Der sächsische Mater of Wine Janek Schumann (li) schaut Weinbergmeister Peter Rudloff interessiert zu.

Der sächsische Mater of Wine Janek Schumann (li) schaut Weinbergmeister Peter Rudloff interessiert zu.
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Juliusspital stellt um auf »sanften Rebschnitt«

Das fränkische Weingut überdenkt das »wie« beim Rebschnitt und ändert seine Methode.

Im Winter werden die Reben geschnitten, das weiß in einem Weinbaugebiet jedes Kind. Über die Notwendigkeit des Schnitts gibt es kaum Kontroversen – über das »wie« jedoch schon. Denn Fachleute vermuten, dass ein falscher Rebschnitt beispielsweise zur Esca-Erkrankung des Rebstocks führen kann – und damit allzu oft zu seinem Absterben.
Schneegriesel. Ein kühler Wind bläst Peter Rudloff kleine Körnchen ins Gesicht. Doch der Außenbetriebsleiter des historischen Würzburger Juliusspitals ist davon nicht zu beirren. Rebstock um Rebstock nimmt er in den Blick, betrachtet ihn von allen Seiten, überlegt kurz und setzt dann einen beherzten Schnitt, und noch einen. Dann schreitet er einen Meter hangabwärts und wiederholt seine Tätigkeit. Auch wenn er die Schere etwas kräftiger anpacken muss, verliert Rudloff nicht die Balance, hier im Steilhang der berühmten Lage Würzburger Stein.

Mit normaler Handschere gegen Esca

»Es ist ganz wichtig, eine normale Handschere zu verwenden, denn die pneumatischen Scheren bringen größere Wunden hervor. Und sie verleiten auch dazu, ins ältere Holz zu schneiden, weil alles so schön einfach geht«. Rudloffs Rückgriff auf das eigentlich schon ausrangierte Handwerkszeug kommt nicht von ungefähr. Wie viele andere Winzer stellte er im letzten Jahrzehnt fest, dass die Rebstöcke schneller krank werden als früher. Gerade die älteren Reben, die so wertvoll sind für die Weinqualität, setzen plötzlich aus, bekommen mitten im Sommer gelbe Blätter, tragen keine Frucht mehr oder verkümmerte Beeren, und sterben ab. »Esca« – »Zunder« – heißt die geheimnisvolle Krankheit, die im Gleichschritt mit global warming von Südeuropa aus immer weiter nach Norden gewandert ist. Die Wissenschaft vermutet, dass Pilzinfektionen für den Ausbruch der Krankheit wesentlich sind. Möglicherweise ist es eine ganze Abfolge von Pilzen, die dem Stock zusetzt und ihn schließlich niederringt. Nur eine einzige Art von Eintrittspforte indes ist groß genug, um eine solche Dynamik zu erklären: die vom Rebschnitt zurückbleibenden Wunden.

»Sanfte« Schnitt-Technik

In Süditalien fiel Winzern auf, dass die als Buschreben erzogenen, weniger kräftig zurückgeschnittenen Reben auch weniger anfällig für Esca sind. Der Winzer Mario Schiopetto aus dem Friaul motivierte daraufhin zwei Rebbau-Experten, die Auswirkungen verschiedener Schnitt-Methoden zu untersuchen. Seit 2003 entwickelten Marco Simonit und Pierpaolo Sirch daraufhin ihre »sanfte« Schnitt-Technik, die darauf zielt, einen möglichst ungehinderten Saftfluss im Stock zu gewährleisten. Intaktes Holz wirke wie ein Akku für die Lebenskräfte des Stocks, so hat auch Rudloff bemerkt. »Große Schnittwunden aber bilden Engpässe. Die Folge ist eine Austrockung im Holz, obwohl der Stock von außen zunächst noch »normal« aussieht.«

MRT für Rebstöcke

Da das Juliusspital natürlich nicht nur ein Weingut, sondern in erster Linie auch Klinikum ist, bat Rudloff die Ärzte der dortigen Radiologie um Amtshilfe. Mit ihrer Hilfe konnte eine Reihe von Rebstöcken in einem MRT-Gerät untersucht werden. Die Magnetresonanztomographie, die normalerweise dazu dient, schnittartige Bilder von menschlichem Gewebe zu erzeugen, diente nun dazu, ins Innere eines Rebstocks zu schauen. Und die Juliusspital-Ärzte konnten im Bild nachweisen, dass äußerlich »normal« aussehende Stöcke teils gesund waren und intakte Saftbahnen aufwiesen, teils erkrankt mit den typischen Engpässen und ausgetrockneten Stellen.

Langfristig gesunde Rebstöcke

Vor sechs Jahren begann Peter Rudloff mit den ersten Experimenten in Sachen Rebschnitt nach Simonit & Sirch. Seit drei Jahren treibt er die Umstellung in großem Stil voran. Alle Mitarbeiter des Juliusspitals, das mit nahezu 180 Hektar einer der größten Weinbaubetriebe Deutschlands ist, werden darauf geschult, möglichst kein älteres als zweijähriges Holz anzuschneiden. Auch werden die Schnitte immer nach oben gesetzt, nach dem Motto »unten Natur, oben Kultur«. So sollen die Wunden klein gehalten werden, und die Schenkel des Stocks wachsen nur sehr langsam in die Breite. Die Hoffnung ist, dass die Stöcke dadurch sehr lange gesund gehalten werden können, 40 Jahre und länger. In Italien sind umfangreiche Forschungsprojekte im Gange, um den Erfolg dieser Maßnahmen zu überprüfen. Rudloff indes ist davon überzeugt, dass das System funktioniert. Denn fundamental neu sei die Methode von Simonit und Sirch ohnehin nicht: »Bei unseren Schulungen haben wir eines festgestellt: Ältere Winzer – solche, die schon vor Beginn der Mechanisierung im Weinbau ihr Handwerk gelernt haben – die verstehen sofort, was gemeint ist.«

www.weingut-juliusspital.de

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland