Jenseits von Bussi-Bussi und Business

Schlutzkrapfen, indonesische Reistafel, frische Fische statt Krokodil und Schlange. Und am Schluss noch ein »Grosses Gewächs«.

Kitzbühel
Mehr Münchner als Einheimische, mehr Bussi-Bussi als beim Bayerischen Filmpreis und mehr Top-Restaurants als in allen deutschen Wintersportorten zusammen – das ist Kitzbühel, wie es leibt und lebt. Ob Weihnachts- oder Osterurlaub, ob Hahnenkammrennen oder Karneval, bei Bobby Breuer im Petit ­Tirolia oder bei Stefan Hofer im Neuwirt drängen sich Promis und alle, die es noch werden wollen, um die wenigen Tische.

Trotzdem gibt es kulinarische Klagen: »Kennst du ein richtiges Wirtshaus in Kitz?«, fragt mich ein deutscher Sternekoch am Telefon. »Ich möchte es mit den Kindern ein bisschen gemütlich haben …« Da hat er schon recht, der Anrufer. Bei aller Gabel-, Sterne- und Haubenpracht sind in Kitzbühel die Tiroler Wirtshäuser im Aussterben begriffen. Zu hohe Mieten, zu viel Sai­son­küche, da tut sich ein guter Gastwirt schwer. Man muss schon ein wenig aus Kitzbühel raus, um eine gemütliche Wirtshausküche zu finden.

Nach Jochberg etwa, zur Familie Aufschnaiter: In ihrer Bilderbuch-Stube »Bärenbichl« ­servieren Senior und Junior herrlich einfache Tiroler Kost. Also Schlutz­krapfen, Gröstl, Schweinsbraten und Moosbeer-­Nocken, »wie es sich gehört«. Und wenn’s zum Abschluss vom Wirt ­einen selbstgebrannten Vogelbeerschnaps gibt, ist die Welt in Or­dnung.

20 Minuten östlich von Kitzbühel liegt der kleine Ort Going, bekannt durch das von Beckenbauer, Klitschko und Co. frequentierte Hotel Stanglwirt. Aber mein Interesse gilt dem urigen Wirtshaus »Lanzenhof« am Hauptplatz der 2000-Seelen-Gemeinde. Der Heisingerbauer und der Bichlbauer von nebenan liefern das Fleisch für Schweins- und Kalbshaxe, auch die Enten kommen aus der Umgebung. Wirt Toni Pirchl verfügt über einen exzellenten Weinkeller mit österreichischen Kreszenzen und erfüllt auch sonst jedes Klischee. Gemeinsam mit seinem Vater musiziert er mit der Ziehharmonika am späten Abend in der guten Stube – und zwar nicht wegen der Touristen, sondern weil’s ihm Spaß macht.

Ehrlich gesagt, bei aller Liebe zur Sterneküche, so ein gemütliches Wirtshaus tut richtig gut …

Amsterdam
Erwartungsgemäß weniger ge­mütlich ist meine Konferenz am nächs­ten Tag in einem Amsterdamer Hotel. Und am Abend, im auf modern und hip getrimmten Hotel-Restaurant, gibt’s wie immer Thunfisch-Tatar, Jakobsmuscheln und Schokoladekuchen. Ich halte mich zurück, mich gelüstet es nach etwas anderem: Aufgrund der Kolonial-Vergangenheit gibt’s in Holland die beste indonesische Küche westlich von Jakarta. Und in Ams­terdam die beste Reistafel.

Es ist schon 23 Uhr. Gibt’s noch was, frage ich in meinem Lieblingslokal »Tempo Doeloe« (was so viel heißt wie »Gute alte Zeiten«). Antwort: Ja, wenn ich
in den nächs­ten 20 Minuten eintreffe, dann warten 25 Schälchen, die ­traditionelle Reistafel, auf mich. Vom Schweinefleisch in Sojasauce über Beef mit Koriander, Chicken in Tomatensauce bis zum teuflisch scharfen Coconut Beef koste und kämpfe ich mich durch das üppige Angebot.

Verantwortlich für diese Köstlichkeiten ist seit fast 30 Jahren Köchin Ellen, die in der Zwischenzeit über 70 sein müsste. Sie ist letztes Jahr in Rente gegangen, ­erfahre ich. Ihr Souschef Faris aus Java hat übernommen. Ellen schaut nur noch ab und zu vorbei und stellt sicher, dass alles so schmeckt, wie sie es kreiert hat.

Richtig, alles schmeckt so wie immer im »Tempo Doeloe« an der Utrechtsestraat: keine Modernismen, alles wunderbar altmodisch und trotzdem gut. Manchmal muss man nicht mit der Zeit gehen.

Hongkong
Das gilt allerdings nicht fürs Fliegen. Da wünsche ich mir den letzten Stand der Technik. Zum Beispiel auf dem Flug von Frankfurt nach Hongkong in einer alten ­Boeing 747. Dort läuft als einziges Entertainment in der Economy-Class ein drittklassiger Film über den schon leicht vergilbten Overhead-Monitor.

