Bei den Tastings ist höchste Konzentration angesagt.

Bei den Tastings ist höchste Konzentration angesagt.
© Falstaff/Sautter

International Riesling Symposium im Rheingau – Tag 2

Zwei prall gefüllteTage im Zeichen des Riesling – der Abschluss brachte Hagel, Aufreger und einen großen Auftritt für Österreichs Rieslinge.

Kloster Eberbach, 1136 von Zisterziensermönchen gegründet und heute im Besitz des Bundeslands Hessen, bot einen würdigen Rahmen für die Zusammenkunft von rund 250 Riesling-Enthusiasten aus aller Welt: Von Winzern, Sommeliers, Forschern und Journalisten. Dabei schaffte es das abwechslungsreiche Programm an zwei Tagen, die verschiedensten Arten von Informationshunger zufrieden zu stellen.

Dienstagmorgen: Aufreger und Hagel

Den Aufreger des zweiten Tages lieferte Dr. Hermann Pilz vom Branchenblatt »Weinwirtschaft«, der in seinem morgendlichen Vortrag die – seiner Meinung nach große – Bereitschaft der Winzer geißelte, den Riesling mit Süße zu schminken. Gelten lassen möchte Pilz nur dezidiert edelsüße Weine aus hochreifen Beeren sowie komplett trockene, durchgegorene Weine. Leider ging aus Pilz' Vortrag nicht eindeutig hervor, ob er auch fruchtige Kabinett- und Spätlese-Weine in seine Kritik und den Vorwurf einbezieht, dass viele Erzeuger mit »gesüßten Weinen« einer ohnehin nicht an Wein interessierten Klientel nachliefen.

So substanzreich dieser Vorwurf vielen Billig- und Markenweinen gegenüber wäre, so deplatziert erschien er jedoch bei der Eberbacher Tagung gegenüber der Gruppe von Spitzenwinzern. Zudem ist Pilz' Behauptung, dass es vor Erfindung des Entkeimungs-Filters in den 1910er-Jahren mangels Möglichkeit zur kaltsterilen Abfüllung keine restsüßen Weine gegeben habe, zumindest eine arge Übertreibung: Denn die Erfindung der Spätlese wird allgemein auf das Jahr 1775 datiert – und vieles spricht dafür, dass man vor diese Jahreszahl ein »spätestens« setzen muss. Last not least: Dass Spontangärungen ohne den Einsatz von Reinzuchthefen sehr häufig einen Zuckerrest von 10 Gramm oder mehr unvergoren lassen, dies wissen heutige Adepten der historischen, früher alternativlosen Weinbereitung nur allzu gut.

Schauplatz der großen Verkostung war das Kloster Eberbach.
© Falstaff/Sautter
Schauplatz der großen Verkostung war das Kloster Eberbach.

Das erste Tasting des Dienstags war von Stephan Reinhardt vorbereitet worden. Der Beauftragte Robert Parkers für Deutschland und Österreich musste jedoch kurzfristig seine Teilnahme an der Konferenz absagen, so dass Önologe und Wein-Blogger Dirk Würtz an Stelle Reinhardts der Frage nachging, ob den Naturgegebenheiten des terroir oder der Handschrift des Winzers der größere Einfluss auf den Wein zuzuschreiben sei. Angesichts des während des Tastings niedergehenden Gewitters rückte das Thema der Verkostung rasch in den Hintergrund: In kürzester Zeit zirkulierten in den sozialen Medien Fotos von Hagelkörnern in Walnuss-Größe, die in der Nähe aufgenommen worden waren. Die Rheingauer unter den anwesenden Winzern saßen sichtbar auf glühenden Kohlen – umso mehr, als die Region auch gerade vom Frost schwer gebeutelt wurde.

