Honey & Bunny: Das Fest der Feste
Weihnachten kulinarisch, das ist heute alles andere als eine einheitliche Erzählung. Vielmehr regiert die Vielfalt, sowohl was die Speisenfolge als auch die damit verbundene Inszenierung betrifft.
Vor etwas mehr als 20 Jahren studierten wir in London Architektur. In Ermangelung leistbarer kulinarischer Erlebnisse nutzten wir unsere freien Stunden, um über Essen zu recherchieren. Wir tauschten den Platz im Wirtshaus gegen jenen in der Bibliothek und versuchten, so viel wie möglich über das angeblich so alltägliche, ja banale Essen herauszufinden. Und fanden wir dann doch einmal den Weg ins Pub, erfreuten wir uns an lustigen Geschichten über die lokale Küche. Den diesbezüglichen Höhepunkt erlebten wir einmal rund um Weihnachten: Ein sehr guter Freund berichtete von seinem Heimaturlaub in der Schweiz. Er reiste nach Bern, um dort gemeinsam mit seiner Familie zu feiern. Dem hohen Fest entsprechend, leistete sich dieser arme Architekturstudentenschlucker ein großzügiges Mitbringsel für die geliebten Anverwandten – er kaufte in einem sehr berühmten Londoner Geschäft einen Christmas Pudding, den er höchst behutsam im Handgepäck transportieren wollte. Am Flughafen Heathrow rissen ihn dann allerdings Uniformierte unsanft aus seiner besinnlichen Weihnachtsstimmung. Sie unterstellten ihm Böses – denn der Security Check seines Handgepäcks ergab den beunruhigenden Verdacht, dass er eine Bombe mit sich führte. Wie sich nach allerlei hin und her schließlich herausstellen sollte, war die Konsistenz seines kostspieligen Christmas Puddings jener von Plastiksprengstoff so ähnlich, dass die Detektoren anschlugen. Ob das für diese Speise essenzielle Rindernierenfett oder doch eher die schwammige Optik des Puddings die Irritationen verursachten, wurde leider nicht bekanntgegeben. Der Familie unseres Kommilitonen hat der Pudding aber letztlich ziemlich gemundet.
Weihnachten international
Überhaupt ist das mit dem Weihnachtsessen so eine Sache. Zwar feiern etwas mehr als zwei Milliarden Menschen nur das eine, nämlich die Geburt des Sohnes ihres Gottes am oder rund um den 24. Dezember. Gegessen wird aus diesem Anlass allerdings ziemlich vielfältig – und zwar bevorzugt aus lokalen Zutaten und nach bekannten Rezepturen. Ob das anlassbezogener Lokalpatriotismus ist oder einfach der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln geschuldet ist, sei dahingestellt. Im angelsächsischen Kulturkreis wird dies wie jenseits des atlantischen Ozeans meistens Truthahn oder eine andere Art Geflügel verspeist. Ein näherer Blick auf den herrlich diversen Kontinent Europa offenbart ein großes, buntes Weihnachtsbuffet. Ob Tortellini in Brodo, Schinken in allen Variationen, Gänsestopfleber, die ungarische Fischsuppe Halászlé, alle Arten von Rinder- oder Schweinebraten, Würsten oder Geflügel – in der Alten Welt biegen sich die Tische am 24. Dezember. Wir finden übrigens die polnische Variante des Heiligen Abends namens Wigilia am schönsten: Zwölf vegetarische beziehungsweise Fischgerichte (eine Anspielung auf die zwölf Apostel Christi) werden als eine Art Buffet im Familienkreis aufgestellt und gemeinsam verspeist. Im deutschsprachigen Raum dominiert hingegen Fleisch. Seit dem Mittelalter war das »Mettenmahl« ein Schweinebraten, serviert am 25. Dezember. War die Sau zu teuer, musste man sich mit Blut- oder Leberwürsten begnügen. Viele Familien essen heute noch Bratwürste zu Weihnachten. Und irgendwann durfte auch die Martinigans eineinhalb Monate länger am Leben bleiben und sich bis Weihnachten mästen lassen, ehe sie gebraten wurde.
Was wir heute meist vergessen: Vor der Völlerei war seinerzeit meistens Schmalhans Küchenmeister. Der Advent inklusive dem 24. Dezember ist nämlich eigentlich eine Fastenzeit. Also müsste rein theoretisch auf Fleisch, Zucker und Alkohol verzichtet werden. Zwar kennen wir niemanden, der jemals während des Advents gefastet hätte. Aber diese unendlich langen Wochen vor der Bescherung waren während der Siebziger- und Achtzigerjahre eher keine Zeit der kulinarischen Ausschweifungen. Doch mittlerweile startet Anfang November eine Big Public Party. Zwei Monate lang wird dann jeden Abend an den unterschiedlichsten Orten ganz besinnlich abgefeiert. Motto: Wer sich an den Advent erinnern kann, war nicht dabei! Die Zutaten sind Kälte und Nieselregen, viel aufgezuckerter Alkohol, sehr hohe Preise und ein altes Rezept aus Indien: »Paantsch« heißt auf Hindi so viel wie »Fünf« und steht für die Anzahl der zur Zubereitung von Punsch nötigen Ingredienzen: Wasser, Zucker, Gewürze, Limonensaft und Arrak beziehungsweise Rum. Und auch wenn auf die meisten Gewürze und auf frischgepressten Saft auf Weihnachtsmärkten hierzulande gerne verzichtet wird, christlich ist an diesem Getränk nur wenig. Und auch Kekse in Stern- (mit Zimt) oder Mondform (Vanillekipferl) kommen im katholischen Symbolhimmel eigentlich nicht vor – das ist Fusion Cuisine der besonderen Art!
Gemeinsam am Tisch sitzen
Zum Abschluss wollen wir noch ein kleines Weihnachtsmärchen erzählen: Stellen Sie sich vor, es ist Weihnachten und alle sitzen friedlich um einen Tisch und genießen gemeinsam ein Mahl, das zuvor mit Liebe und Freude zubereitet wurde.
Wie cool wäre das denn!? Das Fest des Friedens? Gemeinsam bei Tisch? Im Prinzip ist es mittlerweile ja vollkommen egal, was es an Weihnachten zu Essen gibt. Kalorienmengen oder besondere Genüsse brauchen wir nicht, Traditionen engen nur ein, ebenso wie übertriebene Erwartungen an »das perfekte Weihnachtsessen«. Im Grunde geht es nur darum, gemeinsam zu essen. Das ist das wichtigste Ritual der Menschen. Abgesehen davon macht gemeinsam essen glücklich – das ist doch was! Also: Weniger Energie ins Wie, mehr ins Warum legen! Bringen wir unserem Essen und jenen, die es zubereiten, die angemessene Wertschätzung entgegen. Frohe Weihnachten!
Honey & Bunny
Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren »Eat-Art-Performances« und schreiben bzw. illustrieren Bücher.