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Inselweine aus New York

Was den wenigsten Besuchern New Yorks bewusst ist: Die Ostküstenmetropole ist eine echte Weinstadt. Falstaff besuchte das »kleine Bordeaux« der USA in Long Island.

Long Island ist eine lang gestreckte Insel im Osten von New York City. Sie ist dicht besiedelt und weist bei einer Länge von 190 Kilometern eine Einwohnerzahl auf, die knapp unter jener der Schweiz oder Österreichs liegt. Überquert man den East River in Manhattan, befindet man sich bereits auf Long Island, auch die Flughäfen JFK und LaGuardia sind auf der Insel.
An der Atlantikküste liegen der Jones Beach State Park, Fire Island und der Montauk Point State Park, der Standort des pittoresken Montauk Point Lighthouse aus dem späten 18. Jahrhundert. In den Hamptons findet man Ortschaften, die für ihre eleganten Häuser, angesagten Restaurants und Antiquitätenläden bekannt sind, und am östlichen Ende der Insel befindet sich North Fork mit zahlreichen Weingütern.
Früher tummelten sich hier Künstler, Exzentriker und Industriemagnaten, die prächtige Ansitze hinterließen, heute sind es Großstädter, Familien und Touristen, die sich an den prächtigen Stränden und zahllosen Golfplätzen eine Auszeit vom hektischen Stadttreiben gönnen.
Neben der allgemeinen Weinbauregion Long Island AVA (American Viticultural Area) wurden zwei weitere Anbaugebiete klassifiziert. North Fork of Long Island liegt im östlichen Teil des Verwaltungs­gebiets Suffolk County und umfasst die nördliche Halbinsel an der nordöstlichen Spitze von Long Island. Die Weinberge der südlichen Halbinsel sind in der The Hamptons, Long Island AVA zusammengefasst.

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North Fork of Long Island ist Heimat von mehr als 30 Weingütern, die heute über 1200 Hektar Rebfläche bewirtschaften. Das Mikroklima der Weingärten wird dabei von den Wassermassen des Atlantischen Ozeans, des Long Island Sound und der Peconic Bay positiv beeinflusst. Die Wachstumsperiode der Reben ist in diesem Teil des Bundesstaats circa einen Monat länger als in anderen Regionen. Dies ermöglicht den Anbau der aus dem Bordeaux bekannten Rebsorten Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc.
In den kühleren Zonen von Long Island gedeihen hingegen Weißweinsorten wie Chardonnay, Sauvignon Blanc und sogar Riesling in bemerkenswerter Qualität – und so hat sich unmittelbar vor den Toren New Yorks eine lebendige und stetig wachsende Weinwirtschaft etabliert.
Dabei hat die Geschichte gar nicht so vielversprechend begonnen. Denn bis zum Jahr 1973 waren auf Long Island alle Versuche, den Weinbau in kommerzieller Form zu betreiben, durchweg fehlgeschlagen – bis die Quereinsteiger Alex und Louisa Hargrave im nordöstlichen Teil der Insel auf das richtige Plätzchen stießen und Hargrave Vineyard gründeten. Innerhalb von fünfzehn Jahren harter Arbeit konnten sie aufzeigen, dass einiges Potenzial im Weinbau steckt, und motivierten so weitere Enthusiasten, es ihnen gleichzutun. Das Winzerpaar trennte sich schließlich 1999 und verkaufte das Weingut an Prinz Marco Borghese, der 2014 bei einem Autounfall verstarb. Das Weingut heißt nun Castello di Borghese und wird von Giovanni und Allegra Borghese, zwei Kindern des Prinzen, geführt.
Louisa Thomas Hargrave gründete eine Weinconsulting-Firma, wurde Direktorin des »Stony Brook University Center for Wine, Food and Culture« und gilt heute als die Doyenne der Weinszene auf Long Island.

