Havanna: Rum, Rhythmus, Revolution

Rum

Die kubanische Metropole zieht Besucher mit pulsierendem Leben inmitten verfallender Barockbauten in ihren Bann. FOTOS: die besten Bars, Restaurants und Hotels.

Kuba hat seine besten Restaurants einer brasilianischen Telenovela zu verdanken. Das Schicksal einer einfachen Frau, die es von einer Straßenverkäuferin zur Leiterin einer Res­taurantkette namens »Paladar« (zu Deutsch: Gaumen) schaffte, rührte die Nation zu Tränen. Die Seifen­oper bewirkte einen Boom an illegalen Res­taurants in privaten Wohnzimmern, die die Kubaner liebevoll »Paladares« nennen. Diese Guerilla-Gastronomie wurde Mitte der Neunzigerjahre legalisiert, aber deren Blütezeit ist leider schon vorbei. Kulinarische Höchstleistungen zählen nicht zu den Tugenden der Revolution, und die Staatsführung macht all jenen das Leben schwer, die nicht unmittelbar zur Prosperität der Gesellschaft beitragen.

Während Ärzte und Lehrer hoch angesehene Mitglieder der Gesellschaft sind, werden privatwirtschaftlich agierende Gastronomen geächtet. Die Res­triktionen zur Eindämmung der Privatrestaurants sind merkwürdig bis kafkaesk: Ein Paladar muss jeden Monat einen Steuerfixbetrag abliefern, egal wie viel Geld tatsächlich eingenommen wurde. Es dürfen nicht mehr als zwölf Gäste gleichzeitig bewirtet werden, und die Zubereitung von Shrimps, Hummer und sogar Rindfleisch ist staatlichen Betrieben vorbehalten. Aushilfe von familienfremden Mitarbeitern ist ausdrücklich untersagt.

Paladar La EsperanzaDennoch sind die Paladares sehr beliebt, denn wer all die Bürden auf sich nimmt, ist Gastronom aus Leidenschaft, und die Qualität von Speisen und Service ist der von normalen Restaurants zumeist weit überlegen. Das Pärchen Hubert und Manolo ist von derartigem Enthusiasmus erfüllt, ihr Paladar namens »Esperanza« im Villenviertel Miramar ist vermutlich das beste in ganz Havanna (siehe Diashow unter »alle Fotos«). Es ist nicht leicht zu finden, denn bei Taxifahrern ist es weitgehend unbekannt, und auch wer die genaue Anschrift weiß, könnte den unscheinbaren Eingang der Villa aus den Vierzigerjahren leicht übersehen. Lediglich ein verwittertes und halb verwachsenes Schild unaufdringlicher Größe weist auf die Exis­tenz eines Paladars hin. Man betritt das Haus durch das Vorzimmer und speist im beschaulichen Wohnzimmer der Gastgeber.

Von der Popularität der Paladares will der Staat aber nicht nur im Rahmen der Steuereinnahmen profitieren: Um mehr Gäste in staatliche Restaurants zu locken, wird Touristen oft der Status eines Privatrestaurants vorgegaukelt. Ich habe eines davon besucht und war vom Angebot und vom Service durchaus positiv überrascht. Das Restaurant »La Fontana« liegt ganz in der Nähe vom »Esperanza« und ist ein derartiger »Fake-Paladar«. Mit seinem Brunnen und dem ausladenden Goldfischbecken ist es nicht nur sehr ansprechend eingerichtet, auch das Essen ist hervorragend – besonders die Shrimps sind sehr zu empfehlen. Aufgrund des großzügigen Raum- und Speisenangebots ist für Kubaner aber sofort klar, dass es sich um kein echtes Paladar handeln kann.

Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die staatlichen Betriebe durchwegs gemieden werden sollten. Man hat von den Paladares viel gelernt, und wie ein Restaurant geführt wird, hängt sehr vom individuellen Engagement und Durchsetzungsvermögen der Führungskräfte ab. Die Bandbreite reicht von touristischen Massenausspeisungen bis zu anständigen Betrieben auf mitteleuropäischem Niveau. Sehr empfehlenswert ist das »Rancho Palco«, das klassische kubanische Gerichte wie Huhn, Schweinefleisch oder Reis mit Bohnen im Angebot hat. Eher wegen der einmaligen Lage als wegen des guten Essens geht man in das »El Patio«, denn es liegt am wohl schönsten Platz Havannas – der Plaza de la Catedral – und hat einen pittoresken Innenhof. Deftiges Barbecue nach brasilianischer Art gibt es im »La Ferminia«, dessen Trumpf ein herrlicher tropischer Garten ist. Anständige kreolische Küche findet man im Restaurant »El Aljibe«, das in allen Reiseführern als Must angepriesen wird.

Kult-Bars
La Bodeguita del MedioAnspruchsvolle europäische Gourmets werden aber ob der wenig entwickelten kulinarischen Kultur in Kuba nicht glücklich. Zynische Zeitgenossen sagen, dass Frühstück, Mittagessen und Dinner den revolutionären Errungenschaften Kultur, Bildung und medizinische Versorgung zum Opfer gefallen sind. Aber was den Kubanern in der gehobenen Gastro­nomie fehlt, das haben sie den Europäern in der Barkultur voraus. Die Cocktailklassiker Mojito und Daiquiri haben ihre Wiege in Havanna, was auch schon der bekanntermaßen trinkfeste Ernest Hemingway sehr zu schätzen wusste: »My Mojito in La Bodeguita, My Daiquiri in La Floridita«, hat der abenteuerlustige Amerikaner schriftlich festgehalten. Das entsprechende Schild prangt über der Bar der »Bodeguita del Medio«, die täglich von Touristen gestürmt wird.  ­Neben dem Mojito zählen Schweinefleischgerichte zu den Spezialitäten des Hauses.

Noch besser konnte das »Floridita« seinen ursprünglichen Charme bewahren: Abgesehen von einer Bronzestatue Hemingways könnte die Bar in den Dreißigerjahren genau so ausgesehen haben. Spezialitäten des Restaurants im Hinterzimmer sind Fisch und Meeresfrüchte, besonders die Langusten sind empfehlenswert. Die Basis von Mojito, Daiquiri und Cuba Libre ist im Original natürlich Havana Club, der flüssige Nationalstolz der Kubaner.

Havana Club: Flüssiger Nationalstolz
Havana Club - Flüssiger NationalstolzRum ist neben Zigarren das erfolgreichste Exportprodukt Kubas, nahezu jedes Land des Globus wird mit Havana Club beliefert. Die Letztverantwortlichen der Rumproduktion sind die sechs sogenannten Maestros Roneros, die in der gesellschaftlichen Rangordnung Kubas offenbar sehr bald nach Fidel und Raúl Castro kommen. Wer diesen Beruf ausüben möchte, muss nicht nur eine einschlägige Ingenieursausbildung und 15 Jahre Erfahrung vorweisen, sondern auch sensorische Tests bestehen. Aber neben den Hard Skills müssen die Bewerber auch einen leidenschaftlichen Zugang zur Materie glaubhaft machen. Maestro Ronero Asbel Morales sagte im Gespräch mit Falstaff, dass man den Job nicht ohne »Corazon« (Herz) machen könne. An der Spitze der Qualitätspyramide von Havana Club steht der exklusive »Máximo Extra Añejo«. Die Chargen, die für diese extrem limitierte Kreszenz verwendet werden, sind mindestens 30 und zum Teil über 100 Jahre alt. Kein Maestro würde von sich behaupten, er allein habe einen derartigen Rum kreiert, denn in jeder einzelnen Flasche steckt das kulturelle Erbe von ganzen Generationen dieses Berufsstandes. In Österreich gibt es nur eine Handvoll Kristallflaschen mit Máximo, die Preise beginnen bei 1500 Euro.