Nachmittag: Bemerkenswerte Weinhistorie

Die Nachmittagssitzung eröffnete Dr. Daniel Deckers von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit einem weinhistorischen, aber alles andere als trockenen Vortrag über die Wahrnehmung von Rheingau- und Moselweinen im 19. Jahrhundert. Unter der Präsentation zahlreicher illustrativer Archivfunde stellte Deckers dar, dass der Wein aus dem Rheingau zu Beginn des 19. Jahrhunderts von einigen Quellen mit dem weißen Bordeaux aus Graves verglichen wurde: Also schmeckte er offenbar trocken. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts habe sich sein Stil dann immer stärker in Richtung süßer Auslese entwickelt, zumindest bei jenen Weinen, die es zu einer internationalen Verbreitung brachten. Zu dieser Entwicklung habe auch beigetragen, dass mit der Pasteurisierung ein Verfahren entdeckt worden war, den Wein trotz seiner Süße haltbar zu machen.

Der Mosel-Riesling wiederum betrat erst nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 die internationale Bühne: Erst durch den Bau der Eisenbahn von Metz nach Koblenz stand ein bequemer und zuverläßiger Transportweg aus den Anbaugebieten in die Handelszentren am Rhein zur Verfügung. Mit dem Aufkommen der leichten Moselweine seien die Rheingauer Rieslinge dann plötzlich als altmodisch wahrgenommen worden. Die Mosel jedoch befand sich in größter Übereinstimmung mit dem – wie ein Kommentator vom Ende des 19. Jahrhunderts schreibt –  »flüchtigen und oberflächlichen Zeitgeist«. Der Autor dieser Kennzeichnung – auch dies bemerkenswert – legte zudem großen Wert auf die Feststellung, dass er die Attribute »flüchtig und oberflächlich« als positive Eigenschaften verstanden haben mochte.

Abschließende Überraschung aus der Steiermark

Bei der abschließenden, von Joel Payne gemeinsam mit mehreren Winzern moderierten Blindprobe zum Thema »Reifevermögen« hatten Österreichs Rieslinge einen großen Auftritt: Dabei brillierte die floral duftende, mineralisch-volle 2010er Heiligenstein Reserve vom Langenloiser Weingut Jurtschitsch ebenso wie der delikate 2007er »Tradition« von Schloss Gobelsburg, oder der in seiner eindringlichen Saftigkeit äußerst elegant wirkende 2008er Ried Schütt Smaragd von Emmerich Knoll und der packend dichte, lange mineralisch im Gaumen bleibende 2004er Singerriedel Smaragd von Franz Hirtzberger. Durchaus kontrovers diskutiert wurde der extraktreiche, aber auch deutlich von Botrytis markierte 2010er Kellerberg Smaragd von F.X. Pichler. Eine Riesenüberraschung kam schließlich aus der Steiermark: Dass von dort ein so reicher, Stoff und Cremigkeit perfekt balancierter Riesling kommen könne wie der 2011er Ried Edelschuh aus dem Weingut von Gerhard und Maria Wohlmuth, damit hatte kaum ein Besucher der Tagung gerechnet.

Überraschende Blindprobe

Eine besondere Pointe ergab sich gegen Ende der Verkostung, als Wilhelm Weil als Podiumsteilnehmer turnusmäßig die Aufgabe zufiel, einen Wein zu kommentieren: In diesem Fall einen fulminant frischen Riesling, der im Duft mit jodigen Aromen und komplexer Würze für sich einnahm, am Gaumen mit subtilem Spiel. Die Auflösung der Blindprobe zeigte, dass es sich um den 1997er Rauenthaler Nonnenberg von Bernhard Breuer handelte – um einen Wein aus exakt jener Lage, die 1998 zum Zankapfel bei der Klassifikation des Rheingaus wurde. Weil warf damals seinen Einfluß zugunsten einer Geisenheimer Studie in die Waagschale, die dem Nonnenberg aufgrund mäßiger Wärmesummen die Klassifikationswürdigkeit absprach. Breuer, bis zu diesem Punkt ein führender Architekt des Cru-Gedankens im deutschen Weinbau, verließ daraufhin den VDP. Es war Weil anzusehen – und das ehrt ihn – dass er sich nach der Aufdeckung der Identität des Weines nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte.

Das International Riesling Symposium endete mit tosendem Applaus als Dank an die Organisatoren, und mit ebenso großer Dankbarkeit für alle teilnehmenden Weingüter, die tief in ihre Schatzkammern gegriffen hatten, um den zweitägigen Kongress zu einem ebenso kurzweiligen wie bereichernden Erlebnis werden zu lassen – und zu einem wahren Genuss.

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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