blieb ein Jahr im Bett«, notierte dazu sein Bruder, der berühmte Philosoph Moses Maimonides. Der Weg vom Jemen nach Indien und zurück stellte die lukrative Reiseroute dar, auf der die Frachtschiffe der islamischen Welt unterwegs waren.

Die Wege der orientalischen Gewürze sind historisch gut nachzuvollziehen, sie folgen aber keiner einfachen »aus dem Osten kam Geschmack«-Logik. So stammt zwar der Pfeffer – als eines der wichtigsten europäischen Gewürze des Mittelalters – aus Indien und machte die Bezeichnung »Pfeffersäcke« zum Synonym für Wohlhabende generell. Doch ein heute unverzichtbares Gewürz in Mischungen wie Ras el Hanout, Zhug und Currys nahm einen gänzlich anderen Weg: Die Chilischote war nämlich bis zur Entdeckung Amerikas im Osten unbekannt; erst Christoph Columbus brachte die von den Azteken »aji« genannte Pflanze nach Europa, von wo sie über die Portugiesen ihren Weg in die Kolonialstadt Goa fand. 

Die erste Fusion Cuisine

Richtig populär in der orientalischen Welt wurde der Scharfmacher erst im 18. Jahrhundert, so die Historikerin Lizzie Collingham (»The hungry empire«). Und es zeigt, wie sich die kulinarischen Kreise schließen. Denn nachdem die Köche aus Goa – sie verarbeiteten auch Schweinefleisch und Rind – in die britischen Dienste übertraten, weckten sie den Geschmack für Curry und Beef Vindaloo, eine Verkürzung des portugiesischen »carne de vinho e alhos«. Womit diese frühe arabisch-amerikanische Fusionsküche in Indien am Anfang einer Entwicklung stand, der sie im 20. Jahrhundert das englische Nationalgericht Chicken Curry verdankt. Ohne die Gewürzhändler, von denen die Souks von Istanbul, Marrakesch oder Doha noch ein farbenprächtiges Bild geben, wäre diese kulinarische Entwicklung ebenso wenig denkbar wie manch hippes Streetfood. Denn was wären wohl Falafel ohne die Gewürzmischung Zatar? Oder auch Kebap ohne die pikanten Pul Biber-Flocken?


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Ras el Hanout – Die Chef-Sache

Unverzichtbar in allen Maghreb-Staaten ist diese komplexe Gewürzmischung, die um die 20 einzelne Komponenten umfasst. Es geht um eine geschmacklich zart scharfe, aber auch duftige Mischung. Denn als Allround-Würze verleiht »Ras el Hanout« etwa dem Couscous Geschmack und Geruch. Der Name bedeutet »Chef des Ladens« und spielt darauf an, dass die besten Gewürze im Basar verbunden wurden. In der Regel bilden den Kern Kurkuma, Macis, Bockshornklee, Fenchelsaat, Anis, Koriander, Kreuzkümmel, Paprika, Ingwer, Zimt und Pfeffer. 
Je nach Land variiert diese Mischung – generell eignet sie sich aber für Huhn ebenso wie für Lamm (auch als Marinade), die Farbe ist etwa in Marokko Indikator für die Schärfe, man unterscheidet das gelbe und mildere vom roten und pikanteren »Ras el Hanout«. Doch am Ende gilt wie so oft auch hier: der Chef macht den Mix!


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Zhug – Jemens scharfes »Pesto«

Als Mittelding aus dem argentinischen Chimichurri und Pesto Genovese darf man sich den Beitrag zur zeitgenössischen Küche aus der alten Gewürzhochburg Jemen vorstellen: Chili wird mit einer Mischung aus Koriander (Samen und Blätter), Kardamom und Knoblauch zu einer Paste auf Basis von Olivenöl und Zitronensaft gemixt. Mittlerweile kommt dieser komplexe und scharf-frische Dip – in seiner Heimat auch als »sahawiq« bekannt – über die israelische Streetfood-Küche weltweit in Mode. Jemenitische Juden brachten die arabische Mischung mit und sorgten für den Siegeszug der »arabischen Hot Sauce mit viel Kräutern«, wie sie der Schweizer Gewürzhändler Beat Heuberger treffend nennt. Der Zürcher empfiehlt sie »zu gekochtem Gemüse, als Sauce zu Tisch und insbesondere für Pita, Kebab, Falafel und Gegrilltes«.


Roland Graf
Autor
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