Großstadtreben: Die Weinmetropole Wien

Wenige Großstädte können ihre Bewohner mit Wein aus eigenen Rebbergen versorgen. Innerhalb der Wiener Stadt­grenzen gab es in den letzten ­Jahren eine enorme qualita­tive Steigerung.

Wien hatte stets dank seiner Heurigen – so heißen die Straußenwirtschaften in Österreich – durchaus ein weinseliges Image. Dafür sorgten Filme mit Größen wie Hans Moser und Paul Hörbiger. Dass aber innerhalb der Stadtgrenzen noch einige der besten Weine Österreichs wachsen können, blieb bis vor einigen Jahren ein recht gut ­gehütetes Geheimnis. Lange Zeit prägten Schrammelmusik und Backhendlduft das Bild vom Wiener Wein. Der »Heurige« – ­dieser Begriff bezeichnet verwirrenderweise nicht nur den Ort des Geschehens, sondern auch das dort ausgeschenkte Produkt – kommt in Karaffen anonymisiert auf den Tisch und wird aus dickwandigen Gläsern mit Henkel konsumiert. Wiener Wein in Bouteillen und mit einem Etikett versehen, das war lange Zeit eher die Ausnahme als die Regel, man trank ihn direkt beim Erzeuger. Die schattigen Gastgärten sind in der Sommerzeit die »Wohnzimmer im Grünen« und werden von Jung und Alt, von Einheimischen wie Touristen mit anhaltender ­Begeisterung frequentiert.

Weinbau mit zentraler Bedeutung ...

Natürlich gibt es auch in anderen Großstädten Weinbau, und so manche Metropole brüstet sich mit eigenen Rebzeilen. Aber allzu oft handelt es sich dabei eher um Schauweingärten, die als Tourismusattraktion herhalten müssen. Anders in der Zwei-Millionen-Metropole Wien: Hier sind fast 700 Hektar Rebfläche ein eigenes Weinbaugebiet und ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, sie dienen der Erhaltung des Grüngürtels und bilden die Basis für hohe Weinqualität, denn das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Vielfalt reicht von der regionalen Spezialität »Gemischter Satz« über elegante Rieslinge und kraftvolle Weiß­burgunder bis hin zu hochwertigen Rotweinen aus inter­nationalen Spitzensorten.



... und langer Tradition

Noch im Spätmittelalter standen Reben auch innerhalb der Stadtmauern, im heute zentralen ersten Bezirk; im 21. Jahrhundert liegt der Schwerpunkt des Wiener Weinbaus aber in den Vororten am Stadtrand: Die Lagen am Bisamberg nördlich der Donau – bewirtschaftet von Winzern aus Strebersdorf, Stammersdorf und Jedlersdorf – sind günstig für die Burgunderfamilie und für rote Sorten. Im 17., 18. und vor allem 19. Gemeindebezirk mit den Ortsteilen Heiligenstadt, Nussdorf, Grinzing, Sievering und Neustift am Walde gedeihen Riesling, Chardonnay und Weißburgunder auf den meist sehr kalkreichen Böden. Im Süden Wiens mit Mauer, Rodaun und Oberlaa sind Schwarzerdeböden zu finden, die sich gut für kraftvolle Weißweine und opulente Rotwein-Cuvées eignen.

Spezialität »Gemischter Satz«

Kaum ein Winzer verzichtet aber auf den ­traditionellen »Gemischten Satz«, bei dem in einem Weingarten verschiedene Rebsorten gemeinsam ausgepflanzt sind, die auch gemeinsam geerntet und zu Wein verarbeitet werden. Früher als Risikominderung bei ungleichmäßigen Erntebedingungen vorgesehen, erfreut sich dieser Weintyp heute wieder großer Beliebtheit und ist zu einem Synonym der Renaissance des Wiener Qualitätsweines geworden. Ebenso wiederentdeckt wurde die Toplage Nussberg, die junge, ideenreiche Winzer aus ­allen Teilen der Weinstadt – auch Quereinsteiger – beinahe magisch anzieht.



Der Heurige – eine Wiener Institution

Dreh- und Angelpunkt für die Pflege des Wiener Weines ist die legendäre Wiener Insti­tution des Heurigen, der bis heute nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt hat. Ob als durch­gehend ­geöffnetes Lokal mit üppigem kaltem und warmem Buffet oder als kleine, versteckte Buschenschank in den Kellergassen mitten in den Weingärten, der nur wenige Wochen im Jahr geöffnet hat: Ein wahrer Besuchermagnet sind sie alle, für Einheimische genauso wie für die zahlreichen Touristen. Und auch anspruchsvolle Weinfreunde kommen beim wachsenden Angebot an Topweinen, die auch glasweise ausgeschenkt werden, auf ihre Rechnung. Dass die moderne Kellerarchitektur und das technologische Equipment sich gut mit der Tradition alteingesessener Familienbetriebe verknüpfen lassen, ist ebenfalls ein sympathischer Zug der Entwicklung des Wiener Weinbaus.



Kooperationen für die Zukunft

Die führenden Betriebe der Metropole haben sich in der Gruppe WienWein zusammengefunden, um gemeinsam effektiver für ihre Weine werben zu können. »Slow Food« hat den Wiener Gemischten Satz bereits 2008 als erstes österreichisches Erzeugnis mit dem höchsten Gütesiegel »Presidio-Produkt« ausgezeichnet. Eine Gruppe von sehr ambitionierten Wiener Neben- und Kleinwinzern hat sich unter dem Begriff der »Orchideenwinzer« zusammengeschlossen. Mehr als hundert verschiedene Weingüter füllen heute Flaschenweine ab und können sich über mangelnden Absatz nicht beklagen. Denn längst ist es für einen engagierten Wiener Gastronomen unerlässlich, mehrere Weine aus den Wiener Rieden auf der Weinkarte anzubieten. Wichtiger Motor hinter dem Qualitätsaufschwung des Wiener Weines war die gezielte Unterstützung des Weinbaus seitens der Stadt Wien, die nicht nur selbst mit dem Weingut Wien Cobenzl eines der führenden Weingüter besitzt und erfolgreich bewirtschaftet, sondern mit der jährlich durchgeführten Vergabe des »Wiener Weinpreises« und der damit verbundenen Weingala im Wiener Rathaus das Bewusstsein um die Vielfalt und die Qualität der städtischen Weine beflügelt hat.

von Peter Moser
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