© Lukas Ilgner

Guide Michelin in Österreich: Sternenklare Entscheidung

Michelin hat mit Juan Amador einen Deutschen zu Österreichs erstem Drei-Sterne-Koch gemacht. Eine Einordnung der aufsehenerregenden Entscheidung der Tester des roten Guides.

Wer auf die Website des Restaurants »Amador« in Wien-Grinzing klickt, schaut Juan Amador direkt in die Augen. Es ist ein durchaus drohender Blick, den der Koch mit dem verwitterten Gesicht da in die Kamera wirft. Dazu wetzt er ein riesiges Messer. Die Botschaft der kurzen Video-Sequenz ist mehr als deutlich: Der Mann führt etwas im Schilde, und er ist bereit, sehr weit dafür zu gehen. Nun, das beständige Wetzen hat sich gelohnt. Seit 27. März ist der 1968 in Strümpfelbach (Baden-Württemberg) als Sohn spanischer Gastarbeiter geborene Deutsche Österreichs erster Drei-Sterne-Koch. Der Chef des »Guide Michelin«, Gwendal Poullennec, war persönlich nach Wien gereist, um die frohe Kunde zu überbringen.
Amador wusste freilich schon vorher, wie es sich anfühlt, diese als größte Auszeichnung der Kochwelt gehandelte Ehrung zu bekommen: Erst in Langen bei Frankfurt und dann in Mannheim, wo er vor seinem Umzug nach Wien Restaurants betrieben hatte, war er bereits achtmal hintereinander als Dreisterner gefeiert worden. Wohlgemerkt: im »Guide Michelin« für Deutschland.
Jetzt aber ist Amador in Österreich vom weltweit renommierten, französischen Gas­tronomieführer gekrönt worden. Und das ist, abgesehen von nationalen Befindlichkeiten (»Als ob wir nicht auch eigene, tolle und, vor allem, urösterreichische Köche hätten!«), noch mal eine ganz eigene Geschichte.
Amador ist damit nämlich gelungen, was unter den Auskennern der internationalen Gourmet-Zirkel bislang als undenkbar gegolten hatte. Michelin hat die höchste Auszeichnung von drei Sternen seit seinem ersten Erscheinen im Jahr 1900 (damals ausschließlich für Frankreich) nämlich immer nur an Restaurants in Ländern vergeben, die auch eines eigenen Guides für würdig befunden wurden. Selbst in Dänemark, das die vergangenen Jahrzehnte weltweit als gastronomisches Wunderland gefeiert wird, hat es nie ein Drei-Sterne-Restaurant gegeben – bis Michelin 2014 einen eigenen Guide für Skandinavien herausbrachte. Kaum zwei Jahre später wurde dann mit dem »Geranium« in Kopenhagen erstmals ein dänisches Restaurant mit drei Sternen ausgezeichnet – obwohl die Stadt, ähnlich wie Wien und Salzburg, zuvor schon längst im Rahmen des »Main Cities«-Guide von Michelin-Testern heimgesucht worden war. In Asien, wo Michelin in den vergangenen Jahren mit etlichen Guides auf den Markt kam, war es genauso. Offiziell dementierten die Tester freilich wortreich, dass die höchste Auszeichnung an einen eigenen Guide für das jeweilige Land gekoppelt sei.

Glanz der Sterne

Nicht dementiert wird hingegen, dass man sich als Land solch einen eigenen »Michelin Guide« auch kaufen kann. Thailand, wie Österreich ein Land mit starker Tourismusindustrie, zahlte Michelin laut einem Bericht der »Bangkok Post« 3,75 Millionen Dollar – für einen Guide, der vorerst ausschließlich die Hauptstadt Bangkok bewertet. Für Kroatien, das seit vergangenem Jahr ein paar Tourismus-Hotspots mit Sterne-Restaurants verzeichnen darf, war es dem Vernehmen nach schon um ein paar Hunderttausend Euro möglich, die Tester ins Land zu holen.
Auch in Österreich gibt es Bemühungen vonseiten der Tourismusindustrie, Restaurants und Köche, abermals einen eigenen »Guide Michelin« für Österreich zu etablieren. Der zwischen 2005 und 2009 herausgege­bene Österreich-Michelin musste damals wegen schwacher Verkaufszahlen eingestellt werden. Juan Amador ist Insidern zufolge einer der aktivsten Proponenten, die einen neuen Österreich-Guide sicherstellen wollen. Unter dem vergangenen Landwirtschafts­minister Andrä Rupprechter schien eine finanzielle Einigung mit Michelin bereits in greifbarer Nähe, mit seiner Ablöse hieß es jedoch »zurück zum Start«. Man wird sehen, ob Österreichs offizielle Stellen tatsächlich viel Geld an Michelin fließen lassen, um in die Ehre eines eigenen Österreich-Michelin zu kommen. Wie glaubwürdig Sterne sind, die von Testern vergeben werden, die man sich zuvor ganz offiziell einkaufen musste, sei freilich dahingestellt. Unbestritten ist, dass Gourmet-Touristen immer noch sehr viel auf den Glanz geben, den drei Sterne vor dem Namen eines Restaurants vermitteln können.
Gourmetpolitisch sagt die Wahl Amadors zu Österreichs erstem Drei-Sterne-Koch einiges über die Prioritäten der Michelin-Tester aus. Einerseits haben sie damit die Bewertung ihrer deutschen Kollegen, denen Amador jahrelang drei Sterne wert war, jetzt auch in Österreich bestätigt. Es wirkte auch wirklich kurios, dass Amador mit der Eröffnung seines Restaurants in einem Grinzinger Wein­keller auf einmal um einen Stern schlechter kochen sollte als davor in Deutschland. Diese Diskrepanz ist hiermit aus dem Weg geräumt.

International statt regional

Anderseits aber kocht Amador auch eine sehr statische, von saisonalen Einflüssen weitestgehend abgehobene Linie, die in deutlichem Gegensatz zu dem steht, was Österreichs andere beste Köche seit Jahren verfolgen – nämlich die enge Zusammenarbeit mit lokalen Lieferanten, die Ausrichtung ihrer Kreationen nach dem, was gerade im Land reift und gedeiht, ganz allgemein die Darstellung von Saison und Region auf dem Teller. Bei Amador, der so gut wie ausschließlich internationale Gourmetprodukte (Miéral-Taube, Carabineros, Mangos, Perigord-Trüffel, …) verkocht, besteht die Karte großteils aus Gerichten, die er bereits in seiner Zeit in Deutschland entwickelt hat und hier, mit dem einen oder anderen neuen Akzent, weiter an die Gäste bringt. Das entspricht natürlich jenem klassischen Stil, den Michelin auch andernorts seit jeher favorisiert. Ob das in Zeiten noch zeitgemäß ist, da eine neue Generation an Essern zusehends die große Küche für sich entdeckt und junge Talente mit einer vergleichsweise spontanen, unmittelbaren Herangehensweise an die Herde drängen, ist freilich eine andere Frage.

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2019

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Severin Corti
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