Hans Mahr in Rio de Janeiro, Stromburg, Miami und Düsseldorf

In Rio de Janeiro gibt’s mehr als nur Steaks. Johann Lafer engagiert sich für seine Schulmensa. In Miami dominieren Restaurantketten. Preisdiskussion auf der ProWein in Düsseldorf.

RIO DE JANEIRO

Na, die trauen sich was, die Brasilianer – in einem Jahr Fußball-WM und in drei Jahren Olympische Spiele. Also auf Fact-Finding nach Rio. Keine Frage, schön ist’s hier – Copa Capana und Ipanema, Zuckerhut und Christusstatue. Aber...

Als ein zur Laureus-Sportlerehrung nach Rio angereister Olympia-Athlet am Strand spazieren geht, wollen ihn zwei Zehn­jährige mit vorgehaltenem Messer ausrauben. Taxifahrer sprechen nicht einmal im Ansatz ein Wort Englisch und finden angegebene Adressen nur, wenn sie vom Fahrgast dorthin geleitet werden.

Noch viel zu tun also. Nur in der Küche hat schon ein dramatischer Aufholprozess begonnen. Nichts mehr mit eintönigem Bohnen-Allerlei und dem wenig originellen Herunterhobeln diverser Fleischstücke von Churrascaria-Spießen. Neue brasilianische Küche ist angesagt, die Küchenrevolution hat auch Rio erreicht.

Roberta Sudbrack heißt die Dame, die einstmals als Präsiden­tenköchin Furore machte und heute im Villenviertel Santa Teresa ihre »Rio Gastronomia«-Küche präsentiert. »Dort müssen Sie hingehen«, hatte mir Tourismus-Ministerin Jeanine Pires bei der ITB in Berlin ans Herz gelegt.

Zu Recht. Schon der Spargel mit scharfer Karamell-Sauce und die marinierten Scampi mit Palmenherzen waren ein Gedicht. Dann der Red Snapper mit einer Apfel-Vinaigrette und als Höhepunkt ein brasilianisches Wildschwein. Dazu ein frischer Merlot Reserva aus der Serra Gaucha, wenn man nicht gerade, so wie ich,
der ­Fastenzeit frönt.

»Mir geht’s darum, die brasi­lianischen Gewürze und Produkte typisch und frisch auf
den Tisch zu bekommen«, sagt sie nach dem Essen. »Bohnen gibt’s nur zu Mittag, denn: Die sind doch am Abend viel zu schwer...« Dem kann ich nicht widersprechen.

Zurück im Hotel erzählt mir Felix Baumgartner – der Mann, der aus der Stratosphäre zurück auf die Erde gesprungen ist – von seinem wunderbaren Steak in der Churrascaria, dem vierten in zwei Tagen Rio. Und fügt, meine gerunzelte Stirn richtig interpretierend, hinzu: »Du musst verstehen, vor dem Sprung habe ich mich praktisch nur von Steaks ernährt – und jetzt habe ich mich dran gewöhnt.«

Ehrlich gesagt, da war mir Roberta Sudbrack schon lieber...

STROMBURG

Es ist ihm ein echtes Anliegen, das merkt man. Wenn Johann Lafer (der aktivste aller Köche in Deutschland), über sein Schulmensa-Projekt spricht, dann wird er emotional. »Übergewicht durch schlechte Ernährung, Fast Food statt gesunder Küche, überwürzt statt geschmackvoll – die Ernährung ist bei der heutigen Jugend ein echtes Problem.« Aber er wäre nicht Lafer, wenn er dies nicht partout ändern wollte. Deshalb gibt’s seit einem halben Jahr das Unternehmen »Wissen, was schmeckt« im Bad Kreuznacher Gymnasium am Römerkastell.

Dort kreiert der Sterne-Koch Schulmenüs. »Aber zum Unterschied von Jamie Oliver schreibe ich nicht nur Konzepte, sondern produziere das auch, Tag für Tag.« Drei Euro kostet das Lafer-Schulmenü: immer zwei Gänge, zum Beispiel Frühlingsrolle mit Chili und Frikadelle mit Wirsing und Kartoffelpüree oder Lasagne und warmer Apfelstrudel. Lafer: »Da wird alles frisch gemacht, keine Fertiggerichte oder Aufgewärmtes.« Sogar die »Frankfurter Allgemeine« lobte den Meister: »Gourmetküche für Gymnasiasten? Ja, der Mann hält Wort.«

Ein paar Monate nach dem Start freut sich Johann Lafer über seinen Erfolg: Nicht nur die 164 Ganztagsschüler greifen in seiner Kantine zu, rund 400 von denen, die eigentlich schon zu Mittag nach Hause gehen könnten, bleiben freiwillig zum »Nachsitzen« in Lafers Mensa. Ob’s dafür auch Hauben oder Sterne gibt?