Qualitätsweine vs. Partyzone

Grundsätzlich lassen sich die Weingüter der Insel in zwei Gruppen unterteilen. Jene, die es kompromisslos auf Topqualitäten anlegen, sowie jene, deren Fokus sich auf die Bewirtung der zahlreichen Touristen richtet, die tagtäglich an ihre »cellar door« klopfen. Klarerweise gibt es darunter auch welche, die beides abzudecken imstande sind, denn für Besucher sind hier alle Weingüter offen und der Ab-Hof-Verkauf macht einen beträchtlichen Teil des Absatzes aus. Dazu kommt, dass viele Betriebe auch als Eventlocations fungieren, weil sich mit Hochzeiten, Partys und Familienfeiern zusätzliches Publikum anlocken lässt. Der Besuch im 1919 gebauten ehemaligen Bauernschuppen von Bedell Cellars in Cutchogue in North Fork zählt zu den Highlights eines Long-Island-Weintrips. Mehrfach unter die besten 25 Tastingrooms der USA gewählt, können hier die exzellenten Weine in wunderbarer Atmosphäre genossen werden.
Kip und Susan Bedell haben hier 1980 ihre ersten Reben gepflanzt, Kip wurde später vom Magazin »The Wine Spectator« als »Mr. Merlot« geadelt. Im Jahr 2000 wurde das Weingut an den Filmproduzenten und Kunstsammler Michael Lynne verkauft, der hinter Welterfolgen wie »Sex and the City« und »Herr der Ringe« steht. Das erfolgreiche Weingut wird heute von Trent Prészler geleitet, der auch als Chairman der Wine­America fungiert, Kellermeister ist seit über 30 Jahren Rich(ard) Olsen-Harbich. Zum Weingut gehört auch der besuchenswerte Tap Room von Corey Creek Vineyards in Southold.
Legendär ist das Weingut Channing Daughters in Bridgehampton in South Fork. Der 2015 im Alter von 74 Jahren verstor­bene Gründer des Weinguts, Walter Channing Jr., war ein ausgesprochen vielseitiges Talent. Er stammte aus einer alteingesessenen Familie in New England, sein Vater war Unternehmer, seine Mutter Künstlerin.

Channing selbst war in New York geschäftlich erfolgreich und machte sich zudem international einen Namen als Bildhauer mit Vorliebe für den Werkstoff Holz. Auf dem Kopf stehende, entwurzelte Bäume wurden sein Markenzeichen. Auf den Kartoffelfeldern neben seinem Atelier in Bridgehampton in South Fork begann er, Weinreben auszupflanzen. Der Cabernet ging bald wieder ein, aber der Chardonnay, gepflanzt 1982, wuchs an, der Künstler konnte seine ersten 20 Kisten Wein abfüllen. Heute gehört das feine Weingut mehreren Partnern, darunter James Christopher Tracy, der inzwischen auch als Winemaker fungiert. Der Sortenspiegel ist enorm, die Palette vielfältig, neben den internationalen Klassikern finden sich auch reinsortiger Blaufränkisch und Lagrein, angebaut wird von Teroldego bis Grüner Veltliner, von Tocai bis Ribolla Gialla, ausgebaut wird von klassisch bis orange.
Peter und Patricia Lenz begannen 1977 mit ihrem Weinprojekt in Peconic und riefen 1978 die Lenz Winery ins Leben. Sie pflanzten Gewürztraminer, Cabernet Sauvignon, Merlot und etwas Pinot Noir. Zehn Jahre später verpachteten sie den Betrieb an Peter und Deborah Caroll, die bereits einen eigenen Weingarten in Cutchogue besaßen. 1994 kauften die Carolls schließlich die Lenz Winery. Sie engagierten mit Eric Frey einen Top-Önologen, der dem Weingut zu jeder Menge Auszeichnungen verhalf, zuletzt 94 Parker-Punkte für den Merlot Old Vines aus 2010. Seit 2016 ist der Önologe Thomas Spotteck im Keller verantwortlich, Eric Frey steht seinem Nachfolger weiter beratend zur Seite.

