Nathan Myhrvold erkundet die Kunst des Kochens anhand wissenschaftlicher Grundlagen.

Nathan Myhrvold erkundet die Kunst des Kochens anhand wissenschaftlicher Grundlagen.
© Scott Heimendinger

Interview: Was passiert beim Backen?

Nathan Myhrvold hat ein neues Buch über die wissenschaftlichen Grundlagen beim ­Backen geschrieben. Ein monumentales Werk mit vielen überraschenden Fakten.

Falstaff Ihr Buch wird 2200 Seiten haben, genauso viele wie »Modernist Cuisine«. Da­­rin ging es ums Kochen an sich, um unzählige Techniken und Zutaten, das neue Buch handelt nur von Brot – wie ist das möglich?
Nathan Myhrvold »Nur Brot« ist ein erstaunlich breites Feld. Die meisten Menschen haben historisch den Großteil ihrer Kalorien von Brot bekommen. Während dieser langen Geschichte haben die Menschen eine Unzahl verschiedener Brote entwickelt. Und Backen, also die Verwandlung von Weizen in Mehl in Brot, ist ein ziemlich magischer Prozess, ein technologischer Prozess, ein wissenschaftlicher Prozess. Das Endergebnis sieht komplett anders aus, schmeckt komplett anders und greift sich total anders an als das Ausgangsmaterial. Kurz: Wir dachten anfangs auch, dass das Buch viel kürzer wird. Wir haben uns geirrt. 
Denken Sie, dass Wissenschaft und Technologie helfen können, die Lücke zwischen handwerklichem, qualitativ hochwertigem Brot und industriell hergestelltem Brot zu schließen?
Wissenschaft und Technologie sind immer deine Freunde, ganz egal, wie und in welcher Größenordnung du Brot bäckst. Als wir »Modernist Cuisine« geschrieben haben, hat mich ein Journalist gefragt: »Warum haben Sie es für eine gute Idee gehalten, die Wissenschaft in die Küche zu bringen?« Und ich habe gesagt: »Guter Mann, die Wissenschaft war immer schon in der Küche. Alles unterliegt den Gesetzen der Natur, sogar die Küche.« Die Frage ist daher mehr: Sollten wir die Wissenschaftsignoranz in der Küche lassen? Es gibt so viel Folklore und Mythen ums Backen, die einfach geglaubt und niemals überprüft werden. Manche stimmen, aber sehr viele sind Unsinn.
Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?
Ein Beispiel wäre das Kneten des Teiges. Die meisten Menschen glauben, dass du den Teig kneten musst, um das Gluten in ihm zu entwickeln. Aber es gibt auch das sogenannte No-Knead-Bread aus einem Teig, der nicht geknetet wird, und wir zeigen in unserem Buch, dass diese Methode etwa 100 Jahre alt ist. 2006 wurde sie in der New York Times vorgestellt, das hat damals für eine kleine Sensation gesorgt. Aber alle professionellen Bäcker haben gesagt: »Ach was, das ist einfach ein seltsames Spezialrezept für Heimbäcker, das das allgemeine Gesetz nicht ändert.« Was für ein Unsinn! Das ändert alles! Es hat sich herausgestellt, dass sich genug Gluten ganz von allein bildet, wenn Mehl nass wird und man nur ein bisschen wartet.
Es gibt also noch viel zu lernen?
Es gibt extrem viel zu lernen über Brot, und auch nach diesem gigantischen Buch wird noch jede Menge übrig sein. Wie Sie vielleicht wissen, hatten wir dank Christoph Ströck ein echtes Aha-Erlebnis mit Roggenmehl. Christoph hat uns hier in unserem Labor besucht und uns ein wenig von seinem Mehl in unser Labor in die USA mitgenommen. Und, Gott, das Mehl hatte überhaupt nichts gemeinsam mit dem Mist, den wir hier bekommen. Das hat mir ganz klar gezeigt: ­In den USA gibt es kein brauchbares Roggenmehl. Folglich bekommst du auch nirgendwo gutes Roggenbrot, es ist alles Mist.   
Nach vielen Jahren der Brotforschung: Was ist Ihr Rat an Heimbäcker?
Üben, üben, üben! Beim Brotbacken ist es ­sehr wichtig zu lernen, wie der Teig zu einem bestimmten Zeitpunkt aussehen und sich anfühlen soll – etwa, ob er genug aufgegangen ist. Mein Buch wird ein 20-Kilo-Buch über Brot. Wenn Sie auch ein Heimbäcker sind, sollten Sie es auf jeden Fall kaufen. Aber Sie sollten ebenfalls 20 Kilo Mehl kaufen, nach und nach verbacken und von jedem Brot ein bisschen lernen. Sie werden nachher ein viel besserer Bäcker sein.


Biografie:

Nathan Myhrvold (58) war Microsofts Chief Technology Officer und Bill Gates’ engster Mitarbeiter – sein Chef bezeich­nete ihn damals als den intelligentesten Menschen, der ihm je begegnet sei. Nach seinem Abgang bei Microsoft richtete er sich in Washington ein eigenes Kochlabor ein, engagierte ein Team aus Köchen und Wissenschaftlern und brachte 2011 das moderne Standardwerk der Kochkunst, »Modernist Cuisine« heraus. Nun hat er sich dem Backen zugewandt.
Sein neues Buch »Modernist Bread« soll noch in diesem Jahr erscheinen und für Bäcker das tun, was »Modernist Cuisine« für Köche getan hat: die wissenschaftlichen Grundlagen hinter ihrem Handwerk erklären. Auch Österreich leistete einen Beitrag: Christoph Ströck reiste bereits 2015 mit dem Ströck-Chefbäcker Pierre Reboul in die USA und brachte Myhrvold in seinem Labor einiges über Roggenmehl bei.


© Modernist Cuisine LLC

BUCHTIPP

»Modernist Bread: The Art and Science«
Nathan Myhrvold
Preis: EUR 525,– 
ISBN 978-0982761052
Phaidon Verlag (2017)  

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2017

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