© Gina Müller

Im Rausch der Hormone

Geht es uns besser, wenn wir essen oder wenn wir nichts essen? Essen macht zufrieden, satt und oft glücklich. Doch auch der freiwillige Verzicht kann mit der Ausschüttung von Glückshormonen einhergehen.

Wer weiß nicht ein Lied davon zu singen: Ihr Gegenüber ist gereizt, grantig, genervt – einfach unausstehlich? Das kann an vielem liegen, häufig aber auch am Unterzucker. Die Täler im Blutzuckerspiegel bei Hunger korrelieren bei vielen mit der Laune.

Von Babys und Kleinkindern kennt man das sowieso, wenn sie lautstark das Befriedigen ihrer Grundbedürfnisse einfordern. Will man einen Anglizismus bemühen, sagt man dazu heute »hangry«, eine Kreation aus »angry« (wütend) und »hungry« (hungrig). Die Wortschöpfung soll es schon in den 1950er-Jahren gegeben haben, 2015 schließlich fand sie Eingang in das »Oxford Dictionary«. Auf gut Österreichisch heißt der Zustand »futtergrantig«. Dabei verursacht ein leerer Magen zwar durch verstärkte Kontraktionen Magenknurren, für das Hungergefühl ist das aber nicht so ausschlaggebend. Neben dem niedrigen Blutzuckerspiegel, den Rezeptoren in Leber und Magen feststellen und der an das Hunger- und Sättigungszentrum im Gehirn – konkret im Hypothalamus – gesendet wird, spielt bei der Regulation von Hunger vor allem eine Reihe von Hormonen eine große Rolle. Neuropeptid Y und Ghrelin etwa sorgen für Hungergefühle, Leptin, Insulin und Glucagon-like-Peptide werden nach den Mahlzeiten ausgeschüttet und hemmen den Appetit. Auch eines der »Glückshormone«, Serotonin – der Stoff, der uns gute Laune beschert –, kann den Hunger vorübergehend dämpfen. Ein höheres Level an Serotonin lässt sich mit Psychopharmaka erreichen, aber auch durch nutritive Manipulation: kurzfristig mit manchen Lebensmitteln, längerfristig durch freiwillige Nahrungsrestriktion, also Fasten.

Serotonin entsteht aus der essenziellen Aminosäure Tryptophan. Dieser Eiweißbaustein kommt nur in geringen Konzentrationen in Lebensmitteln vor und ist mengenmäßig den anderen Aminosäuren unterlegen. Beim Transport ins Gehirn hat Tryptophan keine guten Chancen – außer Kohlenhydrate sind angehängt. Sie führen zu einer stärkeren Insulinausschüttung, und Insulin sorgt dafür, dass die Muskeln die konkurrierenden Aminosäuren aufnehmen. Tryptophan hat dann freie Fahrt durch die Blut-Hirn-Schranke. Auf ein günstiges Verhältnis von Eiweiß zu Kohlenhydraten kommt es also für die gute Laune an. Bananen, Feigen, Datteln, Haferflocken, Nudeln und Fisch, Honig und Milch fallen zum Beispiel in die Kategorie der Stimmungsaufheller.

Hunger verursacht Angst und Stress

Unabhängig von einzelnen Lebensmitteln ist Essen häufig aber auch mit Vorfreude verbunden. Hier kommt der Botenstoff Dopamin ins Spiel, den das Gehirn ausschüttet, wenn wir etwas wollen. Er gelangt dann in jene Teile des Gehirns, die dafür zuständig sind, dass wir gute Gefühle abspeichern sowie auf interessante Situationen und Belohnungen ansprechen. Eine wesentliche Rolle im »Belohnungssystem« des Gehirns nimmt der Nucleus accumbens ein. Er reagiert nicht erst nach dem Essen, sondern bereits, wenn wir uns auf ein Erlebnis komplett konzentrieren und unsere Erwartungen und Vorstellungen erfüllt oder gar übertroffen werden, wir positiv überrascht sind!

So kann es am Dopamin liegen, dass sich bereits während des Essens Glücksgefühle einstellen. Und freilich liegt ein guter Teil der Zufriedenheit auch an der physiologischen Komponente des Sattseins. Denn Hunger verursacht Angst und Stress, ist ein beherrschendes Gefühl, das fokussierte Aufmerksamkeit, erhöhte Aggressivität, motorische Unruhe sowie neuroendokrine Stressreaktionen auslöst. Es kommt zu einer Kaskade an Reaktionen im Zentralnervensystem, die – und das ist das Interessante – nicht ausgelöst, sondern sogar unterdrückt wird, wenn man nicht hungert, sondern fastet. Also freiwillig, ohne Angst und ohne Stress, auf Nahrung verzichtet.

Die individuelle Bewertung ist demnach entscheidend für die durch Nahrungsrestriktion ausgelösten neurobiologischen und neuroendokrinen Wirkungen auf Körper und Psyche. Beim Fasten kommt es zu einer verringerten Ausschüttung von Stresshormonen, zudem werden die Schalthebel auf ein höheres Serotoninlevel gestellt.

© Gina Müller

Mehr Serotonin

So kommt es bereits bei kurzzeitiger Nahrungskarenz zu einer gesteigerten Tryptophanverfügbarkeit im Gehirn, es wird also mehr Serotonin produziert und freigesetzt. Nach einigen Tagen Nahrungsrestriktion reduziert sich darüber hinaus die Anzahl von Serotonintransportern in den Nerven­endigungen. Diese verringerte Serotonintransporterdichte führt zu einer permanent reduzierten Wieder­aufnahme des freigesetzten Serotonins.

Es bleibt also in höherer Konzentration und länger im extrazellulären Raum, wodurch es länger und intensiver mit zahlreichen Rezeptoren an nachgeschalteten Zellen wirken kann. Viele Menschen berichten daher, dass sich nach zwei oder drei Fastentagen ihre Stimmung stabilisiert hat, manchmal ist sogar von Euphorie und Gefühlen der Transzendenz die Rede.

Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2019

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Marlies Gruber
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