Mit drei Kindern im Schlepptau und dem neunstündigen Flug vor Augen packt mich die Panik. In weiser Voraussicht hat meine liebe Frau einen tragbaren DVD-Player plus Filme im Handgepäck mitgenommen. ­Warum schafft es meine geliebte Lufthansa nicht endlich, alle Maschinen so umzurüsten wie die Kon­kurrenz aus Europa, den Golfstaaten und aus Fernost?

Vorbildliche Kinderbetreuung erwartet uns dann im Mandarin Oriental in Hongkong, wo für ­jedes der drei ein kleines Geschenk auf dem Bett liegt. Die Dreijährige freut sich über einen Rucksack, die Neunjährige über ein lustiges T-Shirt, und der 14-Jährige zieht bereits am Abend mit seinem neuen Baseball-Cap durch die Stadt. Jetzt weiß ich, warum die Mandarin-Oriental-Leute bei der Buchung unbedingt das Alter der Kinder wissen wollten.

Mit der Dschunke durchs Chinesische Meer, Besuch im »Hong Kong Disneyland«, der chinesische Night Market mit all seinem Kitsch – die Kinder sind begeistert. Aber der Höhepunkt ist ein Abstecher nach Guangzhou, dem alten Kanton, zweieinhalb Stunden mit dem Zug von Hongkong entfernt. Sightseeing in Rotchina, aber die wahre Attraktion ist ein riesiges Restaurant am Ufer des Pearl River. Im »Dongjiang« (keine Ahnung, was das bedeutet) gibt es keine Speisekarte, sondern »nur« 47 Aquarien und Terrarien.

Dort drinnen tummelt sich alles, was das Meer bevölkert: Krabben (acht verschiedene), Fische (gezählte 13 Arten), Muscheln (von der Abalone bis zur Seeschnecke) – aber auch Krokodile, Schlangen, Wasserkäfer, Skorpione und viel Interessantes bis Grausiges mehr. Bestellt wird durch einfaches Zeigen mit dem Finger. Wir bestaunen zwar Krokodil und Exoten, ziehen aber doch herkömmlichen Fisch vor, der dann in den drei Grundarten – gekocht, gebraten mit Knoblauch oder gegrillt mit Chili – zubereitet und serviert wird.

Sechs Gänge für vier Personen, alles zusammen für 120 Euro, da kann man nicht meckern. Und zu Hause haben die Kinder was zu erzählen, vom »verrücktesten Res­taurant der Welt«.

Köln
Wieder daheim am Rhein. Der VDP lädt zu einer Verkostung der neuen Rieslinge, und zwar der »Grossen Gewächse«, ins Hotel Excelsior. Bei dem Kürzel VDP muss ich jedes Mal an eine Partei denken oder an einen Interessenverein. Tatsächlich gibt es diese Abkürzung laut Google ­so­wohl für den Verband der Pudelfreunde als auch für den Verlag Deutscher Polizeiliteratur oder den Verband Deutscher Puppentheater. In unserem Fall handelt es sich natürlich um den Verband Deutscher Prädikatsweingüter mit 100-jähriger Tradition. Insider beteuern, dass es unmöglich ist, bei dieser ­Interessen- und Mitgliedervielfalt einen neuen Namen oder ein neues Logo zu kreieren. Egal. Die »Grossen Gewächse« 2009 sind sensa­tionell gut.

Ich trinke mich quer durch den deutschen Weinadel von Christ­mann zu Mosbacher (Pfalz), von Wittmann zu Becker (Rheinhessen) und von Dönnhoff zu Diel (Nahe). Fast 500 Besucher tun es mir gleich, so wie zuvor und später in Berlin, Hamburg und München. Deutscher Wein wird endlich »in«.

Seit 15 Jahren verstehe ich mich trotz meines »Einwandererstatus« als Botschafter des deutschen Weins. Würden die deutschen Weinfreunde, so predige ich, ihren ge­liebten Pinot Grigio von oft minderer Qualität gegen die hervor­ragenden einheimischen Kreszen­zen eintauschen, wäre der deutsche Wein-Boom perfekt. Freund und Winzer Armin Diel macht mir Hoffnung: »Ich habe bei Verkostun-
gen vom Rheingau bis nach Berlin mitgemacht – da haben Tausende Leute je 20 Euro pro Kopf bezahlt, um dabei sein zu können. Das ist doch ein gutes Zeichen!« Den deutschen Winzern wär’s zu wünschen.

von Hans Mahr

Aus Falstaff Nr. 02/2011

BESCHRIEBENE LOKALE:

Bärenbichl

Bärenbichlweg 35
6373 Jochberg, Österreich
T: +43/(0)5355/53 47
www.baerenbichl.at


Lanzenhof
Dorf 23, 6353 Going, Österreich
T: +43/(0)5358/35 34
www.lanzenhof.at


Tempo Doeloe

Utrechtsestraat 75
1017 VJ Amsterdam, Niederlande
T: +31/(0)20/625 67 18
www.tempodoeloerestaurant.nl


Dongjiang Seafood Restaurant
199, Yanjiang Road
Guangzhou, Guangdong, China
T: +86/(0)20/83 36 81 81

Hans Mahr
Autor