Wer am echten Leben Havannas teilhaben möchte, der sollte einen Abstecher in eine der Seitengassen wagen und eine sogenannte Peso-Bar besuchen. In diesen Bars, die hauptsächlich von Einheimischen besucht werden, kann man mit echten Pesos bezahlen, während in den touristischen Betrieben nur »Convertibles« akzeptiert werden – jene Währung, die anstelle des Dollars eingeführt wurde und deren Kurs an internationale Leitwährungen geknüpft ist. In diesen Lokalen wird nur wenig vom Havana Club verkauft, da er für Einheimische zu teuer ist – diese trinken ein rustikales Zuckerrohrdestillat, das sie selbst als »Feuerwasser« sehr treffend charakterisieren. Die Peso-Bars sind Nahversorger für Güter des täglichen Bedarfs, neben Alkohol sind dies beispielsweise Zigaretten und Kondome.

Hotels und casas particulares
Dachterrasse des Hotel SaratogaWer den morbiden Charme der viertgrößten Stadt der Karibik unmittelbar erleben möchte, der sollte ein Hotel in der Altstadt wählen. Wie eine Insel in einem Meer verfallener Häuser ragt das Saratoga Hotel heraus, das betuchten Gästen im Moment das höchste Niveau bieten kann. Einmalig und fast schon dekadent ist die Dachterrasse mit Swimmingpool und Freiluftbar mit atemberaubendem Blick auf das Kapitol. Mondäne Atmosphäre des spanischen Imperialismus verströmt das Hotel Santa Isabel an der Plaza de Armas. Die großzügigen Suiten und die traumhafte Dachterrasse wussten schon Staatsgäste wie Jimmy Carter zu schätzen. In die Zeit Hemingways kann man sich am besten im Hotel Ambos Mundos versetzen, in dem der Literat selbst gewohnt hat. Sein ehemaliges Zimmer mit der Nummer 511 ist so arrangiert, als ob er nur mal schnell auf einen Drink gegangen wäre.

Das protzige Hotel Nacional de Cuba ist ein US-amerikanisch geprägter Luxuspalast aus den Dreißigerjahren, in dem Mafiosi wie Lucky Luciano und Meyer-Lanski rauschende Feste gaben. Die exponierte Lage an einem Felsvorsprung direkt am Meer und die beeindruckenden Ausmaße machen das Haus zu einer der ersten Adressen der kubanischen Metropole. Wer noch höher hinaus will, der ist im Hotel Habana Libre genau richtig. Die Hilton-Gruppe hatte das Hotel im Jahr 1958 fertiggestellt, nur ein Jahr später wurde die Hoteliersfamilie im Zuge der kubanischen Revolution enteignet: Fidel Castro, Che Guevara und ihre Mitstreiter hatten es zu ihrer Kommandozentrale auserkoren. Die damit einhergehende Symbolik war für die amerikanische Regierung besonders schmerzhaft, und der CIA misslang ebendort der erste Mordanschlag auf Fidel Castro. (Kubanische Geschichtsschreiber berichten von mehreren Hundert Attentaten auf Castro, die CIA gab tatsächlich mehrere zu.) Im Haus gibt es ­einige Bars und Restaurants, das schönste ist das »Sierra Maestra« in der 25. Etage, das Menüs auf gehobenem internationalem Niveau anbietet. Die Weinkarte besteht aus rund 60 Positionen aus Chile, Spanien, Frankreich und Italien. Die atemberaubende Rundum-Sicht kann man nach dem Essen noch entspannter im direkt angrenzenden Tanzklub »Turquino« genießen. Bei schönem Wetter wird das Dach geöffnet, und die Sterne über Kuba funkeln mit den Lichtern des nächtlichen Havanna um die Wette.

Als Kontrastprogramm können sich Individualreisende in einfachen Privatunterkünften, sogenannten »Casas Particulares«, einquartieren. Hier kann man den kubanischen Alltag hautnah miterleben und Wohnzimmer wie Küche mit einheimischen Familien teilen. Eines der bezaubernd­sten Quartiere dieser Art liegt im obersten Stock des Hauses Prado No. 20, am Beginn des einstigen Boulevards und gleich bei der Öffnung der Bucht von Havanna. Die sympathi­schen Vermieter haben in ihrer Dachgeschoßwohnung einst ein Paladar betrieben, doch auch ihnen war der Aufwand letztlich zu hoch, wie sie wehmütig ­berichten.

von Bernhard Degen

Die vollständige Story lesen Sie in Falstaff 04/10

Bernhard Degen
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