Topweine vs. Kartoffelknollen

Charles Massoud von Paumanok Vineyards ist gebürtiger Libanese. Er war gerade als IBM-Manager mit seiner Familie aus Kuwait in die USA zurückgekehrt, als er durch Zufall über den Weinbau am East End auf Long Island las. Gemeinsam mit seiner Frau Ursula, die aus der Pfalz stammt, hatte er ursprünglich geplant, im Ruhestand vielleicht etwas Weinbau zu betreiben. Nun entschieden sie sich, es sofort anzugehen, kauften eine alte Kartoffelfarm in Aquebogue auf der Insel und pflanzten 1983 ihre ersten Reben aus. Ihre Weißweine sind längst legendär, der Chenin Blanc etwa zählt zu den besten Sortenvertretern, ihr Sauvignon Blanc wurde bereits im Weißen Haus genossen. Der damalige Präsident Barack Obama teilte sich mit Mick Jagger und B. B. King vor deren Auftritt ein Fläschchen vom Late Harvest und ließ den Paumanok-Wein gleich eine Woche später beim Governors Ball erneut servieren.
Inzwischen haben die drei Brüder Kareem, Salim und Nabeel Massoud die operative Seite auf dem Weingut übernommen. Der aus Hamburg stammende Unternehmer Christian Wölffer gründete 1988 das Weingut Wölffer Estate in Sagaponack – heute wird es von seiner Tochter Joey Wölffer gemeinsam mit ihrem Partner und langjährigen Winemaker Roman Roth geführt.
Roth stammt aus Villingendorf und ist ohne Zweifel der erfolgreichste Önologe an der Ostküste. Er hat Long Island auf die Bühne des Weltweins gehoben und durfte sich bereits über stattliche 94 Parker-Punkte freuen. Mitbesitzer Marc Wölffer besitzt zudem Weingärten in der Region Mendoza in Argentinien (Finca Wölffer) und einen kleinen Rebberg auf Mallorca, aus dem ein Rotwein mit dem seltsamen Namen »Brau« stammt. Er selbst lebt als Immobilieninvestor in Salzburg. Leider findet man im deutschsprachigen Raum nur wenige Weine aus Long Island, Wölffer ist mit seinem Hintergrund die löbliche Ausnahme, das Sortiment wird von einigen Importeuren in Deutschland geführt. Man muss sich daher in die Region bemühen, um die interessante Weinvielfalt von Long Island zu erforschen und um an viele dieser hervorragenden Weine zu kommen. Und wenn man schon in der Gegend ist, dann sollte man sich für diese wunderbare Wein-Insel genügend Zeit nehmen.

Long Island Top 10

  • Merlot Christian’s Cuvée
    Wölffer Estate, The Hamptons, Long Island
    wolffer.com
    www.weinemotionen.de, ca. € 79,–

  • Fatalis Fatum Red Blend (ME/CS/CF)Wölffer Estate, The Hamptons, Long Island
    wolffer.com
    www.feinkost-kaefer.de, ca. € 39,90

  • Cabernet Sauvignon Tuthills Lane Vineyard
    Paumanok Vineyards, North Fork of Long Island
    www.paumanok.com

  • Merlot Old Vines
    The Lenz Winery, North Fork of Long Island
    www.facebook.com/TheLenzWinery

  • Alexandra (ME/CF/CS/MA)
    Macari Vinyards, North Fork of Long Island
    macariwines.com

  • Old World Blend (ME/CF/PV)
    Mattebella Vineyards, North Fork of Long Island
    mattebella.com

  • Musée (ME/PV/MA)
    Bedell Cellars, North Fork of Long Island
    bedellcellars.com

  • Blanc de Blancs (Chardonnay)
    Paumanok Vineyards, North Fork of Long Island
    www.paumanok.com

  • Sauvignon Blanc First Label
    Raphael, North Fork of Long Island
    raphaelwine.com

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2018

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Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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