MIAMI

Der Trend zur Luxuskette ist auch im gastronomischen Bereich nicht mehr umkehrbar. Wer noch vor ­einigen Jahren – oder gar Jahrzehnten – in Miami gourmetmäßig unterwegs war, schwärmt bis heute von den kleinen kubanischen Wirtshäusern in »Little Havanna« oder von den Florida-Küchen einer Michelle Bernstein (ihr »Michy’s« ist noch immer einen Besuch wert!) oder eines ­Allen Susser (sein »Chef Allen’s« wurde leider zwischenzeitlich schon zugesperrt). Die Wirtshäuser gibt’s zwar noch immer, aber der Trend im hippen Miami Beach geht eindeutig in die Richtung »mehr vom selben« – internationale Brands als Imagewerbung für professionelle Hotelinvestoren.

Ein Auszug aus der aktuellen Hot-Spot-Liste als Beweis: im »Shore Club« das 26. Nobu, im »Fountainebleau« das 11. Hakka­san, im »W South Beach« das
6. Mr. Chow und im »Soho Beach House« das 3. Cecconi’s. Na also, da lobe ich mir das brandneue »The Bazaar« des US-Spaniers José Andrés. Wenn schon, dann wirklich originelle Fusion-Cuisine wie hier im vor einem halben Jahr eröffneten SLS Hotel am South Beach.

José Andrés bietet »Miami meets the world«, 16 Gänge für 125 Dollar – und die sind sensa­tionell. Etwa eine »Colada ­Cubana« mit Foie gras, eine ­Seeigel-Creme in der Waffel, ­Kokosnuss-Reis mit Sepia und Ingwer, geräucherte Austern mit Apfelkraut oder »Pollo al Ajillo«, die ku­banische Hähnchenkeule mit schwarzem Knoblauch.

Aber dann die Enttäuschung: Nach seinem sensationellen ­Erfolg mit dem »Bazaar« in ­Beverly Hills hat José Andrés sein zweites Res­taurant in Miami Beach eröffnet, heißt es auf der Menükarte. Also auch er auf dem Weg zur Luxuskette...

DÜSSELDORF

Manche seiner Aussagen sind ja wirklich schräg – etwa wenn er anderen Ländern die Kavallerie schicken oder dringend das Gehalt der Bundeskanzlerin erhöhen will. Aber wo er recht hat, hat er recht, der ehemalige Finanzminister und jetzige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. »Einen Pinot Grigio unter fünf Euro trink ich nicht!«, stellte der Viel­gescholtene bei ­einer Parteiveranstaltung fest.

Nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch in diversen Medien wurde am armen Steinbrück kein gutes Haar (so viele hat er ja gar nicht mehr) gelassen.
Ja, mehr als fünf Euro für eine Maß Bier beim Oktoberfest, das muten die Tugendwächter dem Otto Normalverbraucher schon zu. Aber beim Wein hört sich der Spaß auf, der muss billig sein …

»Leider schätzt und trinkt nur ein Bruchteil der Bevölkerung unsere Premium-Weine von der Mosel!«, seufzt Deutschlands erfolgreichster Jungwinzer Roman Niewodniczanski, der selbst aus der Bierbranche kommt, bei der ProWein, der größten deutschen Weinmesse in Düsseldorf. »Das Grundübel ist das Durcheinander der Stilbezeichnungen. Spätlese ist mal trocken, mal süß, bei den Etiketten kennt sich kaum ein Konsument aus.« Der Saar-Winzer muss es wissen, er hat darüber seine Diplomarbeit in Betriebswirtschaft geschrieben.

Ein weiteres Problem spricht Fritz Keller aus der Pfalz an: »Der Prophet gilt im eigenen Land nicht viel …« Soll heißen: Die deutschen Weintrinker sollten dem hiesigen Wein gegenüber ein wenig »loyaler« sein. Vielleicht trägt künftig auch Peer Steinbrück dazu bei – indem er nicht nur mehr als fünf Euro für eine Flasche zahlt, sondern auch von ­Pinot Grigio auf einen herrlichen trockenen Riesling umsteigt...


BESCHRIEBENE LOKALE:

Roberta Sudbrack
Rua Lineau de Paula Machado 916
Rio de Janeiro
T: +55/(0)21/38 74 01 39
www.robertasudbrack.com.br

Michy’s
6927 Biscayne Blvd. Miami
FL 33138
T: +1/(0)305/759 20 01
www.michysmiami.com

The Bazaar
1701 Collins Ave. Miami Beach
FL 33139
T: +1/(0)305/455 29 99
www.thebazaar.com

Text von Hans Mahr
Aus Falstaff Deutschland Nr. 03/2013

Hans Mahr
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